Schlüsselwörter
distale Femurfraktur - Patellafraktur - Tibiakopffraktur - floating knee
Key words
distal femur fracture - patellar fracture - tibial fracture - floating knee
Abkürzungen
AO:
Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese
CRPS:
Complex regional Pain Syndrome
DCS:
Damage Control Surgery
HKB:
hinteres Kreuzband
K-Draht:
Kirschner-Draht
LCP:
Low Compression Plate
LISS:
Low invasive Stabilisation System
MPFL:
Lig. patellofemorale mediale
ORIF:
offene Reposition und interne Fixation
TEP:
Totalendoprothese
VAC:
Vacuum assisted Closure
VKB:
vorderes Kreuzband
Einleitung
Als größtes zusammengesetztes Gelenk des menschlichen Körpers zählt das Kniegelenk zu einer der am häufigs ten verletzten Gelenkregionen. Neben den ligamentären Verletzungen, Meniskus- und Knörpelschäden kommen häufig intra- und extraartikuläre Frakturen dazu. Das komplexe biomechanische Zusammenspiel der femorotibialen und femoropatellaren Gelenkfläche zusammen mit den Menisken sowie Seiten- als auch intraartikulären Kreuzbändern ermöglicht eine biomechanisch einzigartige Kinematik. Die anatomische und belastungsstabile Rekonstruktion komplexer osteoligamentärer Verletzungen stellt daher eine enorme Herausforderung selbst für erfahrene Operateure dar.
Die Bandbreite des Pathomechanismus von Verletzungen reicht von Low-Energy-Traumata über einfache Sportverletzungen bis hin zum Hochrasanztrauma/Polytrauma. Es können einfache Distorsionen, knöcherne Bandausrisse, Eminentiaabrissfrakturen, einfache Impressionsbrüche bis hin zu komplexen Luxationsfrakturen mit schweren offenen oder geschlossenen Weichteilschäden beobachtet werden.
Eine Sonderstellung nehmen die Patellafrakturen mit ihren unterschiedlichen Frakturmustern ein. Da die Patella als größtes Sesambein des Körpers eine strukturelle wie funktionelle Schlüsselrolle für den Streckapparat des Kniegelenks besitzt, ist eine anatomische Rekonstruktion und Schaffung einer übungsstabilen Situation essenziell. Neben einfachen Polabrissen und Längsfrakturen können auch komplexe Trümmerfrakturen beobachtet werden, wie sie z. B. als Folge einer „Dashboard Injury“ vorkommen [1].
Die Therapieentscheidung für eine primäre Ausversorgung oder früh-/spät-sekundäre Rekonstruktion ist dabei von zahlreichen Faktoren abhängig wie
-
dem Schweregrad des assoziierten offenen oder geschlossenen Weichteilschadens,
-
dem Frakturtyp,
-
der Anzahl und Schwere von zusätzlichen Verletzungen (Poly- vs. Monotrauma), aber auch
-
von patientenspezifischen Faktoren wie
Polytraumatisierte Patienten werden nach dem Damage-Control-Konzept (DCS) versorgt. Es erfolgt i. d. R. initial eine temporäre Stabilisierung des Kniegelenks mittels übergreifendem Fixateur externe. Bei offenen Verletzungen schließt sich an diese Operation ebenfalls das Wund- und Weichteilmanagement mit Wunddébridement, Probenentnahme für die Mikrobiologie, Spülung und temporärer Weichteildeckung mit entweder synthetischem Hautersatz (Epigard) oder einem VAC-Verband an.
Im Folgenden soll eine Übersicht über Frakturen des distalen Femurs, der Patella und des Tibiakopfes gegeben werden.
Allgemeine Diagnostik: distale Femur-, Tibiakopf- und Patellafrakturen
Allgemeine Diagnostik: distale Femur-, Tibiakopf- und Patellafrakturen
Klinische Untersuchung
Wie bei allen Schaft- und Gelenkfrakturen sind sichere und unsichere Frakturzeichen wegweisend für die klinische Diagnose:
In der klinischen Untersuchung imponieren die schmerzbedingt aufgehobene oder eingeschränkte Kniegelenkbeweglichkeit und eine zusätzlich zum Hämarthros vorliegende Weichteilschwellung sowie evtl. Prellmarken und Kontusionen oder Abschürfungen [3].
Nahezu alle kompletten Patellafrakturen kommunizieren mit dem Kniegelenk und haben einen blutigen Kniegelenkerguss zur Folge. Neben der Fraktur kann auch ein Riss des medialen und lateralen Retinaculums vorliegen; dies äußert sich in der Unfähigkeit, das Knie zu strecken.
Merke
Die Fähigkeit, das Knie aktiv zu strecken, schließt eine Patellafraktur nicht aus.
Bei Patellafraktur ist u. U. eine Kniestreckung noch möglich, wenn der Reservestreckapparat noch intakt ist, und selbst bei gerissenem Reservestreckapparat können sekundäre Knieextensoren wie der Tractus iliotibialis oder die Adduktoren eine Streckung ermöglichen.
Praxistipp
Bei der klinischen Untersuchung der Streckfähigkeit darf der Patient das Bein daher nicht innen- oder außenrotieren [2].
Bildgebende Verfahren
Für die Bildgebung ist eine konventionelle Röntgenaufnahme des Kniegelenks in 2 Ebenen sowie ggf. des Ober- und Unterschenkels in 2 Ebenen unerlässlich.
Für alle intraartikulären Frakturen wie auch für bestimmte extraartikuläre Frakturmuster ist die CT-Diagnostik mit multiplanaren Rekonstruktionen zwingend erforderlich. Zur besseren Beurteilung der femoralen oder tibialen Gelenkfläche kann zudem durch moderne 3-D-Imaging-Verfahren der Femurkondylus oder aber auch das tibiale Plateau digital subtrahiert werden.
Bei polytraumatisierten Patienten wie auch bei Frakturen mit Verdacht auf assoziierte Gefäßverletzung erfolgt das CT dann in Form eines Angio-CTs mit ebenfalls 2-D-/3-D-Rekonstruktionen.
Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) können im Rahmen des stationären Aufenthalts Begleitverletzungen am Bandapparat, Knorpel und den Menisken diagnostiziert werden. Als Notfalldiagnostikum hat die MRT-Untersuchung keinen vorrangigen Stellenwert (außer bei Kindern), obgleich okkulte Frakturen damit auch erkannt werden und der Nachweis von einem Bone Bruise an typischer Lokalisation einen Hinweis für zusätzliche Bandverletzungen geben und Rückschlüsse auf den Traumamechanismus erlauben kann.
Distales Femur
Bezogen auf alle Frakturen des erwachsenen Menschen beträgt die Inzidenz distaler Femurfrakturen 4,5/100 000 Einwohner/Jahr. Die Prävalenz distaler Femurfrakturen beträgt 0,4% und macht ca. 3 – 6% aller Frakturen am Femur aus [3], [5].
Häufig können suprakondyläre wie auch inter-/diakondyläre Frakturen des Femurs infolge von Niedrigrasanztraumata (z. B. einfacher Sturz), wie sie gehäuft bei älteren Menschen vorkommen, beobachtet werden. Eine vorbestehende Osteoporose, die mit einer geringeren Knochenqualität einhergeht, kann Frakturen begünstigen [6]. Aufgrund zunehmender Fallzahlen in der Endoprothetik und des erhöhten Aktivitätsniveaus geriatrischer Patienten kommt es darüber hinaus häufiger zu Frakturen des distalen Femurs im Rahmen periprothetischer und interprothetischer Frakturen bei einliegender Kniegelenk-TEP.
Jüngere Patienten ziehen sich distale Femurfrakturen zumeist im Rahmen einer Sportverletzung oder aber als Einzelverletzungskomponente bei einem Polytrauma zu. Während diese Verletzungen zumeist erhebliche offene/geschlossene Weichteilschäden aufweisen können und auch der Anteil an Luxationsfrakturen mit zusätzlichen ligamentären Begleitverletzungen vergleichsweise hoch ist, sind geriatrische Low-Energy-Traumata oder periprothetische Frakturen bei Osteoporose weniger häufig mit derartig schweren Begleitverletzungen assoziiert.
Die Versorgung von distalen Femurfrakturen richtet sich maßgeblich nach folgenden Faktoren:
-
dem Traumamechanismus,
-
dem assoziierten Weichteilschaden,
-
der Anzahl und Schwere zusätzlicher Verletzungen wie auch
-
den zugrunde liegenden Grund- und Begleiterkrankungen.
Bei Niedrigrasanztraumata kann i. d. R. eine primäre Osteosynthese erfolgen. Bei polytraumatisierten Patienten gilt das DCS [7].
Für die distale Femurfraktur ergibt sich eine Reihe von wesentlichen Begleitverletzungen, die unverzüglich entweder bei Eintreffen des Patienten oder aber direkt nach abgeschlossener Osteosynthese diagnostiziert werden müssen und z. T. mitentscheidend für den Operationszeitpunkt und das gewählte Therapieverfahren sind:
-
Nervenverletzungen:
-
N. tibialis
-
N. peroneus communis
-
Gefäßverletzungen:
-
ligamentäre Verletzungen:
-
Kreuzbänder
-
Kollateralbänder
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MPFL
-
Verletzungen des Innen- und Außenmeniskus
-
Knorpelverletzungen:
-
Impressionen
-
Kontusionen
-
Flake-Frakturen
-
Verletzungen des Streckapparates:
-
Quadrizeps/Patellarsehne
-
Tuberositas tibiae
Klassifikation
In der Literatur sind einige Einteilungen distaler Femurfrakturen beschrieben, z. B. die Klassifikation von Seinsheimer [9]. Weltweit am häufigsten verwendet wird die AO-Klassifikation (AO Foundation, www.aofoundation.org). Hier erfolgt die übliche Unterteilung in
-
extraartikuläre Typ-A-Frakturen (suprakondyläre Frakturen),
-
partiell intraartikuläre Typ-B-Frakturen (monokondyläre Frakturen) und
-
intraartikuläre Typ-C-Frakturen (bikondyläre Frakturen).
Allgemeines therapeutisches Vorgehen
Primäre Ziele der Frakturbehandlung von distalen Femurfrakturen sind
-
frühe Schmerzfreiheit,
-
anatomische Wiederherstellung der Gelenkflächen,
-
Rekonstruktion von Länge, Achse und Rotation des meta-/diaphysären Knochens mit
Merke
Die distale Femurfraktur ist eine klare Domäne der operativen Therapie.
Eine konservative Therapie würde eine 6- bis 12-wöchige Ruhigstellung in einer Extensionsbehandlung mit nachfolgender Oberschenkelgipsschiene und nach ausreichender Weichteilkonsolidierung in einem Oberschenkeltutor erfordern. Eine frühfunktionelle Nachbehandlung wäre nicht möglich. Auf Länge, Achse, Rotation kann kaum Einfluss genommen werden. Die Gefahr von sekundären Komplikationen wie z. B. Pneumonien, Dekubitalulzera oder Thrombosen ist massiv erhöht. Außerdem wäre mit einer Einsteifung des Kniegelenks zu rechnen sowie mit zahlreichen anderen Immobilisationsschäden. Daher wird die konservative Therapie selbst bei hochbetagten Patienten nur in Ausnahmefällen durchgeführt.
Fixateur externe vs. definitive Versorgung/Timing und Differenzialindikation
Die Differenzialindikation für die Anlage eines Fixateur externe oder aber für die definitive Osteosynthese hängt von einer Reihe prognostisch entscheidender Parameter ab. Die Fixateur-externe-Anlage ist das Verfahren der Wahl bei allen polytraumatisierten Patienten, die nach dem Damage-Control-Prinzip versorgt werden müssen, da ein „Second Hit“, der mit der definitiven Versorgung einhergehen würde, so zu verhindern ist [10].
Des Weiteren findet der Fixateur externe primäre Anwendung bei allen Frakturen mit schweren offenen oder geschlossenen Weichteilschäden, bei denen erst nach Konsolidierung der Weichteile eine extra- oder intramedulläre Versorgung stattfinden kann. Nicht selten kann auch bei pädiatrischen Frakturen der Fixateur externe das primäre Verfahren der Wahl sein und in ausgewählten Fällen bis zur Ausbehandlung angewendet werden [11].
