Einleitung
In Mitteleuropa sind Bienen- und Wespenstiche neben Medikamenten und Nahrungsmitteln die häufigsten Auslöser anaphylaktischer Reaktionen [1]
[2]
[3]; Hornissenstiche sind seltener, Hummelstiche eine Rarität. Bis zu 7,5 % der Mitteleuropäer erleiden mindestens einmal in ihrem Leben eine systemische Reaktion im Anschluss an einen Bienen- oder Wespenstich [1]. Etwa ein Viertel dieser Ereignisse wird in gängigen Anaphylaxie-Klassifikationssystemen als „schwer“ eingeordnet, geht also mit signifikanten und ggf. lebensbedrohlichen Symptomen an Herzkreislaufsystem und/oder Atemwegen einher [4]
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[10]
[11]. Tödlich verlaufende anaphylaktische Stichreaktionen gelten als äußerst selten; aktuell werden innerhalb eines Jahres 0,1 Todesfälle pro Millionen Einwohner geschätzt [12], wobei mit einer gewissen Dunkelziffer zu rechnen ist. Das individuelle Risiko, eine schwere oder sogar tödliche anaphylaktische Stichreaktion zu erleiden, bleibt im Laufe eines Menschenlebens nicht konstant, sondern ändert sich mit Lebensalter, Gesundheitszustand und nicht zuletzt auch durch persönliche Aktivitäten und Vorlieben. Darüber hinaus können Alter, Lebensumstände und Begleiterkrankungen die Therapiemöglichkeiten, bspw. die Verträglichkeit der Immuntherapie mit Bienen- und Wespengift beeinflussen.
Am Allergiezentrum Mainfranken wird jährlich bei rund 100 Patienten eine Allergie gegen Bienen- oder Wespengift neu diagnostiziert und eine Immuntherapie eingeleitet. Zu diesen Patienten zählen Kinder sowie Männer und Frauen verschiedenen Alters ([Abb. 1]) und in unterschiedlichen Lebensumständen. In der vorliegenden Übersichtsarbeit beschreiben wir unter umfassender Berücksichtigung der aktuellen Literatur die Risiken und Besonderheiten, welche bei der Diagnose, Therapie und Beratung von Patienten mit Bienen-/Wespengiftallergie in unterschiedlichen Lebensphasen zu beachten sind ([Abb. 2]).
Abb. 1 Altersverteilung von 1052 Patientinnen und Patienten der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Würzburg aus den Jahren 2004 bis 2016 zum Zeitpunkt der Einleitung einer Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift [16].
Abb. 2 Besondere Aspekte der Bienen-/Wespengiftallergie in verschiedenen Lebensphasen (IT = Immuntherapie).
Kindheit und Jugend
Kinder und Jugendliche werden beim Spiel oder sportlichen Aktivitäten im Freien häufig durch Bienen- oder Wespen gestochen. Anaphylaktische Stichreaktionen sind dennoch relativ selten, wobei die publizierten Daten breit streuen. Ältere epidemiologische Studien geben die Prävalenz der Bienen-/Wespengiftallergie, d. h. die Anamnese mindestens einer systemischen Stichreaktion in der Vorgeschichte, für pädiatrische Kollektive mit 0,3 – 0,4 % an [13]
