physioscience 2018; 14(04): 194-196
DOI: 10.1055/a-0749-0782
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Das Leitbild der Deutschen Gesellschaft für Physiotherapiewissenschaft (DGPTW): Vision, Mission und Werte

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Publication Date:
06 December 2018 (online)

 

Präambel

Der demografische und epidemiologische Wandel sowie die zunehmenden Diskrepanz der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen und vorhandenen Ressourcen stellt die physiotherapeutische Versorgung vor neue Herausforderungen. Diese erfordern eine Erweiterung der physiotherapeutischen Kompetenzen, um selbstständig Lösungen für komplexe gesundheitliche Probleme der Patienten zu entwickeln, das eigene Praxishandeln wissenschaftlich zu reflektieren und innovative Praxisentwicklung zu initiieren. Eine Akademisierung der Physiotherapie wird als Voraussetzung dafür angesehen, dass diese den systemischen und epidemiologischen Herausforderungen angemessen begegnen kann [1].


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Gleichzeitig zeichnet sich in Deutschland ein verstärkter Fachkräftemangel [2] mit Wartezeiten für eine physiotherapeutische Behandlung ab, die bis zu 12 Wochen betragen kann [3]. Mögliche Ursachen dafür können mangelnde Autonomie, schlechte Vergütung und Rahmenbedingungen sowie kostspielige Aus- und Weiterbildung sein. Um den Beruf der Physiotherapie attraktiver zu machen, muss der Professionalisierungsprozess deutlich an Fahrt aufnehmen. Neben Autonomie, gesellschaftlicher Anerkennung und angemessener Vergütung ist zentrales Kennzeichen einer Profession das Vorhandensein einer eigenständigen Wissenschaft [4].

In Deutschland befindet sich die Physiotherapiewissenschaft in einem Entwicklungsprozess. Dieser erfordert zunächst auch eine Abgrenzung von anderen Disziplinen, um einen eigenständigen Teilbereich der Wissenschaft mit eigenem wissenschaftlichen Wissen und Gegenstand, eigenen Forschungsaufgaben, Fragestellungen, Forschungsmethoden und Paradigmen zu entwickeln [5]. Stichweh [5] versteht diesen Prozess als Disziplinbildung. Disziplinen sind für die Identitätsbildung von Praktikern und Wissenschaftlern von zentraler Bedeutung und nehmen damit in der Ausgestaltung der Beziehung zwischen Theorie und Praxis eine Schlüsselrolle ein ([6]; [Abb. 1]).

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Abb. 1 Wechselseitige Abhängigkeit von Akademisierung, Disziplinbildung und Professionalisierung. Quelle: DGPTW; graf. Umsetzung: Thieme Gruppe.

Insofern ist die Disziplinbildung in der Physiotherapie zentral für die Weiterentwicklung des Praxishandelns und damit einer Verbesserung der Versorgung. Gleichzeitig stellt sie den Motor der Professionalisierung und den Weg zu mehr gesellschaftlicher und monetärer Anerkennung sowie beruflicher Autonomie dar.

Um die Disziplinbildung in der Physiotherapie voranzutreiben, wurde im Februar 2016 in Frankfurt die deutsche Gesellschaft für Physiotherapiewissenschaft e. V. (DGPTW; www.dgptw.org) gegründet, die als unabhängiges Gremium die wissenschaftlichen Interessen der Physiotherapie in Deutschland vertritt. Die DGPTW ist eine dynamisch wachsende Fachgesellschaft mit mittlerweile über 130 akademisch qualifizierten Physiotherapeuten als Mitgliedern, die über Expertise in Lehre, Wissenschaft und Berufspraxis verfügen sowie national und international gut vernetzt sind. Die Mitglieder engagieren sich in den Sektionen Öffentlichkeitsarbeit, Kongresse, Leitlinien, Methodenberatung und Physiotherapiewissenschaft.

Das Leitbild der DGPTW

Ein Leitbild beinhaltet die Beschreibung einer Vision, einer Mission und der Organisationskultur [7]. Die Beschreibung der Vision soll für Mitglieder der DGPTW und für die Öffentlichkeit die Frage nach dem Daseinszweck beantworten: Wer sind wir und wofür stehen wir? Die Mission steht für die Frage nach den Zielen, d. h. was gemeinsam erreicht werden soll. Die Organisationskultur wiederum bildet die Werte und Prinzipien ab, an denen sich das Handeln der Mitglieder der DGPTW orientiert. Das Leitbild soll den Mitgliedern und dem Vorstand als Orientierung, Inspiration und zur Motivation dienen. Zudem soll es dabei helfen, ein positives Bild nach außen zu vermitteln und den Rahmen zu bilden, um Ziele, Strategien und konkrete Aufgaben zu priorisieren und festzulegen.

Basierend auf der in der Präambel beschriebenen Ausgangslage hat der Vorstand der DGPTW in einem geleiteten Diskussionsprozess [8] das nachfolgende beschriebene Leitbild entwickelt ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Leitbild der DGPTW. Quelle: DGPTW; graf. Umsetzung: Thieme Gruppe.

Unsere Vision: Physiotherapie als Wissenschaft und Profession

Unsere Vision als wissenschaftliche Fachgesellschaft ist eine als Wissenschaft und Profession anerkannte Physiotherapie.


