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DOI: 10.1055/a-0624-6371
Bildgebung Kindertraumatologie – diagnostische Besonderheiten
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Publication History
Publication Date:
09 November 2018 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Einleitung
- Anatomische und epidemiologische Voraussetzungen
- Einteilung kindlicher Frakturen nach Aitken
- Diagnostik
- Fazit
- Literatur
Zusammenfassung
Die Kindertraumatologie ist ein wichtiges radiologisches Feld im klinischen Alltag. Häufige Verletzungsformen -meist durch Unfälle bedingt – stellen Frakturen dar. Die Befundung findet in der Regel nicht durch einen ausgebildeten Kinderradiologen statt. Deswegen ist es eine essentielle Voraussetzung für den Radiologen, die Stufen der Skelettentwicklung zu kennen. Aufgrund des unterschiedlichen Knochenaufbaus von Erwachsenen treten bei Kindern unterschiedliche Verletzungsmuster auf.
Des Weiteren soll vor allem bei Kindern auf eine strenge Indikationsprüfung und Dosisreduktion geachtet werden, um die Strahlenexposition so gering wie möglich zu halten.
Anhand von folgenden Beispielen sollen häufige Verletzungsmuster beschrieben und illustriert werden.
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Abstract
Pediatric traumatology is a very important radiological area in daily clinical practice. Fractures mostly due to accidents are frequent forms of injuries. The diagnosis is normally not performed by a trained pediatric radiologist. Thus it is an essential requirement for the radiologist to know about the different stages of skeleton development. Due to the different bone formation of adults children have different injury patterns.
Moreover, in children, in particular, special care should be taken regarding dose reduction: radiation exposure should be kept as low as possible.
In the following examples frequent injury patterns are described and illustrated.
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Einleitung
Kindertraumatologie spielt eine große Rolle im klinischen Alltag. Eine der häufigsten Verletzungsformen im Kindesalter stellen Frakturen dar. Zu den häufigsten Unfallursachen bei Kindern zählen Stürze, Sportverletzungen und Verkehrsunfälle. Kinder unter 2 Jahren zeichnen sich durch immer zunehmende Neugier bei mangelndem Gefahrenbewusstsein aus. Als häufigste Todesursache bei Kindern über 1 Jahr ist die Traumatologie, genauer das Schädel-Hirn-Trauma (SHT), von großer Relevanz. Im Vergleich zum erwachsenen Skelett können bei Kindern altersabhängig unterschiedliche typische Frakturen auftreten, die sich zum großen Teil durch Unreife des Skeletts und durch Wachstumsfugen erklären lassen. Aufgrund des noch vorhandenen Wachstums weisen Kinder ein erhöhtes Korrekturpotenzial und kürzere Heilungsdauer bei Frakturen auf. Für den Radiologen ist es deswegen wichtig, die Stufen der Skelettentwicklung zu kennen. Im Rahmen der technischen Ausstattung ist es wichtig, die Dosisreduktion so gut wie möglich zu nutzen. Eine strenge Indikationsstellung ist bei Kindern besonders wichtig, um eine unnötige Strahlenexposition zu vermeiden. Dieser Artikel soll im Folgenden die unterschiedliche Diagnostik und häufige kindertraumatologische Verletzungen beleuchten.