[14], eine jüngere irische Auswertung berichtet über eine Rate von 1,5 % bei 4112 Schulkindern von 6 bis 13 Jahren, bezieht allerdings auch unbestätigte, anhand eines Fragebogens erfasste Fälle mit ein [15]. Übereinstimmend wird über einen im Vergleich zu Erwachsenen günstigeren Spontanverlauf der Bienen-/Wespengiftallergie im Kindesalter berichtet; entsprechende Beobachtungen beziehen sich sowohl auf eine geringere Schwere anaphylaktischer Stichreaktionen [16]
[17]
[18] als auch auf ein niedrigeres Rezidivrisiko bei wiederholten Stichen [19]. Mäßig oder schwer ausgeprägte Stichreaktionen bedeuten allerdings auch bei Kindern ein erhöhtes Risiko für Rezidivreaktionen mit entsprechendem Schweregrad [20]
[21] und werden daher übereinstimmend mit den Leitlinienempfehlungen für Erwachsene als Indikation für eine Immuntherapie angesehen [2]. Die Indikation sollte bei Klein- und Vorschulkindern grundsätzlich individuell gestellt werden [1], wobei es sich empfiehlt, bereits vor Therapiebeginn zu hinterfragen, ob mit einer ausreichenden Mitarbeit bei subkutanen Injektionen gerechnet werden kann. Studien und Fallserien belegen eine Wirksamkeit der Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift bei pädiatrischen Patienten [19]
[21]
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[23]
[24]
[25]. Diese gilt als sicher [16]
[22]
[24]
[26]
[27]
[28], wenngleich nur wenige Studien zu Nebenwirkungen einen direkten Vergleich zwischen pädiatrischen und erwachsenen Patienten erlauben [26]
[28]. In unserer eigenen Auswertung von 72 Einleitungszyklen einer Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift bei Kindern und Jugendlichen wurden ausschließlich gut beherrschbare allergische Therapienebenwirkungen, in der Mehrzahl der Fälle isolierte Hautreaktionen, d. h. eine Urtikaria, beobachtet, welche tatsächlich etwas häufiger waren als bei erwachsenen Kontrollpersonen (6,9 % versus 2,5 %, P = 0,046; Chi-Quadrat-Test). Ursache war am ehesten ein deutlich höherer Anteil an Bienengiftallergikern (32,4 % versus 14,7 %, P < 0,001, Chi-Quadrat-Test) unter den Kindern; die Zugehörigkeit zur pädiatrischen Gruppe war im Rahmen einer multivariaten Auswertung nicht als eigenständiger Risikofaktor für allergische Therapienebenwirkungen nachweisbar (P = 0,1; binäre logistische Regression) [16].
Die vorhandenen Daten sprechen dafür, Kindern und Jugendlichen mit anamnestisch mindestens mittelschweren anaphylaktischen Stichreaktionen eine allergologische Abklärung und ggf. Immuntherapie anzuraten [1]
[2]
[29]. Eine reduzierte Erhaltungsdosis von 50 µg Bienen- bzw. Wespengift bei Kindern wird seitens einiger Autoren mit dem Hinweis auf niedrigere Therapiekosten und ein möglicherweise geringeres Risiko von Nebenwirkungen befürwortet [24]
[25], erscheint vor dem Hintergrund der guten Verträglichkeit der Therapie mit Standarddosen von 100 µg pro Injektion jedoch nicht erforderlich [16]. Internationale Leitlinien zur Therapie anaphylaktischer Reaktionen empfehlen die Verordnung von Adrenalinautoinjektoren in der Standarddosierung von 300 µg ab einem Körpergewicht von 25 kg; Kindern mit einem Gewicht zwischen 7,5 und 25 kg kann ein Injektor mit 150 µg verordnet werden [3].