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Unsere Mission: Physiotherapie als wissenschaftliche Disziplin etablieren

Die Disziplinbildung kann als Grundvoraussetzung der Professionalisierung angesehen werden [6] und ist damit für die DGPTW die zentrale Mission. Hier beschreiben wir folgende für die Disziplinbildung relevante Handlungsfelder:

  • Lehre: Etablierung einer expliziten physiotherapeutischen Wissenschaft als Ausbildungsstandard für die Entwicklung von des Curriculums sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV);

  • Forschung: Förderung von Grundlagenforschung, Modellentwicklung und Theoriebildung, Professionsforschung, klinische und Therapieforschung (Diagnostik, Wirksamkeit, Effizienz, Prognose) sowie Versorgungsforschung;

  • Versorgung: Verbesserung der Versorgung von Patienten durch Kompetenzerweiterung der Therapeuten, Evidenzbasierung und Förderung des Wissenschaft-Praxis-Transfers;

  • Wissenschaftspolitik: Unabhängige Beratung von Entscheidungsträgern hinsichtlich der thematischen Ausrichtung von Förderlinien, Mitwirkung bei der Erstellung von Leitlinien sowie Beratung bei der Curriculum-Entwicklung

Diese Handlungsfelder stehen in einem interdependenten Verhältnis zueinander. Innerhalb der jeweiligen Handlungsfelder können konkrete Aufgaben der DGPTW formuliert werden, die sich wiederum an den für uns definierten Werten und Prinzipien orientieren.


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Unsere Werte und Prinzipien

Als wissenschaftliche Fachgesellschaft sind wir neben unserer Satzung (www.dgptw.org/images/downloads/dgptw-satzung.pdf) den DFG-Richtlinien für gute wissenschaftliche Praxis [9] verpflichtet. Handlungsleitende Werte sind für uns Transparenz in Prozessen und Entscheidungen, Effizienz der Arbeitsweise, Diversität der wissenschaftlichen Methoden und Themenfelder sowie die Nachhaltigkeit unserer Aktivitäten.


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Strategie zur Umsetzung von Vision und Leitbild

Themenfeld Lehre

Um die Qualitätsentwicklung der physiotherapeutischen Forschung zu fördern, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu unterstützen und den Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die Versorgung und die Lehre zu fördern, bietet die DGPTW bereits Weiterbildungsangebote an (z. B. Workshops im Rahmen der Forschungssymposien) bzw. plant perspektivisch weitere Angebote zu initiieren und zu etablieren (z. B. Summerschool und E-Learning-Angebote). Zudem wird angestrebt, curriculare Empfehlungen zu erstellen und beratend an der Neuausrichtung der PhysTh-APrV mitzuwirken.


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Themenfeld Forschung

Für die Mitglieder soll eine Methodenberatung geschaffen werden (Sektion Methodenberatung), um forschende Physiotherapeuten bei der Planung, Konzeption und Durchführung von Forschungsvorhaben zu unterstützen. Des Weiteren werden Förderpreise und Fördermittel für Forschungsprojekte ausgeschrieben werden.


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Themenfeld Versorgung

Angestrebt wird eine Verbesserung des Forschung-Praxis-Transfers über Schulungen und Transferprojekte. Eine Mitgliedschaft im deutschen Netzwerk Versorgungsforschung und Gründung einer AG Gesundheitsfachberufe wäre eine weitere strategische Maßnahme zur Vernetzung und Teilhabe an Drittmittelprojekten. Weiterhin wird die Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) angestrebt, um als Fachgesellschaft federführend Leitlinien zu erstellen und an solchen mitzuarbeiten. Weiterhin wird eine Stärkung der Evidenzbasierung der Physiotherapie über Vernetzung mit Physiotherapy Evidence Database (PEDro) und Cochrane Deutschland angestrebt.


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Themenfeld Wissenschaftspolitik

Wir wollen der Ansprechpartner für wissenschaftliche Fragestellungen der Physiotherapie sein. Dazu brauchen wir verstärkte Präsenz und Sichtbarkeit in den entsprechenden Verbänden (Berufsverbände, wissenschaftliche Fachgesellschaften), Gremien und der Politik (Bundesministerium für Bildung und Forschung und auf Länderebene). Hierzu wollen wir verstärkt als Gutachter für Akkreditierung, Berufungsverfahren und Drittmittelanträge sowie als Chairs und Referenten auf Kongressen auftreten. Auch die aktive Kontaktaufnahme mit einschlägigen Politikern und Gremien ist angedacht.


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Ausblick

Die Entwicklung einer Disziplin ist ein langfristiger und stetiger Prozess und braucht zunächst eine kritische Masse akademisch qualifizierter Therapeuten. Die DGPTW sieht sich als Impulsgeberin und Unterstützerin in diesem für die Physiotherapie so wichtigen Prozess für die Professionalisierung und kontinuierliche Verbesserung der Versorgung von Patienten. Wir laden alle Beteiligte und Interessierte ein, diesen Prozess aktiv mitzugestalten.


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Vorstand der DGPTW: Axel Schäfer, Cordula Braun, Bernhard Elsner, Christian Kopkow, Kerstin Lüdtke

vorsitz2@dgptw.org



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Abb. 1 Wechselseitige Abhängigkeit von Akademisierung, Disziplinbildung und Professionalisierung. Quelle: DGPTW; graf. Umsetzung: Thieme Gruppe.
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Abb. 2 Leitbild der DGPTW. Quelle: DGPTW; graf. Umsetzung: Thieme Gruppe.