Eine definitive interne osteosynthetische Fixation (ORIF-Versorgung) ist üblicherweise innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Unfall anzustreben. Dies sollte insbesondere bei Niedrigrasanztraumata realisierbar sein. Bei geriatrischen Patienten ist dadurch die prognostisch maßgeblich entscheidende frühe Mobilisation dieser hoch morbiden Patienten möglich.
Operative Technik
Prinzipiell gelten die biomechanischen Grundprinzipien der Frakturversorgung im Gelenk- und meta-/diaphysären Bereich uneingeschränkt auch für das distale Femur. Intraartikuläre dislozierte Frakturen (B-/C-Verletzungen) erfordern die anatomische Rekonstruktion des Gelenkblocks nach den Prinzipien der absoluten Stabilität (interfragmentäre Kompression über Klein-/Großfragmentzugschrauben) über einen parapatellaren Zugang. Unverschobene Gelenkfrakturen können auch mittels perkutaner Schraubenosteosynthese minimalinvasiv in gleicher Art und Weise versorgt werden. Meta-/diaphysäre Trümmerzonen werden dagegen nach den Prinzipien der relativen Stabilität mit Wiederherstellung der Länge, Achse und Rotation osteosynthetisch überbrückt.
Entsprechend dem zugrunde liegenden Frakturtyp finden unterschiedliche Implantate Verwendung. Während die meisten Typ-A-, -B- und -C-Verletzungen klare Domäne der extramedullären Plattenfixateursysteme sind, können für extraartikuläre Typ-A-Frakturen auch intramedulläre Kraftträger, wie z. B. der distale Femurnagel, in minimalinvasiver Technik eingesetzt werden. Retrograde Marknägel sind dabei über kleine Zugänge minimalinvasiv mit winkelstabilen Verriegelungstechniken einsetzbar, v. a. aber auch bei Kettenverletzung (Femur + Tibia) ipsilateral. Hier kann man über einen Zugang sowohl das Femur retrograd, als auch Tibia antegrad mittels Marknagel versorgen. Sie stellen aber hinsichtlich der Vermeidung von sekundären Fehlstellungen im metaphysären Bereich und bei einliegenden Knieprothesen (Cave: nur bei „Open-Box-Design“ möglich) erhöhte Anforderungen an die operative Technik (siehe [Abb. 1]). Der Einsatz von zusätzlichen Pollerschrauben oder temporären Pollerdrähten zur Vermeidung einer eventuellen Varus-/Valgus-/Ante-/Retro-Kurvationsfehlstellung kann dabei notwendig werden.
Abb. 1 53 Jahre alter Patient nach Pkw-Unfall mit distaler Femurfraktur AO 33 A3.3 (a). Es zeigt sich ein drittgradig geschlossener Weichteilschaden mit zirkumferentem (360°) Décollement der Weichteile sowie ausgeprägter metaphysärer Trümmerzone und intaktem Gelenkblock. Am Unfalltag wurden die kniegelenküberbrückende Transfixation mit Fixateur externe und das Débridement sowie die temporäre Weichteildeckung mit synthetischem Hautersatz (Epigard) durchgeführt. b Das Bild zeigt die postoperative Kontrolle nach Osteosynthese mit retrogradem Femurnagel, der über einen Zugang außerhalb der geschädigten Weichteile retrograd über das Kniegelenk eingebracht werden konnte. c Zwei Jahre postoperativ mit konsolidierter Fraktur. d Vollständige Implantatentfernung bei in korrekter Länge, Achse und Rotation konsolidierter Fraktur.
Merke
Die gängigen Plattenfixateursysteme sind heutzutage sowohl über parapatellare als auch minimalinvasive laterale Zugänge mit polyaxialer Kopfverriegelungsschraubenfixation einsetzbar und bieten unschätzbare Vorteile in der Fixation komplexer Verletzungen wie auch in der Versorgung osteoporotischer und periprothetischer Frakturen ([Abb. 2] und [3]).
Abb. 2 a Unfallbilder einer 81 Jahre alten Patientin mit Zustand nach Stolpersturz und mehrfragmentärer Femurschaftfraktur links (AO 32.B2). b Limitiert-offener Zugang mit perkutaner K-Draht-Spickung distal und anatomischer Reposition mittels Repositionszange und kollinearer Repositionsklemme. c Nach anatomischer Rekonstruktion, einschieben einer 16-Loch VA-LCP (Fa. Synthes®) mit einer Zugschraube.
Abb. 3 a 44 Jahre alter Sportschütze mit Schussbruch der medialen Femurkondyle. b Durch einen medialen parapatellaren Zugang wurde minimalinvasiv der Gelenkblock wieder anatomisch durch eine mediale winkelstabile Platte (Tomofix, Fa. Depuy Synthes) fixiert und zusätzlich abgestützt. Die Röntgenaufnahme zeigt die Kontrolle nach 2 Monaten mit regelrechter Implantatlage und anatomisch rekonstruierter medialer Femurkondyle.
Tibiakopffrakturen
Die häufigsten Ursachen für Tibiakopffrakturen sind Stürze und Verkehrsunfälle. Diese Frakturen können komplexe akute wie auch späte Komplikationen mit sich bringen, wie z. B.
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Kompartmentsyndrom,
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Reflexdystrophie (komplexes regionales Schmerzsyndrom, CRPS),
-
posttraumatische Gelenksteife/Arthrofibrose und Gonarthrose.
Zudem können eine nicht stufenlos rekonstruierte Gelenkfläche, persistierende ligamentäre Instabilitäten, akuter/chronischer Meniskusschaden oder eine Achsfehlstellung zur posttraumatischen Gonarthrose führen. Diese Verletzungsfolgen können auch bei rein extraartikulären Frakturen auftreten.
Praxis
Prinzip
Ziel jeder Therapie sollte daher die Wiederherstellung der anatomischen Gelenkflächen, Achsverhältnisse und der stabilen Bandführung sein. Dabei sollte die Osteosynthese so stabil sein, dass eine frühe funktionelle Nachbehandlung möglich ist.