Schwangerschaft
Frauen haben ein insgesamt etwas geringeres Risiko für schwere [9] und vermutlich auch für tödliche [30]
[31]
[32]
[33]
[34] anaphylaktische Stichreaktionen als Männer. Dementsprechend wird in Kollektiven aus Bienen-/Wespengiftallergikern regelhaft ein geringerer Frauenanteil beobachtet [4]
[5]
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[7]
[8]
[9]
[10], was im Wesentlichen die unterschiedliche Häufigkeit widerspiegelt, mit der Männer bzw. Frauen während Berufstätigkeit und/oder Freizeitaktivitäten gestochen werden [9]
[32]. Für die Hypothese, dass Frauen unter dem Einfluss weiblicher Sexualhormone insgesamt häufigere und/oder schwerere anaphylaktische Reaktionen erleiden, findet sich wenig Evidenz [35]. Obwohl es bisher nur kasuistische Hinweise auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko schwerer, stichinduzierter, anaphylaktischer Reaktionen während der Schwangerschaft und/oder auf eine fetale Schädigung nach Stichreaktionen gibt [36]
[37], sind daraus abgeleitete Bedenken bezüglich der Sicherheit von Kind und werdender Mutter durchaus nachvollziehbar [29]. Publizierte klinische Daten zur Sicherheit der Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift [37] oder Inhalationsallergenen [38] bei Schwangeren sind begrenzt, weisen aber mit Ausnahme von Fallberichten [39] nicht auf eine schlechtere Verträglichkeit oder ein Risiko fetaler Schädigung hin. Da anaphylaktische Therapienebenwirkungen insbesondere während der Einleitung bzw. Aufdosierung der Immuntherapie beobachtet werden [40], raten nationale und internationale Therapieleitlinien dazu, eine bereits laufende Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift bei guter Verträglichkeit während der Schwangerschaft fortzusetzen, sie jedoch nicht neu einzuleiten [1]
[2]
[29]. Das Risiko für schwerere Therapiezwischenfälle während einer laufenden Immuntherapie wird bei Schwangeren in Analogie zu allen anderen Patienten als geringer eingeschätzt als die Gefahr einer anaphylaktischen Stichreaktion im Falle eines vorzeitigen Therapieabbruches [37]. Entsprechende Empfehlungen finden sich auch in den Fachinformationen von Produkten für die Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift.
Berufstätigkeit und Freizeit
Berufstätigkeit und Freizeit
Berufstätigkeit, Hobbys und individuelle Gewohnheiten können das Risiko schwerer anaphylaktischer Stichreaktionen sowohl über die Häufigkeit von Stichen als auch durch situative Risikofaktoren bzw. aggravierende Kofaktoren beeinflussen.
Eine berufliche Exposition gegenüber stechenden Insekten ist bei hauptsächlicher Tätigkeit im Freien (betreffend z. B. Landwirte und Gärtner) und selbstverständlich auch im Rahmen der (neben-)beruflichen Imkerei sowie bei Arbeit in Gewächshäusern gegeben, in denen die Pflanzen durch Bienen- oder Hummelvölker gezielt bestäubt werden [29]
[41]. Ein besonderes Risiko besteht außerdem beim Hantieren mit für Wespen attraktiven Nahrungsmitteln, z. B. beim Verkauf von Obst oder Backwaren. Mit einer erhöhten Stichwahrscheinlichkeit sind auch zahlreiche Freizeitaktivitäten verbunden, darunter unter anderem Sportarten, die zu einer Kollision und damit ungewollten Bedrängung von Bienen/Wespen führen können (Laufsport, Radsport, Motorsport, Schwimmen), die Jagd, Hobbyimkerei und schließlich auch Mahlzeiten im Freien. Die in Deutschland weit verbreiteten Wespenarten Vespula germanica und Vespula vulgaris suchen regelmäßig anthropogene Nahrungsquellen auf und sind im Gegensatz zur Honigbiene Apis mellifera bei der Nahrungssuche eher angriffsmotiviert [42]; auch ein versehentliches Verschlucken ist bei Unaufmerksamkeit möglich [43]. Einfluss auf das individuelle Risiko, Bienen- oder Wespenstiche zu erleiden, hat schließlich auch das Reiseverhalten, so ist bspw. im Mittelmeerraum von einer stärkeren Verteidigungs- bzw. Angriffsbereitschaft der dort heimischen Bienenvölker auszugehen, da deren Sanftmütigkeit dort, anders als in Deutschland, als Zuchtkriterium eine untergeordnete Rolle spielt [44].
