PSYCH up2date 2019; 13(03): 197-202
DOI: 10.1055/a-0858-1405
SOP / Arbeitsablauf
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

SOP QTc-Monitoring bei Psychopharmakatherapie

Peter Trinkler
,
Monika Bleck
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Peter Trinkler
ZfP Emmendingen
Neubronnstr. 25
79312 Emmendingen

Publication History

Publication Date:
07 May 2019 (online)

 

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind auch bei Psychopharmaka häufig. Zur Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelsicherheit muss den Anwendern bekannt sein, welches Monitoring notwendig ist, um Patienten vor Schaden zu bewahren. Neben dem Monitoring von Blutbild, Leberwerten und anderen Laborparametern gehört dazu auch die Kontrolle der QTc-Zeit im EKG.


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Einleitung

Die Verlängerung der ventrikulären Repolarisationsphase am Myokard ist eine häufige Nebenwirkung einer Vielzahl von Psychopharmaka. Im EKG zeigt sich dann eine Verlängerung des frequenzkorrigierten QT-Intervalls, der QTc-Zeit. Eine solche Verlängerung kann assoziiert sein mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten lebensbedrohlicher ventrikulärer Tachyarrhythmien, den Torsade-de-pointes-(TdP-)Tachykardien. Klinisch manifestieren sich TdP-Tachykardien durch das Auftreten von Schwindel, Krampfanfällen oder Synkopen bis hin zum plötzlichen Herztod [1].

Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von TdP-Tachykardien ist häufig assoziiert mit dem Ausmaß der Verlängerung der QTc-Zeit im Ruhe-EKG. Allerdings geht eine Verlängerung der QTc-Zeit nicht zwangsläufig mit einer Erhöhung des TdP-Risikos einher [2].

Andere Medikamente, aber auch Elektrolytverschiebungen und endokrine Erkrankungen können ebenfalls zu einer Verlängerung der ventrikulären Repolarisationsphase am Myokard führen. Darüber hinaus sind Risikofaktoren bekannt, die das individuelle Risiko der einzelnen Patienten für das Auftreten der schwerwiegenden TdP-Tachykardien erhöhen.

Der Zusammenhang zwischen QT-verlängernden Medikamenten und TdP mit teilweise tödlichem Ausgang ist seit fast einem halben Jahrhundert bekannt. Lange Zeit wurde dies in der klinischen Praxis vernachlässigt. Dass sich dies in den letzten Jahren grundlegend verändert hat, zeigt sich auch in entsprechenden Warnhinweisen in den Fachinformationen. Im Zuge der EU-weiten Harmonisierung von Fachinformationen wurde bei Medikamenten wie Haloperidol und Citalopram die Kombination mit anderen QT-verlängernden Medikamenten als Kontraindikation aufgenommen [3], [4].

Die vorliegenden Ausführungen sollen behandelnden Ärzten von Patienten mit Psychopharmakatherapie und QTc-Zeitverlängerung eine Hilfestellung bei der Entscheidung über sinnvolle weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen geben, die in der klinischen Praxis anwendbar sind und eine notwendige Psychopharmakatherapie nicht unnötig blockieren ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Algorithmus QTc-Monitoring vor und bei Psychopharmakatherapie: Meistens bewegen wir uns auf dem grünen Pfad. Kontrolle sofort: 2 – 7 Tage nach der Intervention oder dem auslösenden Ereignis. TdP: Torsade de pointes

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Bestimmung der QTc-Zeit

Im Ruhe-EKG spiegelt das QT-Intervall die Phase der myokardialen Erregungsausbreitung und -rückbildung wider. Die Messung des QT-Intervalls erfolgt vom Beginn der Q-Zacke bis zum Ende der T-Welle ([Abb. 2]). Da die myokardiale Erregungsrückbildung abhängig von der Herzfrequenz ist, muss eine Frequenzkorrektur erfolgen. Zur Bestimmung des frequenzkorrigierten QT-Intervalls (QTc-Intervall), wird meist die Korrekturformel nach Bazett verwendet: QTc = QT-Dauer/RR-Abstand1/2 [5]. Nachteilig ist, dass bei Frequenzen < 60/min oder > 100/min eine Unter- bzw. Überkorrektur erfolgt, die ggf. berücksichtigt werden muss. Für diese Fälle stehen alternative Korrekturformeln zur Verfügung.