Prinzipiell ist das laterale Plateau häufiger frakturiert, und das mediale Plateau ist dann bei schwerwiegenderen Traumata und Luxationsmechanismen mitbetroffen. Der Anteil offener und geschlossener Weichteilschäden ist entsprechend höher. Die weltweit am häufigsten verwendete Einteilung der offenen Weichteilschäden erfolgt nach Gustilo und Anderson und die der geschlossenen Weichteilschäden nach Tscherne und Oestern ([Tab. 1] und [2]).
Tab. 1 Klassifikation offener Frakturen nach Gustilo und Anderson.
Einteilung
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Kennzeichen
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Typ I
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Typ II
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Typ III a
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Typ III b
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Typ III c
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Tab. 2 Klassifikation von geschlossenen Frakturen nach Tscherne und Oestern.
Einteilung
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Kennzeichen
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Typ 0
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Typ I
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Typ II
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Typ III
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ausgedehnte Hautkontusion, -quetschung oder Zerstörung der Muskulatur
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subkutanes Décollement
-
manifestes Kompartmentsyndrom
-
Verletzung eines Hauptgefäßes
-
schwere Frakturformen
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Häufiger als am distalen Femur sind aufgrund des unterschiedlichen Weichteilmantels Tibiakopf- und proximale Tibiafrakturen mit einem erhöhten Risiko für ein assoziiertes Kompartmentsyndrom vergesellschaftet. Insbesondere die weit in die meta-/diaphysäre Region reichenden Frakturverläufe oder Frakturen mit zusätzlicher Schaftkomponente führen zum sprunghaften Anstieg des Kompartmentsyndromrisikos.
Merke
Ein manifestes Kompartmentsyndrom erfordert eine notfallmäßige Dermatofasziotomie, die bei nachfolgend notwendiger lateraler/posterolateraler osteosynthetischer Rekonstruktion die späteren Zugänge berücksichtigen sollte. Eine Anpassung der Schnittführung zur Dermatofasziotomie nach ventral kann dann eine spätere anterolaterale Plattenfixation über denselben Zugang erlauben.
Auch hier gilt bei polytraumatisierten Patienten das DCS mit temporärer Stabilisierung mittels kniegelenkübergreifendem Fixateur externe. Gleiches gilt für Frakturen mit schweren offenen und geschlossenen Weichteilschäden. Auch hier sollte die Platzierung der Fixateur-Pins spätere Zugänge berücksichtigen und innerhalb der bekannten „Safe Zones“ in ausreichendem Abstand zur Fraktur erfolgen.
Klassifikationen
Für die Tibiakopffrakturen existiert eine Vielzahl von Klassifikationen. Während im angloamerikanischen Sprachraum vor allem die Klassifikation nach Schatzker et al. (1979) [8] verwendet wird, ist im deutschen Sprachraum ist die AO-Klassifikation am weitesten verbreitet. Hier erfolgt die Unterteilung in 3 unterschiedliche Gruppen ([Tab. 3]).
Tab. 3 Einteilung der Tibiakopffrakturen (AO-Klassifikation).
Einteilung
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Kennzeichen
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Gruppe A
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Frakturen ohne Beteiligung der Gelenkflächen: Zu dieser Gruppe zählen auch isolierte Eminentiaausrisse.
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Reine Eminentiaausrisse (AO A1) werden zudem aber auch nach Meyers und McKeever [12] klassifiziert.
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Gruppe B
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Gruppe C
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bikondyläre Frakturen
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Trümmerbrüche
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Eine weitere ebenfalls häufig verwendete Einteilung, die auch den Traumamechanismus berücksichtigt, geht auf Tscherne et al. [13] zurück. Danach werden unterschieden:
-
Plateaufrakturen
-
Luxationsfrakturen
-
Trümmerfrakturen
Moore [14] hat eine Klassifikation für Luxationsfrakturen erarbeitet ([Tab. 4]).
Tab. 4 Klassifikation für Luxationsfrakturen nach Moore [14].
Einteilung
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Kennzeichen
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Typ I
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dorsaler Kondylenspaltbruch, bedingt durch den luxierenden Femurkondylus
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aufgrund des Unfallmechanismus ist dieser Frakturtyp häufig mit Rupturen des vorderen Kreuzbandes vergesellschaftet
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Typ II
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Typ III
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Kapsel-Band-Ausrisse (z. B. Eminentiaausriss)
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häufige Begleitverletzungen bei diesem Frakturtyp: Kreuzbandrupturen (VKB, HKB)
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Typ IV
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Typ V
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Allgemeines therapeutisches Vorgehen
Primäre Ziele der Frakturbehandlung von Tibiakopffrakturen sind:
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anatomische Wiederherstellung der Gelenkfläche
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Wiederherstellung der anatomischen Achsverhältnisse
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Erreichen einer unter Belastung bandstabilen Gelenkführung (insbesondere bei Luxationsfrakturen)
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frühfunktionelle Nachbehandlung
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Therapie von Begleitverletzungen v. a. Meniskus-Refixation und Naht sind entscheidend für das Outcome.
Fixateur externe vs. definitive Versorgung/Timing und Differenzialindikation
Die Therapiestrategie wird bestimmt durch
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Frakturtyp,
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initialen Weichteilschaden,
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zugrunde liegende Knochenqualität und
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den funktionellen Anspruch des Patienten.
Analog zum therapeutischen Vorgehen bei distalen Femurfrakturen erfordern Tibiakopfbrüche bei schwerverletzten Patienten mit schweren Weichteilschäden eine initiale Fixateur-externe-Anlage. Dieses Verfahren erlaubt eine suffiziente Reposition und schnelle temporäre Stabilisierung auch komplexer und dislozierter Frakturmuster.
Merke
Durch Ligamentotaxis kann die Anatomie des Tibiakopfes annähernd akut wiederhergestellt und eine suffiziente geschlossene Reposition erzielt werden.
Als Fixateursystem eignen sich monolaterale röntgendurchlässige Carbonstangen-Fixateur-Systeme (z. B. AO-Fixateur, Hoffmann-Fixateur). Die Platzierung der Pins erfolgt bei kniegelenküberbrückender Transfixation in den „Safe Zones“ (s. Übersicht) mit sicherem Abstand zur Fraktur und wenn möglich zum künftigen Plattenlager.
In einzelnen Fällen können große Tuberositasfragmente oder dislozierte Kondylusanteile durch den Muskelzug zu einer relevanten und weichteilschädigenden Dislokation führen, sodass dann eine temporäre oder definitive K-Draht- oder Schraubenosteosynthese notwendig wird ([Abb. 4]).
