Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2019; 13(04): 233-234
DOI: 10.1055/a-1036-0522
Gesellschaftsnachrichten
Mitteilungen der Deutschen Adipositas Gesellschaft

Weltadipositastag 2019: 10-Jahresprognose zum Kinderübergewicht

1,3 Millionen Heranwachsende mit Adipositas in Deutschland erwartet

Berlin, 10. Oktober 2019 Zum morgigen Weltadipositastag prognostiziert der erste Kinderübergewichts-Atlas der internationalen Adipositas-Gesellschaft „World Obesity“ (WO) [1] einen weltweiten Anstieg des schweren Übergewichts (Adipositas) bei Kindern und Jugendlichen in der nächsten Dekade von heute 150 Mio. auf 250 Mio. in 191 Ländern. „Im Jahr 2030 werden den Schätzungen zufolge mehr als 1,3 Mio. Kinder und Teenager im Alter von 5–19 Jahren in Deutschland mit Adipositas, also therapiebedürftigem Übergewicht leben – rund 500 000 mehr als heute“, warnt PD Dr. med. Susann Weihrauch, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindesalter (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG). Nach Einschätzung von World Obesity wird Deutschland das WHO-Ziel „keine Erhöhung der Adipositasprävalenz bis 2025“ [2] nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 18 % erreichen.

Für rund ein Viertel der 191 Länder weltweit prognostiziert WO mehr als 1 Mio. Heranwachsende mit Adipositas im Jahr 2030, darunter auch Deutschland mit mehr als 1,3 Mio. Heranwachsenden mit Adipositas [1].

Die Prognosen wurden erstellt auf der Basis heutiger Daten und ihrer Fortschreibung bis ins Jahr 2030. Gemäß des Länderprofils Deutschland [1] schlagen hier besonders negativ zu Buche: der Prozentsatz Heranwachsender mit ungenügender körperlicher Bewegung (Jungen: 78 %, Mädchen 88 %), der Prozentsatz für Frauen mit Adipositas (angegeben für das Jahr 2016 mit 21,3 %), der Prozentsatz für rauchende Frauen (28 %, Schätzung für 2020) und die mit 15 % für das Jahr 2030 prognostizierte Prävalenz der 5–9-Jährigen mit Adipositas.

„Diese Beschreibung der Risikolage macht deutlich, dass das zukünftige Risiko für Kinderübergewicht auch im Lebensstil der heranwachsenden Generation, insbesondere dem gebärfähiger Mütter zu suchen ist“, erläutert Prof. Dr. med. Martina de Zwaan, Präsidentin der DAG.

Am günstigsten beurteilt WO die aktuelle Situation der Kinder bis 5 Jahre mit Adipositas, die Risikosituation bei den heute 5–9-Jährigen wird als „moderat“ eingeschätzt, die „rote Karte“ zieht WO bei den aktuellen Daten zu Adipositas bei den 10–19-Jährigen [1].

„Diese Einschätzung entspricht im Wesentlichen unserer nationalen Datenlage: Es kam zwar zu keiner weiteren Zunahme von Übergewicht/Adipositas bei Kinder und Jugendlichen zwischen der KiGGS-Basiserhebung (2003–2006) und KiGGS-Welle 2 (2014–2017) des Robert-Koch-Instituts [3], die Anzahl der Betroffenen ist aber damit auch weiterhin deutlich zu hoch“. Heute haben ca. 1,9 Mio. (15,4 %) Kinder und Jugendliche Übergewicht und davon ca. 800 000 (5,9 %) starkes Übergewicht (Adipositas) [3]. „Das ist immerhin eine Stagnation – aber unsere Fachgesellschaft kommt, basierend auf den aktuellen Daten des Robert-Koch-Instituts [5], zu der Einschätzung, dass die Adipositasprävalenzen bei Kindern und Jugendlichen nach wie vor als äußerst kritisch einzustufen sind“, erläutert AGA-Sprecherin Weihrauch.

„Zudem macht uns die negative Entwicklung der Therapieangebote für Kinder und Jugendliche mit Adipositas große Sorgen, insbesondere im ambulanten Bereich. Nach Erkenntnissen der Adipositas-Patienten-Verlaufsdokumentation (APV) ist seit 2013 die Anzahl der Behandlungseinrichtungen um ein Drittel zurückgegangen!“, beklagt Dr. Susanna Wiegand, Kinder- und Jugendärztin an der Berliner Charité und Mitglied der AGA. „Gerade kleine lokale Anbieter nennen immer wieder das extrem aufwendige Verfahren zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen (gesondert für jeden Teilnehmenden; trotz Zertifizierung durch die Fachgesellschaft) als Grund für die Aufgabe. Damit sind in immer mehr Regionen ambulante Therapieangebote für Kinder und Jugendliche mit Adipositas nicht mehr erreichbar.“, erläutert Wiegand. Die stationäre Kinder- und Jugendrehabilitation könne diese Lücke nicht füllen, da der Erfolg einer stationären Therapie ohne ambulante Nachbetreuung (z. B. Reha-Nachsorge) selten nachhaltig sei, so Wiegand weiter.

Auch die erosive Entwicklung im Therapiebereich könne daher ein Grund dafür an, dass die erreichte Stagnation beim Kinderübergewicht nicht nachhaltig ist und die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas auch bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland wieder zunimmt. „Das muss nicht sein – wir können das besser, brauchen aber den politischen Rückenwind aus dem Bundesgesundheitsministerium“, macht Wiegand deutlich.



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Article published online:
02 December 2019

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