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Abb. 2 PQ-Zeit, QRS-Komplex und QT-Intervall im EKG. Cursor (grün) von Software CardioSoft® gesetzt.

Eine Verbreiterung des QRS-Komplexes bei Vorliegen eines Rechts- oder Linksschenkelblocks oder anderer Blockbilder führt konsekutiv zu einer Verlängerung des QT- und auch des QTc-Intervalls. Bei Patienten mit Schenkelblockbild steht daher unter Medikation mit QTc-verlängernden Medikamenten die Beurteilung der QTc-Zeit im Verlauf im Vordergrund. Als näherungsweise Korrektur bei Vorliegen eines Schenkelblockbildes kann man die Differenz zwischen QRS-Breite und 120 ms (obere Normgrenze der QRS-Breite) bilden und diese vom QTc-Intervall subtrahieren ([Abb. 3]). So vermeidet man, bei deutlich verbreitertem QRS-Komplex im Sinne einer Erregungsausbreitungsstörung und konsekutiv verlängertem QT-Intervall von vornherein auf eine Erregungsrückbildungsstörung zu schließen.

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Abb. 3 QTc-Verlängerung > 500 ms bei Rechtsschenkelblock. Nach näherungsweiser Korrektur mit der Schätzformel QTc ms – (QRS ms – 120 ms) liegt die (geschätzte) QTc-Zeit deutlich unter 500 ms.

Die mittlere Dauer des QTc-Intervalls beträgt bei Gesunden 400 ms. Der obere Grenzwert beträgt bei Männern 450 ms, bei Frauen 460 ms. QTc-Intervalle über 500 ms gelten als Risikofaktor für das Auftreten einer Torsade-de-pointes-Tachykardie [6].

Die Länge des QTc-Intervalls unterliegt dabei großen intra- und interindividuellen Schwankungen; neben dem Geschlecht spielen das Alter des Patienten, die Tageszeit, aber auch das Vorliegen einer Herzerkrankung, endokrine Erkrankungen, Elektrolytstörungen, die Medikation oder das Vorliegen von QT-Syndromen eine Rolle ([Tab. 1], [Tab. 2]).


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Monitoring der QTc-Zeit

Bei einer nicht verlängerten QTc-Zeit vor und während einer Psychopharmakatherapie sind halbjährliche Kontrollen ausreichend, mit Ausnahme besonderer klinischer Situationen (s. u.).

Praxistipp

Unverzichtbar sind die regelmäßig aktualisierten Listen von Arzneistoffen mit QT-Verlängerung und unterschiedlichem TdP-Risiko des Centers for Education & Research on Therapeutics der Universität von Arizona (AZCERT), online verfügbar unter www.qtdrugs.org. Hier werden 3 Risikoklassen unterschieden:

  • QT-Verlängerung UND bekanntes Risiko für TdP bei regelrechter Einnahme

  • QT-Verlängerung OHNE Evidenz für TdP bei regelrechter Einnahme

  • QT-Verlängerung UND Auslösen von TdP unter bestimmten Bedingungen: S. [Tab. 3] „Risikofaktoren“

Des Weiteren gibt es eine Tabelle von Pharmaka, die bei angeborenem Long-QT vermieden werden sollen [7].

QTc-Verlängerung < 500 ms

Ist die QTc-Zeit über der Norm, jedoch nicht > 500 ms, dann ist das Risiko für TdP noch nicht erhöht ([Abb. 1]). In dieser Situation ist jedoch erhöhte Aufmerksamkeit geboten, und es gilt zunächst zu klären, ob eine reversible Ursache vorliegt oder eine der selteneren irreversiblen Ursachen.

Irreversible Ursachen

Irreversible Ursachen sind angeborene Mutationen in kardialen Ionenkanal-Genen ([Tab. 1]). Dazu gehören das Long-QT-Syndrom (LQTS), dessen Häufigkeit auf 1 : 1200 geschätzt wird, und in seiner häufigeren Form (Romano-Ward-Syndrom) autosomal-dominant vererbt wird, während das Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom autosomal-rezessiv vererbt wird. Eine weitere angeborene Ionenkanalstörung ist das Brugada-Syndrom (BrS), dessen Häufigkeit auf 1 – 5 : 10 000 in westlichen und auf 1 : 2500 in fernöstlichen Ländern geschätzt wird [8]. Bei der Arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie (ARVC), deren Häufigkeit in Deutschland auf 1 : 2000 geschätzt wird, handelt es sich um eine Erkrankung des Herzmuskels, die klinisch durch lebensbedrohliche Kammerarrhythmien gekennzeichnet ist. Sie ist eine häufige Ursache eines plötzlichen Todes bei jungen Menschen und Athleten [9].