Abb. 4 58 Jahre alter Patient nach Unfall bei Baumfällarbeiten. a Unfallbilder: zweitgradig offene proximale Tibiakopffraktur AO 41/42 C.2. b CT-Angiografie mit 3-D-Rekonstruktion. Es zeigt sich eine regelrechte Kontrastierung der A. femoralis superficialis und der A. poplitea rechts ohne Hinweis auf Gefäßverletzungen. Ausgeprägte Trümmersituation mit Dislokation des Tuberositasfragmentes durch den Zug der Patellarsehne und Schaftdislokation nach ventral mit beginnender Kontusionsmarke und Décollement. c Am Unfalltag erfolgt die kniegelenküberbrückende Transfixation mit Fixateur externe. Zusätzlich werden die ante perforationem liegenden Knochenfragmente durch 2 K-Drähte retiniert und fixiert. d Nach Weichteilkonditionierung erfolgt die operative Versorgung mittels limitiert offener Reposition und winkelstabiler Doppelplattenosteosynthese der proximalen Tibia (LCP 3,5 mm medial und lateral) und Spongiosaplastik und VAC-Verband. Im Verlauf konnte die Haut komplikationslos mit Mesh vom ipsilateralen Oberschenkel gedeckt werden.
Der Verfahrenswechsel auf die definitive Osteosynthese erfolgt nach Konsolidierung des Gesamtzustandes des Patienten und/oder der Weichteile. Gegenstand fortlaufender, z. T. kontroverser Diskussionen ist immer wieder der optimale Zeitpunkt des Verfahrenswechsels in Hinsicht auf Infektraten und den Erfolg der knöchernen Heilung. So konnten Winkler et al. [15] für insgesamt 88 Patienten mit diaphysärer Femurfraktur (davon 48 bei Polytrauma) beim überwiegenden Teil den Verfahrenswechsel innerhalb der ersten 2 Wochen durchführen. Am Unterschenkel scheint die Datenlage heterogener. Während ältere Arbeiten Verfahrenswechsel erst nach 6 Wochen empfehlen, weisen jüngere Arbeiten darauf hin, dass ein Verfahrenswechsel innerhalb der ersten 14 Tage möglich ist.
Merke
Alle Arbeiten zeigen übereinstimmend, dass die Infektrate (Osteitis, Markraumphlegmone) umso höher ist, je später die Konversion von Fixateur externe auf das definitive Osteosyntheseverfahren erfolgt.
Daher empfehlen manche Autoren bei länger als 2 – 3 Wochen dauernder Transfixation eine zweizeitige Konversion (intermittierender Cast). Ein ähnlicher kausaler Zusammenhang scheint für die knöcherne Heilung zu bestehen. Auch hier konnten sowohl femoral als auch tibial höhere knöcherne Heilungsraten festgestellt werden, wenn der Verfahrenswechsel sehr früh erfolgt ist [16], [17].
Konservative Versorgung
Einfache, unverschobene Brüche können konservativ behandelt werden. Typische Beispiele für eine konservative Therapie sind nicht oder wenig verschobene Kantenfragmente (posteromediales Kantenfragment, anterolaterales Kantenfragment, posterolaterales Kantenfragment), sofern sie nicht Verletzungskomponenten eines übergeordneten Luxationsmechanismus darstellen und damit komplexere ligamentäre Rekonstruktionsverfahren erfordern (Segond-Fraktur).
Allerdings geht selbst bei geriatrischen Patienten der allgemeine Trend zur operativen, zumeist minimalinvasiven Versorgung selbst unterschobener Frakturkomponenten, da es im Rahmen der erwünschten frühen Mobilisierung ansonsten zu sekundären Dislokationen kommen kann.
Begleitverletzungen
Das Kniegelenk mit Tibiakopffraktur ist klinisch wegen der Schmerzen und aufgrund der Dislokationsgefahr schwer zu untersuchen. Deshalb ist in diesen Fällen eine erweiterte Diagnostik mit MRT zur Erfassung von Begleitverletzungen unverzichtbar, z. B. VKB-Ruptur, HKB-Ruptur, Ruptur des posterolateralen Bandkomplexes und Meniskusverletzungen. Bei diesen Begleitverletzungen sollte bei entsprechender Indikation die begleitende Bandläsion primär oder sekundär mitversorgt werden.
Operative Versorgung
Arthroskopisch gestützte Verfahren
Arthroskopisch gestützte Operationstechniken sind indiziert bei
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gering dislozierten Spaltbrüchen,
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Impression im mittleren oder hinteren Gelenkabschnitt,
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Eminentiafrakturen (AO A1, B1–3),
-
arthroskopisch-assistierte ORIF oder auch Frakturoskopie zur Visualisierung der stufenfreien Reposition.
Gegenüber offenen Verfahren bietet die arthroskopisch gestützte Versorgung von Tibiakopffrakturen Vorteile [18], [19], [20], [21]:
-
weichteilschonende Reposition und Osteosynthese über Stichinzisionen; Weichteilkomplikationen viel seltener als bei offenen Verfahren
-
arthroskopisch exakte Beurteilung der Gelenkflächen (Repositionskontrolle) und Diagnostik und Therapie weiterer intraartikulärer Kniebinnenschäden
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Überprüfung der Qualität der erzielten Reposition genauer als bei den offenen Verfahren
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sofortige operative Versorgung ggf. vorliegender Meniskusläsionen möglich
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geringere Morbidität
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einfachere postoperative Mobilisation
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postoperative Verweildauer kürzer
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Inzidenz postoperativer Arthrofibrosen geringer
Minimalinvasive, perkutane Schrauben-/Plattenosteosynthese
Bei unverschobenen Spaltbrüchen ohne Notwendigkeit der offenen Reposition der Gelenkfläche und Spongiosaplastik kann die Fixation perkutan über Stichinzision und über Zugschraubenosteosynthese erfolgen. Klassischerweise kommen hier Großfragmentspongiosaschrauben mit Kurzhalsgewinde und Unterlegscheibe zum Einsatz. Alternativ oder additiv können sogar über kleine extraartikuläre Zugänge minimalinvasive Plattenosteosynthesen verwendet werden, die nach dem LCP-Prinzip perkutane Verriegelungsschraubenfixation erlauben. In beiden Fällen kann das Repositionsergebnis entweder arthroskopisch assistiert oder durch 3-D-Scan kontrolliert werden.