Zusätzliche Einflüsse oder Kofaktoren wie körperliche Belastung, Alkoholkonsum oder die Einnahme von Acetylsalicylsäure können sowohl die Schwere anaphylaktischer Reaktionen steigern als auch die Reaktionsschwelle senken; eine prinzipiell unterschwellige Allergendosis kann also bei gleichzeitigem Einwirken eines oder mehrerer der genannten Parameter eine klinisch manifeste anaphylaktische Reaktion auslösen. Überzeugend beschrieben und im diagnostischen Setting reproduzierbar ist dies für anaphylaktische Reaktionen gegen Nahrungsmittel, insbesondere für die weizenabhängige, anstrengungsinduzierte Anaphylaxie [45]
[46]. Mögliche Pathomechanismen sind eine vermehrte Bioverfügbarkeit des Allergens oder mastzelldestabilisierende Effekte [47]. Aktuelle Daten aus dem Europäischen Anaphylaxieregister sprechen dafür, dass starke körperliche Belastung grundsätzlich und damit unabhängig vom auslösenden Allergen ein relevanter Risikofaktor für schwere anaphylaktische Reaktionen ist [48]. Bisher gibt es keine Studiendaten, die eine Relevanz der genannten Kofaktoren speziell in Bezug auf die Schwere anaphylaktischer Stichreaktionen belegen. Patienten, die beim Sport gestochen wurden, berichteten den Autoren, dass allergische Reaktionen nur auftreten, wenn sie die körperliche Belastung nicht abbrechen, sondern stattdessen z. B. weiter joggen oder fortgesetzt Rad fahren.
Eine konkrete, auf die individuelle Situation bezogene Beratung zu Karenz- und Schutzmaßnahmen ist zentrales Element in der Betreuung von Patienten mit erhöhtem Risiko für anaphylaktische Stichreaktionen. Wenn berufliche Tätigkeit oder private Aktivitäten ein deutlich erhöhtes Risiko mit sich bringen, von Bienen oder Wespen gestochen zu werden, kann es sinnvoll sein, die Immuntherapie mit Bienen- oder Wespengift länger als 5 Jahre durchzuführen [1]
[2]
[29]
[41].
Krankheit
Mastozytose
Die Diagnose einer systemischen Mastozytose wird anhand definierter Kriterien gestellt [49]. Klonale Mastzellerkrankungen, welche diese Kriterien (noch) nicht erfüllen, werden als monoklonale Mastzellaktivierungssyndrome bezeichnet. Das Screening auf Mastzellerkrankungen im Rahmen der Risikoabschätzung bei Patienten mit Bienen-/Wespengiftallergie erfolgt durch eine Bestimmung der basalen Serumtryptasekonzentration. Erhöhte Tryptasewerte gelten auch unabhängig von der Sicherung einer Mastozytose als Risikofaktor für schwere Stichreaktionen [4]
[5]
[6]
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[8]
[9]
[11]; umgekehrt schließen Werte unter 11,4 ng/ml eine klonale Mastzellerkrankung nicht sicher aus [50]. Ein Nachweis der KIT D816V-Mutation als Hinweis auf eine Mastozytose ist seit einigen Jahren mit akzeptabler Sensitivität auch aus dem peripheren Blut möglich [51]
[52].
