Schlüsselwörter
Hypoplasie der Vena iliaca - Angiodysplasie - Klippel-Trénaunay-Syndrom - Palma-Bypass
Key words
vena iliaca hypoplasia - congential angiodysplasia - Klippel-Trénaunay syndrome - Palma procedure
Einleitung
Das Klippel-Trenaunay-Syndrom (KTS) ist eine seltene angeborene Erkrankung, die durch ein flaches Hämangiom der Haut (port-winestain), eine Weichteil- und Knochenhypertrophie der Extremitäten sowie eine Fehlbildung der Venen und Lymphgefäße charakterisiert ist [1]. Dabei ist die rechte untere Extremität häufiger als die linke untere Extremität betroffen. Seltener kommen oligosymptomatische, bilaterale, alternierende und gekreuzt dissoziierte Manifestationen vor [2].
Die Ätiopathogenese ist ungeklärt. Es handelt sich wahrscheinlich um eine latente Mutation. Gemäß der Hamburg-Klassifikation wird eine hämolymphatische, trunkuläre Fehlbildung mit venösen, arteriellen und lymphatischen Komponenten, die sowohl Gefäßobstruktionen als auch -dilatationen aufweisen können, diskutiert [3].
Klinisch können die Symptome nach dem Ausmaß der vorliegenden Malformationen variieren. Die Diagnose dieser embryologischen Fehlbildung ist rein klinisch. In der Diagnostik können eine duplexsonografische und angiografische Darstellung der Gefäße in betroffenen Arealen sowie radiologische Diagnostik der betroffenen Areale bei Weichteil- und Knochenhypertrophie helfen.
Für dieses komplexe Syndrom existiert keine einheitliche Therapie. Die Behandlung von KTS ist konservativ, sofern keine Komplikationen auftreten [1]. Die wichtigste konservative Maßnahme ist eine Kompressionstherapie zur Vermeidung einer chronisch-venösen Insuffizienz und thromboembolischer Ereignisse [4]. Eine chirurgische Therapie im Sinne einer venösen Rekonstruktion ist umstritten und wird aufgrund der hohen Rezidivrate nicht empfohlen.
Wir beschreiben einen sehr seltenen Fall einer 60-jährigen Frau mit KTS, die vor 28 Jahren einen venösen Crossover-Bypass mittels Vena saphena magna (Palma) bei Hypoplasie der Vena iliaca externa rechts erhalten hat. Das Ziel des vorliegenden Berichts ist das klinische Erscheinungsbild, den diagnostischen Prozess und den Managementansatz sowie eine Literaturübersicht zum operativen Management vorzustellen.
Fallbericht
Anamnese
Wir berichten über eine 60-jährige Patientin, die sich im Alter von 32 Jahren mit massiver Schwellung und starken Schmerzen im Bereich des rechten Beins vorstellte. Zum damaligen Untersuchungszeitpunkt bestanden keine Ulzerationen. In der Anamnese konnten bereits im Alter von 16 Jahren wiederkehrende oberflächliche Ulzerationen am medialen distalen Unterschenkel mit Beteiligung der Innenknöchelregion ohne erkennbare Ursachen erhoben werden. Zudem kam es nach der Schwangerschaft zu einer deutlichen Zunahme der Schwellung und Schmerzen der Beine.
Befunde und Therapie
Die körperliche Untersuchung ergab laterale Varizen und ein kleines flächiges Naevus flammeus am lateralen mittleren Oberschenkel des rechten Beins. Zusätzlich bestand eine Umfangsdifferenz zwischen der betroffenen und der kontralateralen Extremität mit vergrößertem Oberschenkel- und Wadenumfang ohne Beinlängen- oder Fußlängendifferenz. Die durchgeführten umfangreichen serologischen Untersuchungen waren unauffällig. Die angiologische Untersuchung mittels Duplexsonografie zeigte keine Insuffizienz der V. saphena parva oder V. saphena magna. Die Femoralarterien sowie peripheren Pulse waren beidseits gut tastbar. Bei einer Phlebografie zeigte sich eine Hypoplasie der rechten Vena iliaca externa ohne Zeichen einer Thrombose ([Abb. 1]). Hinweise für das Vorliegen eines arteriovenösen (AV) Shunts fanden sich nicht.