Offene Reposition und interne Fixation (ORIF)
Indikationen für ein offenes Vorgehen über mediale, posteromediale, laterale, posterolaterale oder dorsale Zugänge sind ausgedehnte multifragmentäre Gelenksituationen, die neben dem Ablösen der Menisken und der teilweisen Einsichtnahme in die Gelenkebene auch die Notwendigkeit der auto-/homologen Spongiosplastik erfordern. Die Wahl und Kombination der Zugänge hängen ab von folgenden Faktoren:
Auch bei den offenen Repositions- und Osteosyntheseverfahren ist ein Trend zu geringerer Invasivität zu verzeichnen. So erfolgt auch beim offenen Vorgehen im Gelenkbereich die Plattenfixation am Schaft primär perkutan. Die Osteosynthese sollte so stabil sein, dass eine frühfunktionelle Nachbehandlung möglich ist ([Abb. 4 d]).
Ilizarov-Fixateur mit/ohne Hybridkonstrukt
Ringfixateure haben nach wie vor einen festen Stellenwert in der Behandlung von Tibiakopf- und proximalen Tibiafrakturen. Werden diese in Kombination mit monolateral eingebrachten Schanz-Pins verwendet, spricht man von Hybridfixateuren.
Die typischen Indikationen für dieses Verfahren sind insbesondere Situationen nach dem Scheitern aller extramedullären und intramedullären Therapieverfahren, überstandenen oder manifesten Infekten und nach schweren offenen/geschlossenen Weichteilschäden, die keine weitere oder erneute interne Fixation erlauben. Diese Verfahren gestatten zudem bei segmentalen Defekten eine zusätzliche Distraktion (Segmenttransport) zur Wiederherstellung der Knochenkontinuität und Beinlänge.
Merke
Ringfixateure stellen oftmals die letztmögliche zur Verfügung stehende Osteosynthesetechnik im Rahmen des Extremitätenerhalts dar (s. u., [Abb. 7]).
Patellafrakturen
Patellafrakturen kommen mit ca. 1% aller Skelettverletzungen relativ selten vor, wobei die Inzidenz bei Männern doppelt so hoch ist wie bei Frauen. Überwiegend finden sich diese Frakturen bei Patienten im Alter zwischen 20 und 50 Jahren [22]. Der überwiegende Anteil der Patellafrakturen ist geschlossen, 6 – 7% imponieren als offene Patellafraktur [23].
Die Unfallursachen sind (in absteigender Häufigkeit) [24]:
Patellafrakturen können isoliert anzutreffen sein oder im Rahmen einer Polytraumatisierung.
Definition
Dashboard Injury
Nicht selten liegen bei einer Patellafraktur, die im Rahmen eines Polytraumas entstanden ist, eine zusätzliche Tibiakopffraktur, eine distale Femurfraktur oder aber auch Hüftgelenks- und Azetabulumfrakturen vor. Solche Kettenverletzungen werden auch als Dashboard Injury bezeichnet.
Klassifikation
Prinzipiell kann man an der Patella folgende Frakturtypen unterscheiden:
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Querfrakturen
-
Mehrfragmentfrakturen
-
Längsfrakturen
-
osteochondrale Frakturen
Detailliertere Einteilungen von Patellafrakturen erlauben
-
die Klassifikation nach Rogge, Oestern und Gossé,
-
die Klassifikation nach Speck und Regazzoni [25] sowie
-
die AO-Klassifikation.
Klassifikation nach Rogge, Oestern und Gossé
Die Klassifikation nach Rogge et al. [26] unterscheidet unabhängig vom Dislokationsgrad anhand des Frakturverlaufs und der Frakturlokalisation die in [Tab. 5] beschriebenen Frakturtypen.
Tab. 5 Klassifikation der Patellafraktur nach Rogge, Oestern und Gossé [26].
Einteilung
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Kennzeichen
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Typ 1
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obere Polfraktur
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Typ 2
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untere Polfraktur
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Typ 3
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Querfraktur
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Typ 4a
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mediale Längsfraktur
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Typ 4b
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laterale Längsfraktur
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Typ 4c
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zentrale Längsfraktur
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Typ 5
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Sternfraktur
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Typ 6
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Mehrfragmentfraktur
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Typ 7
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Trümmerfraktur
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AO-Klassifikation
Die AO-Klassifikation unterscheidet wie bei den gelenknahen Frakturen der langen Röhrenknochen folgende Frakturtypen:
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extraartikuläre Frakturen (Typ A)
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partiell intraartikuläre Frakturen (Typ B)
-
komplette intraartikuläre Frakturen (Typ C)
Dabei erfolgt mit zunehmender Frakturschwere eine weitere Unterteilung.
AO-Klassifikation in der Modifikation von Speck und Regazzoni
Diese Einteilung orientiert sich nicht am Ausmaß der Gelenkbeteiligung, sondern vornehmlich am Frakturverlauf, der Frakturlokalisation sowie dem Ausmaß der Dislokation und berücksichtigt die aus der Klassifikation resultierende Therapie [3], [25].
Definitive Versorgung/Timing und Differenzialindikation
Patellafrakturen werden bei operativer Indikation fast immer primär osteosynthetisch ausversorgt und erlauben keine externe Fixation zur proximalen Tibia oder zum distalen Femur. Bei polytraumatisierten Patienten erfolgt die Ruhigstellung entweder in einer Streckschiene oder bei Kettenverletzungen ggf. im Fixateur externe oder Oberschenkelcast. Offene Frakturen erfordern
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ein radikales Débridement,
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eine Entfernung der meist zerrissenen und kontaminierten Bursa praepatellaris und
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einen definitiven Weichteilverschluss (keine Exposition von Patellaoberfläche, keine Epigarddeckung).
Sollte aus anderen Gründen eine primäre Versorgung der z. T. komplexen Frakturtypen nicht möglich sein, so müssen das Débridement und der Weichteilverschluss mit sekundärer Notwendigkeit der Revision zur definitiven Osteosynthese durchgeführt werden. Die Form des Osteosyntheseverfahrens hängt dabei vom Frakturtyp, dem Weichteilschaden und der Knochenqualität ab.
