Pneumologie 2018; 72(12): 814-815
DOI: 10.1055/a-0784-9231
Pneumo-Fokus
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Multimorbidität: Patientenzentrierte Versorgung ohne Benefit?

Salisbury C. et al.
Management of multimorbidity using a patient-centred care model: a pragmatic cluster-randomised trial of the 3D approach.

Lancet 2018;
DOI: 10.1016/S0140-6736(18)31308-4.
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Publication Date:
30 November 2018 (online)

 

Jeder 4. Patient gilt heute als multimorbide und leidet an mehreren chronischen Erkrankungen. Obgleich sich Experten darin einig sind, dass eine patientenzentrierte Versorgung die Lebensqualität der Betroffenen steigern kann, gibt es bis heute keine stichhaltigen Studien. Salisbury und Team haben nun mit ihrem „3D-Modell“ ein neues Behandlungskonzept entwickelt und dessen Effekte auf die Lebensqualität mit der Standardbehandlung verglichen.


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Multimorbide Patienten werden oftmals von verschiedenen Fachärzten behandelt, was mit einer Einschränkung der Lebensqualität durch zahlreiche Arzttermine einerseits und hohe Gesamtkosten andererseits einhergeht. Vor diesem Hintergrund haben sich in den letzten Jahren patientenzentrierte Versorgungsmodelle etabliert, ohne dass es bislang explizite Studien zu deren Effektivität gibt. Salisbury und Kollegen haben an diesem Punkt angesetzt und zunächst auf Grundlage aktueller evidenzbasierter Empfehlung einen patientenzentrierten Ansatz, das sogenannte „3D-Modell“, entwickelt. Den Namen haben sie dabei gezielt gewählt, um der Multidimensionalität des Ansatzes Ausdruck zu verleihen.

Das „3D Modell“ umfasst eine intensivierte Behandlung, bei denen Patienten auf drei Ebenen von ihrem Hausarzt, einer Krankenschwester und einem Apotheker betreut werden. Für ihre Studie rekrutierten die Forscher multimorbide Patienten mit mindestens drei chronischen Erkrankungen, die in einer Praxis in England oder Schottland behandelt wurden. Eingeschlossene Patienten erfüllten zusätzlich folgende Kriterien:

  • Alter von mindestens 18 Jahren,

  • Lebenserwartung von über 12 Monaten,

  • Fähigkeit, einen Fragebogen auszufüllen.

Es wurden nicht mehr als 150 Patienten pro Praxis rekrutiert. Die Forscher ordneten jeden Patienten einer von zwei Studiengruppen zu:

  • Gruppe 1: Behandlung nach dem „3D-Modell“ für 6 Monate

  • Gruppe 2: Fortführung der üblichen Standardbehandlung

Als primärer klinischer Endpunkt diente die durch die Patienten eingeschätzte Lebensqualität, erfasst mit dem EQ-5 D-5 L Fragebogen. Die Befragung erfolgte zu Studienbeginn, sowie 9 und 15 Monate nach der Rekrutierung. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem der Pflegeaufwand sowie die subjektiv empfundene Belastung durch die Therapie. Schließlich erfassten die Untersucher Veränderungen verschiedener Faktoren der patientenzentrierten Pflege.

Lebensqualität vergleichbar

Zwischen Mai und Dezember 2015 konnten insgesamt 1546 Patienten rekrutiert werden, 797 von ihnen aus 16 Praxen nahmen in Gruppe 1 an dem „3D-Modell“ teil, die anderen 749 Patienten aus 17 weiteren Praxen erhielten die Standardbehandlung. Die Patienten waren durchschnittlich 71 Jahre alt und hatten im Mittel drei chronische Erkrankungen, mehr als 90 % der Teilnehmer litten unter einer kardiovaskulären Störung, die Hälfte hatte die Diagnose eines Diabetes mellitus.

Die Forscher konnten für 1361 (88 %) der Studienteilnehmer auf die vollständigen Datensätze zum primären klinischen Endpunkt zurückgreifen. Im Hinblick auf die mittels Fragebogen erfasste Lebensqualität bis 15 Monate nach Studienbeginn ergab sich kein signifikanter Gruppenunterschied. Auch für die sekundären Endpunkte zeigten sich keine überzeugenden Differenzen. Patienten aus Gruppe 1 verbesserten sich aber durch Teilnahme am „3D-Modell“ hinsichtlich verschiedener Faktoren der patientenzentrierten Pflege.

Fazit

Eine mehrdimensionale patientenzentrierte Versorgung konnte in dieser Studie die Lebensqualität der Betroffenen nicht verbessern. Auch bei weiteren Endpunkten wie der subjektiv eingeschätzten Belastung durch die Therapie zeigten sich keine Unterschiede zur Standardbehandlung. Da sich der neue Behandlungsansatz allerdings positiv auf Faktoren der patientenzentrierten Pflege auswirkte, halten die Autorinnen/Autoren ihr Konzept dennoch für sinnvoll.

Dipl.-Psych. Annika Simon, Hannover


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