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Anatomische und epidemiologische Voraussetzungen
Die Kenntnisse der Entwicklungsstadien des unreifen kindlichen Knochens bis zum Wachstumsabschluss durch Sklerosierung sämtlicher Epiphysenfugen sind für die exakte Diagnostik unabdingbar. Insbesondere sind die knorpeligen und bindegewebigen Ossifikationen zu kennen, die im Röntgenbild zu einer langsamen Verknöcherung der Knochenkerne und Epiphysenfugen führt. Die Verknöcherung der Epiphysenfugen, die man auf Röntgenbildern beurteilen kann, variiert je nach Körperregion. Um eine Fraktur von einem noch bestehenden Apophysenkern zu unterscheiden, sollte man wissen, dass einige Apophysenkerne erst sehr spät mit den knöchernen Strukturen verwachsen und somit Absprengungsfrakturen vortäuschen können. Bei einigen Neugeborenen sind zunächst nur 2 Epiphysen sichtbar, die des distalen Femurs und der proximalen Tibia. Mit zunehmendem Alter bilden sich die restlichen Knochenkerne aus. Apophysenkerne können meist ab dem Adoleszentenalter nachgewiesen werden und gliedern sich bis zum ca. 25. Lebensjahr an den Knochen an. Während die Beckenkammapophysen bei Mädchen im Schnitt ca. im 13. Lebensjahr verschmelzen, verschmelzen sie bei Jungen ca. 1,5 Jahre später. Die geringfügige Ossifikation der Epiphysen kann eine Fraktur- oder Luxationsdiagnostik deutlich erschweren.
Je nach Entwicklungsstufe können Verletzungsmuster wie z. B. inkomplette Frakturen (z. B. Grünholzfrakturen bei jüngeren Kindern) oder Epiphysiolysen gehäuft auftreten. Auch ossäre Bandausrisse und Gelenkknorpelverletzungen treten im Kindesalter häufiger auf. Kindliche Knochen haben die Fähigkeit, sich eher zu verbiegen als zu brechen, was zu Deformitäten und Frakturen führen kann, die man bei Erwachsenen nicht sieht. Das kindliche Periost ist dicker, stärker und biologisch aktiver und bleibt häufig nach einer Fraktur intakt. Das Periost begrenzt die Hämatombildung, gibt bei einer Fraktur Stabilität und führt zu einem schnelleren Heilungsprozess, was eine kürzere Immobilisationsphase bedingt.
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Einteilung kindlicher Frakturen nach Aitken
Frakturen, die das unreife Skelett betreffen, können die weitere normale Entwicklung des Skeletts ungünstig beeinflussen und bedürfen einer gesonderten Einteilung [1]:
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Aitken 0: Ablösung der gesamten Epiphyse, ohne Fraktur. Der Frakturspalt verläuft zwischen Knorpel und Epiphysenfuge und der Metaphyse, ohne Beteiligung des Knochens.
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Aitken I: Epiphysenfraktur mit metaphysärem Fragment. Der Frakturspalt geht wie bei Aitken 0 nicht durch den Epiphysenknorpel.
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Aiken II: Epiphysenfraktur mit epiphysärem Fragment. Der Frakturspalt verläuft zwischen Metaphyse und Epiphysenfuge und tritt nach epiphysär aus. (Bei sich ergebenden Verletzungen des Epiphysenknorpels sind Wachstumsstörungen gehäuft).
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Aitken III: Fraktur der Epiphysenfuge mit metaphysärem und epiphysärem Fragment. Der Frakturspalt durchquert den Epiphysenknorpel direkt (häufige Wachstumsstörungen).
Im Vergleich zu Erwachsenen haben Kinder porösere und biegsamere Knochen, weswegen es je nach Altersgruppe zu Frakturen kommen kann, die gehäuft im Kindesalter oder sogar nur im Wachstum auftreten.
Mit zunehmendem Kindesalter nimmt die Frakturhäufigkeit zu und hat einen Maximalpunkt in der Pubertät um das 13. Lebensjahr. In der Entwicklung bis zur Pubertät ist zwischen Mädchen und Jungen kein wesentlicher Unterschied der Frakturhäufigkeiten bemerkbar. Allerdings zeigt sich, dass Jungen in der Pubertät nachweisbar mehr Frakturen erleiden, was höchstwahrscheinlich einer erhöhten Risikobereitschaft geschuldet ist.