Abb. 1 Phlebografie mit Hypoplasie der rechten Vena iliaca externa ohne Zeichen einer Thrombose (→ Pfeil markiert).
Basierend auf diesem Befund sowie der typischen Trias wurde die Verdachtsdiagnose eines KTS gestellt. Um eine Thrombose sowie ein postthrombotisches Syndrom zu verhindern, wurde eine klassische Palma-Operation mit Transposition der kontralateralen Vena saphena magna als venöser Crossover-Bypass durchgeführt ([Abb. 2]). Sowohl der eigentliche Eingriff als auch der postoperative Verlauf gestalteten sich komplikationsfrei. Während der stationären Behandlung wurde die Patientin mit niedrigmolekularem Heparin in prophylaktischer Dosis therapiert und ohne lebenslange Antikoagulation, lediglich mit Kompressionstherapie der Klasse II nach Maß entlassen.
Abb. 2 Eigene Operationsskizze mit Darstellung des Palma-Bypasses.
Bei der jetzigen Nachuntersuchung 28 Jahre nach Erstoperation hatte die Patientin keine Ödeme, Hautveränderungen oder Varikose ([Abb. 3]) und war völlig beschwerdefrei. Es zeigten sich reizlose Narbenverhältnisse. Anamnestisch konnte bereits ein Jahr nach der Palma-Operation eine deutliche Besserung der Beschwerden festgestellt werden. In der aktuell durchgeführten venösen CT-Angiografie kam eine gute Kontinuität des Palma-Bypasses ohne Anzeichen für Stenose oder Aneurysma zur Darstellung ([Abb. 4a, b]).
Abb. 3 Follow-up 28 Jahre nach der Palma-Operation: keine Ödeme, Hautveränderungen oder Varikose.
Abb. 4 Venöse CT-Angiografie 28 Jahre nach der Implantation eines femoro-femoralen Crossover-Bypasses (Palma) bei einer 60-jährigen Patientin mit Klippel-Trénaunay-Syndrom (→ Pfeil markiert: Darstellung des Palma-Bypasses). a Projektions-CT-Bild mit maximaler Intensität. b 3D-CT-Bild mit guter Kontinuität des Palma-Bypasses ohne Anzeichen für Stenose oder Aneurysma.
Diskussion
Das KTS ist eine seltene Erkrankung, die häufiger unilateral (85 %) als bilateral (12,5 %) auftritt, wobei die verbleibenden 2,5 % bilateral gekreuzt auftreten können (d. h. rechte obere Extremität und linke untere Extremität) [5]. Schmerzen, Beinlängenunterschiede, Erysipel, Venenthrombose, Lungenembolie und gastrointestinale Blutungen sind typische klinische Symptome [6]. Die Gefäßveränderungen betreffen meist die Kapillaren im Sinne eines Naevus flammeus sowie das Venensystem als Krampfadern, aber auch in Form einer Hypo- oder Aplasie der tiefen Extremitätenvenen [5]
[6]. Die Diagnose kann gestellt werden, wenn 2 der folgenden Befunde vorliegen: Kapillarmissbildungen (port-winestain), eine Beinlängendifferenz aufgrund von Weichteil- und Knochenhypertrophie sowie eine atypische, meist laterale oberflächliche Varikose [7]. Differenzialdiagnostisch sollten bei diesen Patienten immer auch andere Angiodysplasien ausgeschlossen werden. Für die Differenzierung kann die sogenannte Hamburger Klassifikation der International Society for the Study of Vascular Anomalies (ISSVA) herangezogen werden [8].