Tab. 1 Angeborene Repolarisationsstörungen.

Erkrankung

diagnostische Hinweise

Long-QT-Syndrom

  • EKG-Veränderungen ohne andere Ursache

  • Eigenanamnese: (Prä-)Synkopen

  • Familienanamnese: plötzlicher Herztod

Brugada-Syndrom

arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVCM)

Da in diesen Fällen auch ohne Medikamente das Risiko für TdP besteht, muss die Indikationsstellung, die Auswahl der Medikation und die Überwachung unter Medikation mit besonderer Sorgfalt erfolgen. Die AZCERT-Liste enthält auch Medikamente, die keine relevante QTc-Verlängerung bewirken, aber das Risiko für TdP bei angeborenen Long-QT-Syndromen erhöhen, z. B. Methylphenidat [7].

Trotz ihrer Seltenheit sollte man wegen der erheblichen Konsequenzen diese Erkrankungen kennen und daran denken. Wir sehen sie auch in unserem Zentrum, gelegentlich als Erstdiagnose.


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Reversible Ursachen

Die reversiblen und damit auch beeinflussbaren Ursachen für eine QT-Verlängerung ([Tab. 2]) sind viel häufiger als genetisch bedingte Repolarisationsstörungen. Dazu gehören die durch Medikamente bedingten QT-Verlängerungen, Elektrolytveränderungen und endokrine Ursachen.

Tab. 2 Reversible Ursachen für QT-Verlängerung.

reversible Ursachen

Elektrolytverschiebungen

  • Hypokaliämie

  • Hypomagnesiämie

  • Hypokalziämie

medikamenteninduziert

Beispiele:

  • Psychopharmaka (Haldol, Levomepromazin, Chlorpromazin, Citalopram …)

  • Antiarrhythmika (Amiodaron, Sotalol)

  • Antibiotika (Makrolide, Fluorchinolone, Trimethoprim-Sulbactam)

  • Antihistaminika (Tavegil)

  • Antiepileptika (Valproat)

  • Malariamittel (Chloroquin, Chinin)

  • Rö.-Kontrastmittel

und vieles mehr: QTdrugs.org

endokrin

  • manifeste Hypothyreose

  • Hypoglykämie

Praxistipp

Bei Einnahme mehrerer Medikamente sollte ein Interaktionscheck mithilfe einer Datenbank wie PSIAC, MediQ oder AiDKlinik® erfolgen, um die Kombination mit anderen QT-verlängernden Medikamenten und Interaktionen, die zu einer Spiegelerhöhung und dadurch bedingten QT-Verlängerung führen, nicht zu übersehen.

Eine Hypokaliämie kann meist rasch ausgeglichen werden. Ist diese durch Diuretika bedingt, kann man auch einen Magnesiummangel annehmen und substituieren. Eine Hypokalziämie ist häufig durch einen Vitamin-D-Mangel bedingt, sollte aber weiter abgeklärt werden, da auch andere Gründe wie Hypoalbuminämie, Hypoparathyreoidismus, Niereninsuffizienz u. a. vorliegen können.


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QTc-Verlängerung > 500 ms

Liegt die QTc-Zeit über 500 ms, ohne dass ein Schenkelblockbild vorliegt, oder hat die QTc-Zeit um mehr als 60 ms unter der Medikation zugenommen, besteht ein rascher Handlungsbedarf ([Abb. 1]). Ein sofortiges Absetzen ist nach unserer Einschätzung in der Regel jedoch nicht erforderlich.

Merke

Meist führen eine Dosisreduktion und die Beseitigung reversibler Ursachen dazu, dass die QTc-Zeit rückläufig ist. Auch die Gabe von Magnesium bei Normokaliämie wird empfohlen.