An der oberen Extremität treten häufig Frakturen im Bereich der Unterarmknochen, am Schlüsselbein und den Fingern auf, was mit der Schutzfunktion in Rahmen von Stürzen zu erklären ist. Frakturen im Bereich des oberen Sprunggelenks sind die häufigsten Frakturen im Bereich der unteren Extremität [2], [3].
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Diagnostik
Eine Fraktur sollte zur Diagnostik, zur Schweregradbestimmung, zum Nachweis von Komplikationen und zur Verlaufsbeurteilung bildlich dargestellt werden. Meist wird eine konventionelle Aufnahme in 2 Ebenen durchgeführt. In seltenen Fällen ist ein sonografischer Nachweis ausreichend. Bei Verdacht auf komplexere Verletzungen ist eine CT indiziert. Die rechtfertigende Indikation einer CT-Untersuchung in der Kindertraumatologie sind z. B. Polytraumen, mutmaßliche Schädel- und Wirbelsäulenverletzungen, Hirnblutungen, intubierte oder neurologisch nicht beurteilbare Kinder. Des Weiteren ist ggf. eine Darstellung der Frakturverhältnisse vor chirurgischen Eingriffen notwendig, wenn eine konventionelle Bildgebung nicht ausreichend ist.
ALARA steht für „as low as reasonably achievable“ und steht für das Prinzip im Strahlenschutz, die Strahlendosis für den Patienten so gering wie möglich zu halten und dabei noch diagnostisch aussagekräftige Bilder zu erhalten. Bei Kindern sollte eine noch strengere Indikationsprüfung vor der Anwendung von Röntgenstrahlung durchgeführt werden.
Aufgrund der vergleichsweise langen Untersuchungsdauer, höheren Kosten und normalerweise ausreichenden diagnostischen Beurteilbarkeit der konventionellen Aufnahme ist die MRT im Rahmen der Kindertraumatologie eine relativ selten angewendete Diagnostik trotz hoher Sensitivität. Einer der großen Vorteile der MRT ist die fehlende Strahlenbelastung. Einer der Nachteile ist, dass Kleinkinder aufgrund der langen Untersuchungszeit häufig sediert werden müssen. Bei Fragestellungen wie Verletzungen der Wirbelsäule, Stressfrakturen oder okkulten Frakturen kann eine ergänzende MRT-Untersuchung jedoch sinnvoll sein.
Schädel
Der Sturz auf den Kopf bedarf der besonderen Aufmerksamkeit. Er gehört zu den häufigsten Verletzungen im Kindesalter. Als Folge ist fast alles möglich, von der harmlosen Platzwunde mit mehr oder minder ausgeprägter Beule bis hin zu Gehirnerschütterungen oder inneren Blutungen mit oder ohne Schädelbruch.
Als Warnhinweise für eine schwere Verletzung sind folgende Symptome zu bewerten:
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Bewusstlosigkeit mit oder ohne getrübtes Orientierungs- oder Erinnerungsvermögen
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anhaltende Übelkeit oder Erbrechen
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Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen
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bei Säuglingen auch auffallend: ruhigeres Verhalten, längeres Schlafen
Die Diagnostik der Schädelfrakturen und ihre Komplikationen können sehr unterschiedlich sein und hängen von Klinik und Verfügbarkeit der klinischen Untersuchungsverfahren ab. Bei wenig traumatischen Ereignissen kann die Diagnose häufig über eine Ultraschalluntersuchung erfolgen, da diese eine sensitive Methode der Frakturerkennung im Bereich der Schädelkalotte und Röhrenknochen darstellt. Bei neurologischen Ausfällen oder SHT sollte eine Schnittbildgebung mittels CT/MRT erfolgen.