Die venösen Missbildungen werden bei 68–80 % der Patienten beobachtet [9]
[10]. Die Ätiologie dieser Entität ist jedoch unbekannt. Es werden verschiedene Theorien diskutiert. Einerseits wird vermutet, dass die Krankheit aufgrund einer Dysfunktion in den sympathischen Ganglien entsteht. Andererseits wird die These vertreten, dass die Anomalien im tiefen venösen System über Thrombosen entstehen, die über eine venöse Hypertonie zu einer Extremitätenhypertrophie führen [1]
[6]. Des Weiteren wird über die Relevanz für die VG5Q-Mutation des kurzen Chromosomenarms im Gefäßgen diskutiert [5]. Ein weiterer möglicher Mechanismus wäre eine primäre Obstruktion des Venensystems, welche zur venösen Hypertonie und zu Veränderungen der Angiogenese sowie einer Vaskulogenese auf dem Boden diverser genetischer Prädispositionen, führen kann [11]. Fetale Tierstudien haben gezeigt, dass sich diese embryonalen Venen im Laufe von 12 Lebenswochen bilden und zurückbilden. Ergebnisse zu Studien am Menschen liegen jedoch nicht vor [12].
Die Diagnose des KTS ist klinisch schwierig zu stellen, da es keinen echten pathognomonischen Test gibt. Anamneseerhebung, ausführliche klinische Untersuchung und die Ultraschalluntersuchung sind wichtige Maßnahmen für die erste Diagnosesicherung. Doppler- und farbkodierte Duplexsonografie sind hilfreich für die Beurteilung der Durchblutungssituation („fast-flow“ versus „slow-flow“). Duplexultraschall, Magnetresonanztomografie (MRT) und Computertomografie (CT) können eine Weichteilhypertrophie und damit verbundene Gefäßmissbildungen darstellen. Die Phlebografie wird als hilfreich für die präoperative Planung angesehen, wenn Verfahren zur Eliminierung oberflächlicher Venen, wie Sklerotherapie, Ligatur oder Stripping, geplant sind. Wenn zuvor noch keine Dokumentation eines tiefen Venensystems durchgeführt wurde, kann auch hier die Phlebografie hilfreich sein [13].
Die Behandlung von KTS-Patienten besteht hauptsächlich aus einer konservativen medizinischen Behandlung, einschließlich Kompressionstherapie und entzündungshemmenden Medikamenten zur Schmerzlinderung. Ziel der Therapie dieser angeborenen Erkrankung ist es, Beschwerden zu mindern, mögliche Beeinträchtigungen von funktionellem Gewebe und daraus resultierende Komplikationen zu verhindern und Patienten somit zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Da es bei einer inkompletten, nicht indizierten oder falschen Therapie nicht selten zu einer Verschlechterung der Symptome kommt, ist eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung vor jeder interventionellen oder operativen Therapie erforderlich.
Die hämodynamische Einteilung der Gefäßmalformationen bestimmt das jeweilige Therapieverfahren [14]. Die Mehrzahl der Gefäßmalformationen kann minimalinvasiv durch interventionelle Verfahren wie Sklerosierungsbehandlungen (Slow-flow-Malformationen) und Katheter-gestützte Embolisationen (Fast-flow-Malformationen) therapiert werden [9]
[10]
[14]
[15]. Offene Rekonstruktionen sollten nur dann erwogen werden, wenn eine oberflächliche Lokalisation einen sicheren Zugangsweg ermöglicht. Aufgrund der Affektion mehrerer Gewebeschichten und dem erhöhten Blutungsrisiko gestaltet sich die Präparation technisch schwierig (die Gefäßwände sind dysplastisch und fragil) und sollte somit Spezialisten vorbehalten bleiben.