Primäre Ziele sind
Dabei kommen perkutane Verfahren (Zugschrauben, Cerclagen – zirkulär oder durch kanülierte Schrauben bis hin zu speziellen Plattenosteosynthesen) zum Einsatz. Bei osteochondralen Flake-Frakturen können mittels Kopfraumfräse versenkte Schrauben, Smart Nails oder Ethipins (Fa. Ethicon, USA) verwendet werden.
Allgemeines therapeutisches Vorgehen
Konservative Behandlung
Indikationen zur konservativen Therapie sind
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Patellalängsfrakturen ohne Gelenkstufe und ohne wesentliche Dislokation mit erhaltenem Streckapparat (gute Indikationen) [27],
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Patellaquerfrakturen, Mehrfragmentfrakturen oder Trümmerfrakturen, die eine Gelenkstufe von weniger als 2 mm aufweisen und mit intaktem Streckapparat,
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sehr distale und proximale Frakturen ohne Beteiligung der Gelenkfläche [27], [28].
Praxis
Tipp
Auch wenn nicht dislozierte Patellafrakturen mit erhaltenem Streckapparat gut und erfolgreich konservativ behandelt werden können, kann eine plötzliche Kontraktion des M. quadriceps die sekundäre Dislokation der Fragmente zur Folge haben. Deshalb sollte eine konservative Therapie nur durchgeführt werden bei den unverschobenen Querfrakturen, die bei 40 °Knieflexion keine Dislokation aufweisen.
Darüber hinaus sollte eine radiologische Verlaufskontrolle erfolgen, um eine eventuell doch vorhandene Dislokationstendenz, auch bei Längsfrakturen infolge des Zuges der Retinacula, zu erkennen [3].
Operative Therapie
Zuggurtungsosteosynthese
Merke
Die am besten akzeptierte und am weitesten verbreitete Technik zur Behandlung der dislozierten Patellafraktur stellt die modifizierte Zuggurtungsosteosynthese dar. Sie bietet darüber hinaus die Möglichkeit, bei nahezu allen Frakturformen angewendet werden zu können [3], [29].
Im Vergleich zum monofilen Draht bieten geflochtene Drähte (Kabelsysteme) deutliche Vorteile. So konnte biomechanisch gezeigt werden, dass der geflochtene Draht bei der Patellaquerfraktur nicht nur eine signifikant geringere Dislokation unter der zyklischen Belastung aufweist, sondern auch bez. der Ergebnisse konstanter ist [3], [30], [31]. Allerdings wird derzeit noch überwiegend Edelstahldraht zur Zuggurtung eingesetzt.
Schraubenosteosynthese und kanülierte Schraubenosteosynthese mit Zuggurtung
Im eigenen Vorgehen wird die Schraubenosteosynthese mit und ohne Unterlegscheibe als Verfahren der Wahl angesehen. Sie bietet sich bei einfachen Querfrakturen sowie bei mehrfragmentären Querfrakturen an, bei denen die Fragmente groß genug sind und sich gut ineinander einpassen lassen.
Die Kombination von Schrauben und Zuggurtungsdraht hat sich biomechanisch stabiler als singuläre Zuggurtungsosteosynthese gezeigt [32]. Die beiden Schrauben dienen dabei zur Längsstabilisierung.
Der 1,2 mm starke Cerclage-Draht wird nahe der Patellabasis hinter den Schrauben durch einen quer verlaufenden transossären Kanal geführt und hinter den Schrauben um den distalen Pol gelegt [2]. Um eine maximale Kompression zu erreichen, müssen die Schrauben versenkt werden. Dadurch wird die Verankerung des Cerclage-Drahtes an den Schrauben jedoch erschwert. Diese anspruchsvolle Technik kann nur bei 2 großen Hauptfragmenten angewendet werden [33], [34].
Merke
Die Kombination „kanülierte Zugschraube plus Zuggurtung“ lässt eine höhere Stabilität mit weniger Dislokationen und höheren Belastungen bis zum Versagen als jede der Methoden einzeln für sich betrachtet erwarten [34].
Aufgrund der biomechanischen Überlegenheit der kanülierten Schrauben mit Zuggurtung und wegen des geringeren Risikos der Migration von Osteosynthesematerial ist diese Osteosyntheseform ein sicheres Verfahren, sofern eine einfache Patellaquerfraktur mit guter Knochensubstanz vorliegt [3].
Polresektion, Teilpatellektomie und Patellektomie
Durch verbesserte Operationstechniken und Osteosynthesematerialien sind die o. g. Eingriffe in den Hintergrund getreten. Lediglich bei ausgedehnten offenen Trümmerbrüchen und komplikativen Infektverläufen wird eine Teilpatellektomie oder Patellektomie in Erwägung gezogen.
Als Indikation zur Teilpatellektomie wird bei Vorliegen einer distalen Trümmerzone in der Literatur übereinstimmend ein intaktes proximales Hauptfragment angegeben [35].
Es muss bedacht werden, dass sich durch die Resektion des unteren Patellapols der Abstand zwischen Patella und Tuberositas tibiae verringern kann und einen Patellatiefstand (Patella baja) mit Anstieg des patellofemoralen Anpressdrucks zur Folge hat mit zusätzlicher Einschränkung der Flexion [2], [3].
Die Patellektomie hat auch heute noch Bedeutung als Rettungsoperation bei posttraumatischen Infektionen oder osteosynthetisch nicht zu stabilisierenden Trümmerfrakturen der Patella. Bei schlechter Gewebequalität kann nach kompletter Patellektomie die Umkippplastik der Quadrizepssehne nach Miyakawa zur Augmentation der entstandenen Defektstrecke in Erwägung gezogen werden [3].
Praxis
Tipp
Zur Protektion der Rekonstruktion bei Eingriffen zur Wiederherstellung der Kontinuität am distalen Streckapparat des Kniegelenks mit transossärer Refixation der Patellarsehne wird üblicherweise eine patellotibiale Draht-Cerclage im Sinne einer McLaughlin-Cerclage durchgeführt [3]. Als zusätzliche Sicherung kann eine Äquatorial- oder Tonnen-Cerclage durchgeführt werden.