Kindliche Besonderheiten
Durch die relativ dünne Schädelkalotte und den weichen Knochen mit fester Verbindung zur Dura mater ist das kindliche Gehirn weniger geschützt, sodass es häufiger zu Impressionsfrakturen mit Abrissen der Brückenvenen kommt, mit Ausbildung eines subduralen Hämatoms. Auch geringe Traumata können durch die schwache Nackenmuskulatur (geringe Schutzmechanismen) zu intrazerebralen Verletzungen führen. Bei noch offenen Suturen ist eine diskrete Volumenvergrößerung zwar möglich, jedoch neigt das Gehirn bei noch nicht völlig ausgereifter Blut-Hirn-Schranke zu Ödembildung, sodass es bei Schädel-Hirn-Traumata gehäuft zu Hirnödemen kommt.
Bei einer Vielzahl reicht eine klinische Überwachung aus. Die klinische Untersuchung kann allein durch den Tastbefund den Verdacht einer Impressionsfraktur ergeben; diese kann auch leicht mittels Ultraschall dokumentiert werden. Therapeutisch sollte sie immer operativ versorgt werden.
Zum Nachweis von Komplikationen im Sinne einer intrakraniellen Blutung ist i. d. R. ein Schnittbildverfahren CT/MRT erforderlich. Lediglich im Kleinkindalter bei noch offenen Fontanellen lässt sich dies auch sonografisch darstellen. In der Akutphase wird meist eine Computertomografie durchgeführt ([Abb. 1]).
Die Ping-Pong-Fraktur bezeichnet eine typische kindliche Schädelverletzung, die Frakturlinie selbst ist meist nicht nachweisbar.
Die Schädelübersichtsaufnahme in 2 Ebenen wurde als diagnostische Maßnahme weitgehend verlassen, da sie keinerlei klinische Relevanz bietet. Selbst bei positivem Frakturnachweis kann hier nicht festgestellt werden, ob es sich um eine frische oder ältere Fraktur handelt, da die übliche Knochenheilung am Schädel mit Kallusbildung verzögert oder gar nicht abläuft und Frakturen sogar nach Jahren noch nachweisbar sind ([Abb. 2]).
Die konventionelle Schädelaufnahme in 2 Ebenen zum Nachweis einer Fraktur ist obsolet, da sie zu keinerlei therapeutischer Konsequenz führt.
Monokelhämatome und Blutungen aus dem Gehörgang sind häufig Zeichen einer Schädelbasisfraktur, die nur mithilfe von Schnittbildverfahren dargestellt werden kann ([Abb. 3] und [4]).
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Kindesmisshandlung
Im Folgenden sollen einige Befunde genannt werden, die Hinweise auf eine Kindesmisshandlung geben können. Hierzu zählt das Auftreten von mehreren Frakturen mit unterschiedlichem Heilungsgrad, erkennbar an der unterschiedlich ausgeprägten Kallusbildung. Frakturen z. B. an Rippen, Skapula und Sternum treten bei Kindern vergleichsweise selten auf und können für eine Misshandlung sprechen. Steht die Vermutung einer Kindesmisshandlung im Raum, sollte ein vollständiger Status aller Verletzungen abgebildet werden. Die Wahl der besten Methode erfolgt in Abhängigkeit vom Alter und wird häufig im Rahmen eines Röntgenstatus in einer Ebene durchgeführt. Als besonderes Zeichen wird das „Corner Sign“ beschrieben, das einer metaphysären Kantenabsprengung entspricht. Bei Kleinkindern ist dies möglicherweise nur durch unscharfe Metaphysenkonturen darstellbar. Gelegentlich ist es mit einem subperiostalen Hämatom vergesellschaftet.
Eine CT-Untersuchung sollte mit adaptierten Kinderprotokollen möglichst dosissparend durchgeführt werden.
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Wirbelsäule
Verletzungen der Wirbelsäule kommen bei Kindern wegen der hohen Elastizität des Knochens und der geringen Körpermasse relativ selten vor. In der Entwicklung reift die Wirbelsäule vom ca. 8. – 10. Lebensjahr mit Wirbelkörper- und Facettengelenksformen sowie stabileren Bändern, sodass das Verletzungsmuster ab diesem Lebensabschnitt demjenigen von Erwachsenen ähnlich ist. Die meisten Wirbelsäulenverletzungen – selten schwere Verletzungsmuster – haben Verkehrsunfälle zur Ursache und treten thorakolumbal auf.