Mastzellklonalität ist mit einer signifikant erhöhten Inzidenz schwerer anaphylaktischer Stichreaktionen, insbesondere protrahiert verlaufender, hypotensiver Kreislaufreaktionen assoziiert [48]
[50]
[53]
[54]. Am ausgeprägtesten scheint dieses Risiko bei einer Subgruppe von Patienten mit indolenter systemischer Mastozytose zu sein, die sich durch mehrere charakteristische Merkmale auszeichnet. Hierzu zählen eine deutliche Dominanz des männlichen Geschlechts, fehlende kutane Mastozytosezeichen sowie ein stabiler oder nur sehr langsam progredienter Verlauf der Mastozytose bei vergleichsweise niedrigen basalen Serumtryptasewerten [55]. Exzessiv erhöhte Tryptasewerte, wie sie bei aggressiver systemischer Mastozytose oder bei Assoziation hämatologischer nicht-mastozytärer klonaler Erkrankungen der Hämatopoese gefunden werden, sind hingegen mit einem eher rückläufigen Anaphylaxierisiko assoziiert [56]
[57]. Diese Beobachtung überrascht nur auf den ersten Blick, denn eine fortschreitende Entdifferenzierung von Mastzellen macht Einschränkungen zellulärer Funktionen wahrscheinlich, die Mechanismen der Mastzellaktivierung/-degranulation sind möglicherweise gestört.
Fallberichte sprechen dafür, dass anaphylaktische Stichreaktionen bei koexistenten Mastzellerkrankungen auch häufiger tödlich verlaufen [58]
[59]
[60]; ein Beleg durch größere Fallserien oder Studien steht jedoch noch aus. Bei Mastozytose muss außerdem von einer verminderten Wirksamkeit der Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift ausgegangen werden [54]
[61]; schwere Rezidivstichreaktionen wurden insbesondere nach deren Beendigung beobachtet [59]
[62]. Anaphylaktische Nebenwirkungen nach therapeutischer Injektion von Bienen-/Wespengift sind bei Mastozytosepatienten häufiger als bei gesunden Vergleichspersonen [54]
[63]
[64]; die Sicherheit der Immuntherapie gilt dennoch als ausreichend [54]
[64]
[65].
Internationale Leitlinien raten aus den genannten Gründen zu einer langfristigen Fortsetzung der Immuntherapie bei Mastozytose-Patienten mit Bienen-/Wespengiftallergie [1]
[2]
[29]. Notfallmedikamente zur Selbstbehandlung einschließlich eines Adrenalin-Autoinjektors sind langfristig und ggf. auch nach Abschluss der Immuntherapie mitzuführen [66].
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Herz-/Kreislaufkrankheiten werden allgemein als Risikofaktor für schwere anaphylaktische Reaktionen angesehen [67]
[68]. Dies wird durch aktuelle Daten aus US-amerikanischen Notfallambulanzen unterstützt, die bei kardial erkrankten Patienten mit anaphylaktischen Reaktionen eine im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen häufigere Notwendigkeit zur stationären und intensivstationären Behandlung zeigten [69]. Eine zentrale Bedeutung des Herzkreislaufsystems wird auch durch den akuten Blutdruckabfall, die reflektorische Tachykardie und die Schocksymptome nahegelegt, die Verlauf und Schweregrad anaphylaktischer Reaktionen maßgeblich bestimmen [70]. Darüber hinaus können anaphylaktische Reaktionen durch kardiale Akutereignisse kompliziert werden; die Koinzidenz von Anaphylaxie und kardialer Ischämie/Myokardinfarkt wird als Kounis-Syndrom bezeichnet [71]. Pathogenetisch wird dabei eine IgE-vermittelte Aktivierung von Mastzellen im Myokard und um die Koronargefäße angenommen, die bei chronischen Herzerkrankungen vermehrt sein sollen [72]. Koronarspasmen, Tachykardie und kardiale Rhythmusstörungen werden unmittelbar auf lokal ausgeschüttete Mastzellmediatoren zurückgeführt, unter anderem Histamin, Leukotriene, Prostaglandin D2 und plättchenaktivierender Faktor [72]. Mehrere Publikationen berichten über kardiale Akutereignisse auch im Rahmen anaphylaktischer Reaktionen nach Bienen- oder Wespenstichen [73]
[74]. Stichinduzierte, tödlich verlaufende anaphylaktische Reaktionen wurden in älteren Fallserien auf eine kardiovaskuläre Dekompensation zurückgeführt [75], und mehrere Datenauswertungen ergaben eine hohe Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen bei an Insektenstichen Verstorbenen [30]
[76]. Vor diesem Hintergrund ist überraschend, dass kardiovaskuläre Erkrankungen statistisch bislang nicht als eigenständige Risikofaktoren für schwere, jedoch nicht tödlich verlaufende anaphylaktische Stichreaktionen bestätigt werden konnten [6]
[9]. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass in den genannten retrospektiven Studien keine Differenzierung zwischen unterschiedlichen kardiovaskulären Erkrankungen erfolgte. Einer fortgeschrittenen Kardiomyopathie oder koronaren Herzerkrankung ist in diesem Zusammenhang sicher eine größere Bedeutung beizumessen als einer isolierten arteriellen Hypertonie.
