Phlebologie 2019; 48(04): 210-211
DOI: 10.1055/a-0868-2122
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Liebe Leserinnen und Leser,

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Erika Mendoza
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Publication Date:
19 July 2019 (online)

 

    die Entwicklung der Medizin wird immer rasanter. Die Bildgebung erlaubt uns, immer feinere Zusammenhänge darzustellen. Die Pharmakologie bietet einen Fächer an Substanzen, die alleine oder in Kombination aktiv werden können. Der Fortschritt der Technik ermöglicht Zugänge, Eingriffe und Prozeduren an Orten, an die wir früher nur über große Schnitte gelangten.

    Bei der Kombination von Bildgebung, neuen Techniken und Medikamenten sind der Phantasie keine Schranken auferlegt. Und diese Phantasie, kombiniert mit Beobachtung, Deduktion, Interesse und Freude an der Entwicklung, bringt uns als Mediziner dazu, Neuerungen zu erarbeiten, auszuprobieren, zu analysieren und zu etablieren oder zu verwerfen, bzw. weiter zu entwickeln.

    Auch in der Diagnostik und Behandlung der proximalen tiefen Beinvenenthrombose konnten in den letzten Jahrzehnten unvorstellbare Errungenschaften erzielt werden: Die Diagnostik entwickelte sich von der Beobachtung der Virchow’schen Trias über die Phlebographie, die Duplexsonographie bis hin zu den Schnittbildverfahren und der intraluminalen Sonographie. Die Therapie kombiniert heute modernste Bandage-Systeme zum Entstauen und dann fantastische Kompressionsstrümpfe und einen Fächer an Antikoagulantien – früher undenkbar!

    Heutige Studien zu Langzeitergebnissen basieren auf diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen von vor einigen Jahren. Ob aktuell angewendete Verfahren langfristig sinnvoller sind, wird erst in vielen Jahren ausgewertet werden können. Und je stilisierter die Verfahren, desto lukrativer sind sie oft. Das bringt Menschen in Interessens- und Gewissenskonflikte… Insbesondere in einem System, in dem der Arzt oder das Krankenhaus nicht nur der Therapie dient, sondern selbst auch ein Unternehmen ist.

    Daher sollen wir immer die Frage vor Augen haben: Ist eine Behandlung, nur weil sie möglich ist, auch sinnvoll? Ist ein postthrombotisches Syndrom, das durch Kompression gut kompensiert ist, auf lange Sicht ungefährlicher und weniger belastender als ein Stent, der eventuell Komplikationen verursacht? Gibt es exakte Kriterien, die vorhersagen, welcher Patient von einem Eingriff profitiert und welcher nicht?

    Und tappen wir nicht in die Falle der Überdiagnostik und damit der Überindikation, wenn Durchmessereinschränkungen von mehr als 50 % des Lumens der linken V. iliaca bei 25 % der durchaus auch asymptomatischen Bevölkerung zu finden sind? Ist die Bildgebung dann inkorrekt oder ist die Lumen-Einengung ggf. lagebedingt oder gar physiologisch und gar nicht für die Beschwerden verantwortlich, auch nicht bei den Patienten, die diesen „Zufallsbefund“ bei venösen Beschwerden aufzeigen?

    Und schließlich… ist die Versuchung der Gewinnoptimierung durch Eingriffe uns immer bewusst, wenn wir uns für einen Eingriff bei nicht sicherer Indikation entscheiden? Oder anders herum: werden wir von einer Welle an gutem Marketing mitgerissen, wenn wir teure Medizinprodukte einsetzen und dabei einem Heilsversprechen zum Opfer fallen, das einer tieferen Betrachtung nicht standhält?

    Alle diese offenen Fragen haben mich veranlasst, in die Diskussion um immer mehr Stent-Einlagen einzugreifen, indem ich Fragen stelle. Die sehr erfolgreiche Sitzung am DGP Kongress 2018 in Bielefeld zu dem Thema war dann die Grundlage zu diesem Heft, das ich als unbeteiligte moderiert habe – da ich persönlich keine spezifische Therapie der Iliakalvenen-Thrombose anbiete. Den vielen Kollegen, die meiner Einladung gefolgt sind, möchte ich danken. Sie haben einen breiten Überblick von der Diagnostik bis zur Therapie und der Konsequenz unseres Handelns auf das postthrombotische Syndrom gezeichnet. Aus der Sicht des Diagnostikers möchte ich eine Lanze für objektivierbare, reproduzierbare Verfahren brechen und sie vor (und nach) jedem invasiven Eingriff des tiefen Venensystems fordern. Daher zeigen wir im Artikel die Möglichkeiten der Luftplethysmographie auf, die ich nach technischer Anpassung sehr bald als universell einsetzbar erachte.

    Es bleibt die Kunst des Arztes, in der Gesamtschau einer immer unübersichtlicheren Vielzahl an Methoden zusammen mit dem Patienten den besten Weg für ihn zu wählen. Ich wünsche uns allen, dass diese Ausgabe der Phlebologie uns auf diesem Weg unterstützt.

    Ihre
    Erika Mendoza
    Wunstorf


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    Dr. med. Erika Mendoza

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