Auch wenn knöcherne Verletzungen im HWS-Bereich selten vorkommen, sollte im Rahmen der Diagnostik ein besonderes Augenmerk auf das Ossifikationszentrum des Dens und der sekundären Ossifikation der Quer- und Dornfortsätze gelegt werden. Der hintere Ring am Atlas verknöchert um das 4. Lebensjahr, zwischen dem 7. und 10. Jahr fusioniert er komplett. Zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr verknöchern beim Axis die hinteren Bögen. Der komplette Axiskörper sollte um das 7. Lebensjahr verknöchert sein. Die Verknöcherung des Denskörpers mit dem Os terminale des Dens erfolgt mit ca. 11 bis 12 Jahren.
Eine Besonderheit ist das SCIWORA-Syndrom (spinal cord injury without radiographic abnormality) mit multisegmentalen neurologischen Störungen. Die kindliche Wirbelsäule kann sich aufgrund der erhöhten Elastizität in longitudinaler Richtung um bis zu 5 cm dehnen, ohne dass es zu einer Verletzung kommt, jedoch verkraftet das Rückenmark nur eine Dehnung von ca. 0,5 cm, bis es zu ernsten Schäden mit neurologischen Störungen kommen kann. Durch stetig verbesserte MRT-Diagnostik können heutzutage jedoch Befunde entdeckt werden, die mit den neurologischen Ausfällen korrelieren ([Abb. 5]).
Sobald neurologische Ausfälle vorliegen und keine ossäre Verletzung in der CT diagnostiziert wurde, muss eine MRT-Untersuchung der Wirbelsäule durchgeführt werden.
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Thorax
Thoraxverletzungen treten im Rahmen der Kindertraumatologie eher selten auf und eher als Folge von Verkehrsunfällen oder von Stürzen aus größeren Höhen ([Abb. 6]).
Neben Rippenfrakturen können parenchymatöse Verletzungen der Lunge auftreten, die zu einem Pneumothorax und einem Weichteilemphysem führen können. Bei Hochrasanztraumen können zusätzlich Lungenkontusionen und Risse auftreten, die als pulmonale Verdichtungen von Milchglas bis Konsolidierung führen. Der Lungenriss stellt sich i. d. R. als atypischer Lufteinschluss dar. In seltenen Fällen kann es zu einer Herzkontusion kommen, die jedoch nur durch Enzymerhöhungen diagnostiziert wird. Diese ist häufig vergesellschaftet mit Sternumfrakturen als Zeichen eines direkten Traumas ([Abb. 7] und [8]).
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Abdomen
Bei Traumata im Bereich des Abdomens spielt der Ultraschall eine besondere Rolle. Im Rahmen der Schockraumdiagnostik dient das sog. FAST-Sono (FAST: focused assessment with sonography for trauma) der Primärdiagnostik.
Insbesondere sind indirekte Zeichen wie der Nachweis von intraabdominellen Flüssigkeiten (als Zeichen einer parenchymatösen Verletzung) oder der Nachweis freier Luft (als Zeichen einer Hohlorganverletzung) von besonderer Wichtigkeit, die eine weitere Lokalisationsdiagnostik erfordern mit besonderem Augenmerk auf Leber, Milz und Pankreas. In der Regel ist bei einem positiven Nachweis ein operativer Ansatz zu erwägen ([Abb. 9] und [10]).
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Obere Extremität
Im Allgemeinen ist zu sagen, dass Frakturen im Kindesalter meistens im Bereich der Diaphyse liegen, was auf einen hohen Knorpelgehalt im Bereich der Epi- und Metaphyse zurückzuführen ist. Die Verletzungen werden in ihrer Lage zur Epiphysenfuge nach Salter und Harris/Aitken klassifiziert [4], [5].