Vorbehalte bezüglich der Sicherheit bestimmter Antihypertensiva bei Patienten mit Bienen-/Wespengiftallergie wurden erstmals in den 80er-Jahren laut, als mehrere Fallberichte zu anaphylaktischen Stichreaktionen die Vermutung nahelegten, dass die Symptomatik durch die Einnahme von Betablockern aggraviert worden sei [77]
[78]. Retrospektive Studien konnten übereinstimmend keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Betablockern und der Schwere anaphylaktischer Stichreaktionen belegen [6]
[9] bzw. zeigten, dass die Tendenz zu schwereren Reaktionen bei antihypertensiver Begleitmedikation nach statistischer Berücksichtigung des Patientenalters nicht mehr als unabhängiger Risikofaktor nachzuweisen war [4]. Die aktuelle Datenlage bezüglich ACE-Hemmern als Risikofaktor für schwere anaphylaktische Stichreaktionen ist widersprüchlich; Ruëff et al. beschrieben 2009 einen möglicherweise aggravierenden Einfluss [9], der von anderen Autoren nicht bestätigt werden konnte [4]
[6]. Demgegenüber besteht weitgehender Konsens, dass die Einnahme von Betablockern und ACE-Hemmern während der Immuntherapie keinen Einfluss auf die Inzidenz anaphylaktischer Therapienebenwirkungen hat [63]
[79]
[80]
[81]
[82].
Bienen-/Wespengiftallergiker mit Herz-/Kreislaufkrankheiten sind einer kausal wirksamen Immuntherapie zuzuführen. Eine möglichst optimale und leitliniengerechte medikamentöse Therapie der kardiovaskulären Grunderkrankung sollte dabei durchgehend gewährleistet bleiben. Zuletzt möchten die Autoren noch daran erinnern, dass weder kardiovaskuläre Erkrankungen noch hohes Lebensalter gegen eine indikationsgerechte Gabe von Adrenalin bzw. die Verordnung von Adrenalin-Autoinjektoren sprechen [66].
Tumoren und Autoimmunerkrankungen
Tumoren und Autoimmunerkrankungen werden regelmäßig als relative Kontraindikation gegen eine Allergen-Immuntherapie genannt. Die theoretischen Bedenken betreffen insbesondere ungünstige Einflüsse auf die Krankheitsaktivität von Malignomen und Autoimmunkrankheiten sowie eine verminderte Wirksamkeit der Immuntherapie durch eine Chemo- bzw. immunsuppressive Therapie oder durch die im Rahmen der Erkrankung selbst kompromittierte Immunantwort. Darüber hinaus wurde das Adjuvans Aluminiumhydroxid, das vielen Therapielösungen zugesetzt wird, angeschuldigt, Autoimmunerkrankungen hervorzurufen [83]. Auch hier kursieren Einzelfallberichte, die über eine Neumanifestation von Autoimmunerkrankungen bei Patienten unter laufender Immuntherapie berichten [84]. Systematische Datenerhebungen zur Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift und/oder inhalativen Allergenen bei Patienten mit bereits bekannten Tumor- oder Autoimmunerkrankungen geben keine Hinweise auf eine wechselseitige Beeinflussung von Immuntherapie und Grunderkrankung; es handelt sich dabei aber bislang lediglich um deskriptive Ergebnisse aus Umfragen zum allgemeinen Umgang mit mutmaßlichen Risikopatienten [85]
[86] sowie kleinere Fallserien [87]
[88]. In einer großen Beobachtungsstudie wurde bei dänischen Patienten unter einer subkutanen Allergen-Immuntherapie eine im Vergleich zu Kontrollpersonen sogar etwas reduzierte Inzidenz neumanifester Autoimmunerkrankungen festgestellt [89].