Eine isolierte angeborene Hypoplasie ist extrem selten und prädisponiert insbesondere im jungen Erwachsenenalter für Becken- oder Beinvenenthrombosen. Die chirurgische Therapie im Sinne einer venösen Rekonstruktion wird kontrovers diskutiert und ist Patienten mit intakten tiefen Venensystemen vorbehalten, die nicht für eine weniger invasive Behandlung infrage kommen (Lasertherapie, Sklerotherapie, Schaumsklerotherapie mit Natriumtetra-Decylsulfat und Polidocanol) [15]. In unserem Fall erfolgte die Implantation eines veno-venösen Palma-Bypasses. Bei dieser Technik wird die kontralaterale Vena saphena magna für einen Crossover-Bypass verwendet, um die venöse Stauung in den betroffenen Extremitäten zu dekomprimieren [16]. Die Vene wird subkutan im suprapubischen Raum zur betroffenen Seite getunnelt und von einem Ende zum anderen mit der V. femoralis communis anastomosiert. Die Anastomose kann je nach Anatomie und Ausmaß der venösen Obstruktion auf die Vena saphena magna oder die Vena femoralis communis ausgedehnt werden. Ein wichtiger Faktor für die Durchgängigkeit des Transplantats ist der anhaltende Fluss bei ausreichendem Druck. Einige Autoren schlugen die vorteilhaften Wirkungen einer temporären arteriovenösen Fistel vor, um die Durchblutung der Venentransplantate zu erhöhen [17]
[18]. Andere zeigten, dass die Durchgängigkeit ohne die Verwendung einer arteriovenösen Fistel erreicht werden kann [19]. In unserem Fall erhielt die Patientin keine arteriovenöse Fistelbildung. Selbst ohne eine arteriovenöse Fistel zu erzeugen, war die Durchgängigkeit während der Nachbeobachtungszeit ausgezeichnet.
In der heutigen Zeit besteht durch die Entwicklung endovaskulärer Therapieverfahren grundsätzlich die Möglichkeit zur minimalinvasiven endovenösen Therapie des KTS. Belege für die Effektivität dieser Therapieansätze stehen jedoch aus. Die in das Venensystem eingesetzten Stents und Transplantate weisen üblicherweise eine höhere Thromboserate auf als arterielle Stents oder Transplantate. Eine kürzlich durchgeführte Überprüfung legt nahe, dass ein verringerter Fluss in die V. femoralis communis der beste Prädiktor für eine In-Stent-Stenose oder einen Transplantatverschluss ist [20].
Des Weiteren sind die Patienten mit KTS mit einer geringgradigen Koagulopathie assoziiert [21] und haben ein höheres Risiko für thromboembolische Erkrankungen [22]. In der klinischen Bewertung wurde jedoch keine Effektivität einer Antikoagulation nachgewiesen. Eine Indikation hierfür besteht bei Patienten, die eine tiefe Venenthrombose entwickelten oder eine venöse Intervention erhielten [1]. Physiotherapeutische Maßnahmen, insbesondere die Kompressionstherapie mit medizinischen Kompressionsstrümpfen oder Kompressionsverbänden, sind zwingend erforderlich.
Über die Prognose der Erkrankung sind keine detaillierten Angaben in der Literatur vorhanden. Sie hängt im Wesentlichen vom Diagnosezeitpunkt, der individuellen Ausprägung der Systemmanifestationen und einem möglichst frühen Therapiebeginn ab [1].
Fazit
Die Diagnose und Behandlung des KTS kann aufgrund der geringen Inzidenz schwierig sein. Trotz der Variabilität der Erkrankung ist die einheitliche Diagnose eine absolute Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Dabei ist die Ausprägung der Gefäßdysplasien an der jeweiligen Lokalisation entscheidend für das individuelle therapeutische Vorgehen.
Unser Fallbericht lässt die klinische Bedeutung des Klippel-Trénaunay-Syndroms aus praktischer Sicht erkennen und weist auf die Erkennung der korrekten Diagnose und die damit verbundenen Konsequenzen für die richtige Therapie hin.
Ethische Richtlinien
Die für dieses Manuskript erhobenen Daten stimmen mit den nationalen Gesetzen und der aktuellen Helsinki-Deklaration überein, eine Einverständniserklärung der Patientin lag vor.
Diese Kasuistik wurde bei folgenden Veranstaltungen als Poster präsentiert:
33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, 27.09.–30.09.2017, Frankfurt am Main, Deutschland
Klinischer Erfolg 24 Jahre nach einem veno-venösen Bypass (Palma) bei Hypoplasie der Vena iliaca
Fourth Annual Congress of the European Society for Vascular Medicine, 18.03.–20.03.2018, Prague, Czech Republic
A unique approach in the management of vena iliaca hypoplasia in a patient with Klippel-Trenaunay syndrome