Falls die QTc-Zeit dennoch nicht rückläufig ist oder gar weiter ansteigt, dann sollte das Medikament abgesetzt werden. Falls sich Alternativen bereits als unwirksam gezeigt haben und die Behandlung zum Wohle des Patienten notwendig ist, muss eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Diese berücksichtigt nicht nur das TdP-Risiko der betreffenden Substanz nach der AZCERT-Klassifikation, sondern weitere Faktoren, die das Risiko für eine TdP erhöhen ([Tab. 3]) [10]. Beispielsweise ist ein 40-jähriger somatisch gesunder Mann weniger gefährdet als eine 80-jährige Frau mit hypertensiver Herzkrankheit.

Tab. 3 Risikofaktoren für die Auslösung von TdP-Tachykardien.

Risikofaktoren für TdP

Alter

> 65 Jahre

Geschlecht

weiblich

Herzerkrankungen

angeboren, s. [Tab. 1]

Myokard-Hypertrophie

Bradykardien

Elektrolyte

s. [Tab. 2]

TdP-Risiko einzelner Medikamente

AZCERT-Klassifikation

Erhöhung dieses Risikos durch

Polypharmazie

hohe Plasmaspiegel: Überdosierung, verzögerte Elimination, Interaktionen, Slow Metabolizer


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Besondere klinische Situationen

Bei allen mit Psychopharmaka behandelten Patienten gibt es Situationen, in denen eine QTc-Verlängerung neu auftreten oder verstärkt werden kann, sodass eine EKG-Kontrolle erfolgen sollte:

  • Dosiserhöhung

  • Neuverordnung anderer QT-verlängernder Medikamente

  • Neuverordnung von Medikamenten, die durch Interaktion zu einer Spiegelerhöhung führen können

  • interkurrente Erkrankung mit der Gefahr einer Elektrolytentgleisung

Cave

Antibiotikabehandlung mit Makroliden (insbesondere Azithromycin und Clarithromycin) oder Fluorchinolonen (insbesondere Moxifloxacin) ist mit einer erhöhten Gefahr ventrikulärer Tachykardien verbunden.


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Kernaussagen
  • QTc-Monitoring bei Psychopharmakatherapie ist für die Arzneimittelsicherheit und aufgrund der Vorgaben in den Fachinformationen unverzichtbar.

  • Ein Risiko für TdP besteht in der Regel erst bei einer QT-Zeit > 500 ms. Eine Ausnahme sind angeborene Long-QT-Syndrome.

  • Das Risiko für TdP ist unter Psychopharmakatherapie um ein Vielfaches geringer als z. B. durch Kardiaka wie Sotalol und Amiodaron.

  • Probleme entstehen meist nicht bei Monotherapie, sondern durch die Kombination mit anderen QT-verlängernden Medikamenten und durch Polypharmazie.

  • Anwender von Psychopharmaka müssen auch Komorbiditäten und somatische Medikation im Blick haben, ebenso wie Haus-/Fachärzte die Psychopharmaka beachten müssen. Die interdisziplinäre Kooperation ist oft nicht adäquat.


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Autorinnen/Autoren

Peter Trinkler

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Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie, Rehabilitationswesen, ist Leiter der Internistischen Ambulanz des ZfP Emmendingen und Oberarzt der Station für Geriatrische Psychiatrie der Klinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie.

Monika Bleck

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Dr. med., Fachärztin für Innere Medizin, ist nach langjähriger kardiologischer Tätigkeit seit 2015 in der Internistischen Ambulanz des ZfP Emmendingen tätig.

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Peter Trinkler
ZfP Emmendingen
Neubronnstr. 25
79312 Emmendingen


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Abb. 1 Algorithmus QTc-Monitoring vor und bei Psychopharmakatherapie: Meistens bewegen wir uns auf dem grünen Pfad. Kontrolle sofort: 2 – 7 Tage nach der Intervention oder dem auslösenden Ereignis. TdP: Torsade de pointes
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Abb. 2 PQ-Zeit, QRS-Komplex und QT-Intervall im EKG. Cursor (grün) von Software CardioSoft® gesetzt.
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Abb. 3 QTc-Verlängerung > 500 ms bei Rechtsschenkelblock. Nach näherungsweiser Korrektur mit der Schätzformel QTc ms – (QRS ms – 120 ms) liegt die (geschätzte) QTc-Zeit deutlich unter 500 ms.