Die aktuelle europäische Therapieleitlinie und auch die deutsche Leitlinie aus dem Jahr 2011 befürworten die indikationsgerechte Durchführung einer Immuntherapie mit Bienen-/Wespengift bei Tumorerkrankungen in stabiler Remission, jedoch nicht bei aktiven/metastasierten Tumorleiden [1]
[29]. Eine entsprechende Stellungnahme fehlt in der amerikanischen Leitlinie [2], ein analoges Vorgehen wird jedoch laut aktuellen Umfrageergebnissen auch von US-amerikanischen Allergologen praktiziert [85]. Autoimmunerkrankungen mit stabilem Verlauf wie bspw. eine medikamentös eingestellte Thyreoiditis Hashimoto, ein Typ-I-Diabetes oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen gelten ebenfalls nicht länger als Kontraindikation gegen die Immuntherapie [1]
[29]. Eine Zusammenarbeit mit dem die Grunderkrankung behandelnden Facharzt erscheint in jedem Fall sinnvoll.
Alter
Das Risiko, eine schwere anaphylaktische Reaktion zu erleiden, nimmt mit dem Lebensalter zu [48]. Dies gilt in besonderem Maß auch für schwere und tödlich verlaufende Stichreaktionen [4]
[6]
[7]
[8]
[9]
[30]
[31]
[32]
[33]
[48]. Ruëff et al. beschrieben 2009 einen linearen Zusammenhang zwischen dem Alter und der Wahrscheinlichkeit einer schweren anaphylaktischen Stichreaktion [9]; andere Autoren beobachteten eine Zunahme schwerer Ereignisse bereits ab dem 40. Lebensjahr [4]. Eine plausible Erklärung ist die im Alter naturgemäß höhere Prävalenz kardiovaskulärer Begleiterkrankungen. Dagegen ist zurzeit noch weitgehend spekulativ, ob die im Laufe des Lebens langsam, aber kontinuierlich ansteigende Konzentration der basalen Serumtryptase eine Rolle spielt [7]
[8]
[11]
[53].
In der Konsequenz raten einige Autoren zu einer verlängerten Fortsetzung der Immuntherapie bei älteren Bienen-/Wespengiftallergikern, insbesondere bei zusätzlich grenzwertig erhöhten basalen Serumtryptasewerten [8]. Für eine solche Entscheidung sind weitere Faktoren zu berücksichtigen, insbesondere das individuelle Risiko für zukünftige Bienen- oder Wespenstiche.
Fazit
Die Wahrscheinlichkeit schwerer anaphylaktischer Stichreaktionen steigt mit dem Lebensalter und wird durch individuelle Risikofaktoren beeinflusst. Bienen- und/oder Wespengiftallergiker mit nicht-änderbaren Risikofaktoren, insbesondere Patienten mit indolenter systemischer Mastozytose, sollten unbedingt eine Immuntherapie erhalten, die ggf. auch längerfristig fortgesetzt werden muss. Stiche durch Bienen oder Wespen können durch angepasstes Verhalten effizient vermieden werden. Dieser allgemein unterschätzte Aspekt in der Beratung und Betreuung von Bienen-/Wespengiftallergikern ist besonders für Personen wichtig, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder privaten Aktivitäten regelmäßig mit Bienen oder Wespen in Kontakt kommen.