Plattenosteosynthese
Aufgrund der insgesamt relativ hohen Komplikationsraten für die Draht- und Cerclagen-Osteosynthese (22 – 53%) [36], [38] mit unbefriedigenden klinischen Ergebnissen wurden winkelstabile Implantate wie z. B. die SuturePlate (Fa. Arthrex, München, Deutschland) entwickelt. Ein Vorteil dieser anatomisch vorgeformten Implantate liegt in der erhöhten Stabilität, die grundsätzlich eine höhere Stabilität vor allem bei Mehrfragmentfrakturen bietet mit der Möglichkeit der frühzeitigen Bewegungsbeübung ([Abb. 5]). Dadurch kann einer postoperativen Bewegungseinschränkung suffizient entgegengewirkt werden. Biomechanische Untersuchungen am Kunstknochen konnten die Überlegenheit der winkelstabilen Plattenosteosynthese gegenüber der Zuggurtungsosteosynthese zeigen [38].
Abb. 5 68 Jahre alter Patient mit Z. n. Stolpersturz und dislozierter Patellatrümmerfraktur AO 34.C3 (a Unfallröntgenbilder). b Das CT zeigt das Ausmaß der multifragmentären Trümmersituation. c Offene Reposition und Retention mit 3 Kortikalisschrauben; Plattenosteosynthese (Fa. Arthex, SurturePlate), Refixation der Retinacula und Tonnen-Cerclage mit Fiberwire (Fa. Arthrex). d Postoperative Röntgenkontrolle. Nahezu stufenloses Repositionsergebnis mit regelrechter Implantatlage.
Floating Knee Injury
Unter einer „Floating Knee Injury“ versteht man die Kombination aus ipsilateraler Schaft- oder metaphysärer Femur- und Tibiafraktur (typisch: distale Femur- und proximale Tibiafraktur), die zu einem komplett instabilen Kniegelenk führt. Diese Form der Verletzung wurde erstmals durch Blake und McBryde (1975) beschrieben [39].
In der überwiegenden Anzahl der Fälle führen High-Energy-Traumata wie Verkehrsunfälle und Stürze aus großer Höhe zu einer Floating Knee Injury [39], [40]. Aufgrund der Verletzungskinematik sind die Patienten häufig polytraumatisiert. Als relevante Begleitverletzungen am Kniegelenk sind beschrieben [41], [42], [43]:
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Gefäßverletzungen (3 – 29%)
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Nervenverletzungen (10%), meist N. peroneus
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Läsionen der Kreuz- und Seitenbänder (30%)
Klassifikation
Eine allgemeinhin akzeptierte Klassifikation ist die nach Fraser et al. (1978). Bei dieser Klassifikation unterscheidet man zwischen extraartikulären Typ-I-Frakturen und Typ-II-Frakturen. Die Typ-II-Frakturen werden dann noch einmal nach der Knieverletzung unterschieden in A, B und C [44] ([Tab. 6]).
Tab. 6 Klassifikation der Floating Knee Injury nach Fraser [44].
Einteilung
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Kennzeichen
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Typ I
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extraartikuläre Fraktur
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Typ II A
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Tibiakopffraktur mit ipsilateraler Femurschaftfraktur
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Typ II B
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intraartikuläre distale Femurfraktur und Tibiaschaftfraktur
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Typ II C
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ipsilaterale Frakturen des Tibiakopfes und distalen Femurs
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Definitive Versorgung/Timing und Differenzialindikation
Polytraumatisierte Patienten werden nach dem Damage-Control-Prinzip behandelt und die ipsilateralen Femur- und Tibiafrakturen initial mit Fixateur externe stabilisiert. Patienten mit einem schweren geschlossenen Weichteilschaden sowie höhergradig offene Frakturen werden nach den generellen Prinzipien des Weichteilmanagements (Transfixation, Débridement, Fasziotomie, serielle Redébridements, ggf. plastische Deckung etc.) operativ versorgt. Kniebandverletzungen werden unter Berücksichtigung der sekundären Bandrekonstruktionsprinzipien chirurgisch ausversorgt.
Allgemeines therapeutisches Vorgehen
Das therapeutische Vorgehen richtet sich maßgeblich nach dem Traumamechanismus, der Weichteilsituation und den Komorbiditäten. [Abb. 6] zeigt einen zusammengefassten Behandlungsalgorithmus.
Abb. 6 Behandlungsalgorithmus bei Floating Knee Injury für Patienten mit Monotrauma oder Polytrauma.
Merke
Grundsätzlich gelten für die operative Versorgung der distalen Femur- und proximalen Tibiafraktur die oben bereits beschriebenen Therapieprinzipien und Konzepte.
In [Abb. 7] wird ein klinischer Fall einer jungen Patientin mit Floating Knee Injury dargestellt, vom Aufnahmebefund bis hin zur definitiven Frakturversorgung und dem Segmenttransport im Ilizarov-Ringfixateur.
Abb. 7 25 Jahre alte Patientin mit Floating Knee Injury Fraser Typ I (a). b Zweitgradig geschlossener Weichteilschaden femoral (AO 32.B2) und III c-gradig offener Weichteilschaden tibial (AO 42.A3.). Nach ausgiebigem Weichteildébridement, Kompartmentspaltung, primärer Verkürzung mit Resektion der Trümmerzone, dadurch ermöglichter primärer Gefäßnaht und Relaxation der Weichteile erfolgt die kniegelenküberbrückende Transfixation mit Fixateur externe (in 10° Beugestellung). c Röntgenkontrolle 8 Wochen nach retrogradem Femurnagel und Verriegelungsmarknagelosteosynthese an der Tibia mit zusätzlicher Schraubenosteosynthese am Innenknöchel. d Klinisch zeigen sich reizlose Weichteilverhältnisse mit einer relevanten Beinlängenverkürzung links von 5 cm. e Anlage eines Ilizarov-Ringfixateurs zum Segmenttransport über einliegendem Tibiamarknagel (Monorail-Technik). f Zwei Jahre nach Trauma und erfolgreichem Segmenttransport zeigt sich eine anatomisch wiederhergestellte Beinlänge mit regelhafter Achse und Rotation.