RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/a-0644-0827
Mefloquin: Totgesagte schaden länger
Mefloquine: the Doomed Keep Causing DamagePublikationsverlauf
Publikationsdatum:
16. August 2018 (online)

Anamnese
Nach vorheriger telefonischer Konsultation mit der behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaterin wurde uns eine 12-jährige Patientin vorgestellt, die 4 Tage nach Rückkehr von einer 12-tägigen Reise in ein afrikanisches Malaria-Hochrisikoland, dem Herkunftsland eines der Elternteile, und einen Tag nach Einnahme der vierten Mefloquin-Prophylaxe-Dosis von wöchentlich 250 mg eine akute Psychose entwickelt hatte. Im Vordergrund standen dabei optische und akustische, aber auch taktile Halluzinationen und schwere Angstzustände, die eine kurzfristige stationäre Aufnahme, die Medikation mit Risperidon in ansteigender Dosierung und, wegen daraus resultierender Feinmotorikstörungen, Biperiden sowie die wochenlange Unterbrechung des Schulbesuchs erforderten. An weiteren Belastungsfaktoren, die die psychiatrische Pathologie beeinflussen könnten, wurden näher bezeichnete Reifungskonflikte und Partnerschaftskonflikte der Eltern diskutiert.
Beim Vorstellungstermin in der Praxis am Tag 61 ab Reisebeginn ([Tab. 1]) standen im Vordergrund eine fortbestehende, tendenziell weniger intensive, aber phasenweise akzentuierte Psychose mit optischen und akustischen Halluzinationen, Angstzustände und eine abendlich betonte Übelkeit, die zwischenzeitlich mit Ingwerpräparaten und Globuli behandelt wurde und zu einer Gewichtsabnahme von 57 auf 54 kg geführt hatte.
Die erweiterte Reiseanamnese ergab, dass die Patientin bereits 2007–2015 alle 2 Jahre im Zielland war und jeweils eine nach der Fachinformation gewichtsadaptierte prophylaktische Dosierung von Mefloquin ohne Zeichen von UAW erhalten hatte. Die jetzige Reise war die erste unter Erwachsenendosis. Das Mittel wurde regulär über eine öffentliche Apotheke in Deutschland besorgt. Auf dem Hinflug, der 2 Umstiege erforderte, hatte die nur von ihrer 2 Jahre älteren Schwester begleitete Patientin ein Vomex® Supp. zur Prophylaxe einer Kinetose angewandt. Im Reiseverlauf kam dann die Idee zu einem ersten Tauchgang auf, vor dem eine Tauchsport-Tauglichkeitsuntersuchung nicht abverlangt wurde. Am Ende des Übungstags im Pool und am Morgen des ersten Tauchgangs im Meer wurde von der Tauchbasis jeweils eine Dosis Phenytoin 100 mg zur Prophylaxe der Seekrankheit gegeben. Unter Wasser kam es zu starken Kopf- und insbesondere Ohrenschmerzen. Als deren Ursache stellten sich bei ärztlicher Untersuchung ein Trommelfellriss links und eine Einblutung rechts heraus, was systemisch mit der einmaligen Gabe einer unbekannten Dosis von Prednisolon und lokal links mit einer desinfizierenden Lösung behandelt wurde.
Vorerkrankungen, eine Vormedikation oder eine Suchtstoffexposition wurden nicht angegeben. Der Impfschutz war altersentsprechend bis auf die HPV-Impfung vollständig, reisebedingt waren zusätzlich aktuell eine Hepatitis-A-Impfung und im Alter von einem Jahr eine BCG-Impfung durchgeführt worden. Für eine Gelbfieberimpfung bestand keine Notwendigkeit.
Normalbefunde für EEG und MRT des Schädels lagen zum Vorstellungszeitpunkt vor. Eine HNO-Untersuchung bestätigte eine Trommelfellruptur links und eine Einblutung im rechten Mittelohr.
Befund:
-
12,5-jähriges, jedoch älter wirkendes, ernstes Mädchen von 170 cm Länge und 54 kg Körpergewicht (BMI somit 18,7 kg/m2), mit psychomotorischer Verlangsamung und leicht eingeschränkter Schwingungsfähigkeit, zurückhaltend, kooperativ. Aktuell keine Halluzinationen, keine Angabe von Angst. Körperlicher Untersuchungsbefund unauffällig, auf die Wiedergabe von Details wird hier verzichtet.
-
Routinelabor mit Blutbild, Leber- und Nierenparametern, Urinstatus unauffällig. Mefloquinspiegel im Serum 244 µg/l.
-
Infektionsserologien (Indikationen hier nicht dargestellt): Negativ für anti-Hbs, Toxoplasmose, Schistosomiasis, Zysticerkose. Positiv für anti-HAV. 13C-Atemtest auf Helicobacter pylori negativ.
-
EKG: SR 55/min, eine SVES, Steiltyp, PQ mit 111 ms verkürzt, QTc mit 110% gering verlängert, keine ERBSt.
-
Serologien auf Enzephalitiserreger und Lumbalpunktion nicht durchgeführt wegen fehlender Entzündungszeichen im Labor und im kranialen MRT.
-
Literatur
- 1 Gespräch des Autors mit der Giftnotrufzentrale der Universitätsklink Bonn, Frau Dr. Seidel, 12.07.2018
- 2 Ständiger Ausschuss Reisemedizin der DTG. Empfehlungen zur Malariavorbeugung, Stand: Mai 2018. Im Internet: http://dtg.org/images/Startseite-Download-Box/2018_Broschuere_DTG_Malaria.pdf
- 3 Roche Pharma AG. Schreiben vom 09.07.2018 an den Autor zu Lariam®
- 4 Rote Liste® Service GmbH. Rote Liste. Im Internet: https://online.rote-liste.de/suche/stoff/072282/Mefloquin
- 5 Kohlpharma GmbH. Fachinformation Lariam®, Stand: August 2015
- 6 Palmer KJ, Holliday SM, Brogden RN. Mefloquine. A review of its antimalarial activity, pharmacokinetic properties and therapeutic efficacy.. Drugs 1993; 45: 430-475
- 7 World Health Organization. World Malaria Report 2017 Im Internet: http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/259492/1/9789241565523-eng.pdf
- 8 Schlagenhauf P, Adamcova M, Regep L. et al. Use of mefloquine in children - a review of dosage, pharmacokinetics and tolerability data.. Malar J 2011; 10: 292
- 9 Wikipedia. Mefloquin. Im Internet: https://de.wikipedia.org/wiki/Mefloquin
- 10 Roche Science. Im Internet: www.rochescience.at/content/dam/hcp-portals/austria/documents/Schulung_Infomaterial/Lariam%20Patientenpass_verteil
- 11 Rote Liste® Service GmbH. Rote Liste. Im Internet: https://online.rote-liste.de/suche/stoff/094380/Phenytoin
- 12 Ifap®. Ifap® praxisCenter. 2018 Version 3.26.1.4616, Datenstand 01.05.2018