Ellenbogenfrakturen
Luxationen oder Frakturen im Ellenbogengelenk sind häufig und klinisch relevant, da hier eine fehlerhafte Befundung zu Spätfolgen führen kann. Die Frakturen können im Bereich des distalen Humerus, des Radius und auch der Ulna auftreten.
Bei Kindern können extraartikuläre wenig dislozierte oder intraartikuläre nicht dislozierte Ellenbogenfrakturen konservativ behandelt werden. Primär nicht dislozierte Frakturen des Condylus radialis sollten bei konservativer Behandlung aufgrund der hohen Dislokationstendenz engmaschigen radiologischen Verlaufskontrollen unterzogen werden, bei fehlender Dislokation sind sie im konventionellen Röntgen erschwert beurteilbar. Diagnostiziert wird die Fraktur über eine Röntgenaufnahme in 2 Ebenen. Bei unklarem Röntgenbefund können Zusatzaufnahmen in 45°-Einstellung indiziert sein, um eine Verletzung der Trochlea oder des Capitulum humeri auszuschließen. Präoperativ wird z. T. zur OP-Planung eine CT-Untersuchung bei komplexen Frakturen benötigt.
Suprakondyläre Humerusfrakturen
Ein typischer Unfallmechanismus ist das Extensionstrauma. In einigen Fällen ist konventionell radiologisch die Frakturlinie nicht eindeutig abgrenzbar und das Fettpolsterzeichen, also der Gelenkerguss, wegweisend ([Abb. 11]).
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Epicondylus-ulnaris-Frakturen
Treten oft als Avulsionsfrakturen auf. Wichtig für eine korrekte Diagnose ist es, den altersentsprechenden Verknöcherungsverlauf des Ellenbogens zu kennen ([Abb. 12]).
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Radiusköpfchenfrakturen
Häufig ist die Radiusköpfchenfraktur nur durch das indirekte Fettpolsterzeichen zu vermuten. Dieses ist bedingt durch eine Flüssigkeitsansammlung im Ellenbogengelenk. Es ist somit bei traumatischen Fragestellungen ein indirektes Zeichen für einen hämorrhagischen Erguss bzw. bei intraartikulärer Fraktur. Es kann aber auch bei entzündlichen Erkrankungen des Ellenbogens auftreten. Es wird ein vorderes und hinteres Fettpolster unterschieden. Das hintere Fettpolster liegt normalerweise in der Fossa olecrani und kommt im normalen Röntgenbild nicht zur Darstellung. Das vordere Fettpolster liegt in der Fossa coronoidea und Fossa radialis und zeigt sich im normalen Röntgenbild nur als schmaler Saum ventral des Humerus. Die Radiusköpfchenfraktur wird je nach Schweregrad anhand der Dislokation und Fragmentierung in 5 verschiedene Typen eingeteilt ([Abb. 13]).
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Unterarmfrakturen
Bei Kindern unter 10 Jahren treten wegen der besonderen Knochenstruktur des Periostschlauchs typische Frakturformen auf. Achsfehlstellungen ab 15° (häufig kombiniert mit einem Rotationsfehler) führen zu Einschränkungen in der Pro- und Supination ([Abb. 14]).
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Metaphysäre Wulstfrakturen
Metpaphysäre Wulstfrakturen weisen einen gestauchten Knochen auf: Die Kontinuität des Knochens ist jedoch nicht unterbrochen. Klassisch imponiert ein Wulstbruch als wulstartige Stauchungsfraktur, häufig am distalen Radius.
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Grünholzfraktur
Zu einer einseitigen Unterbrechung der Kortikalis und des Periosts kommt es bei sog. Grünholzfrakturen. Grünholzfrakturen tendieren dazu, sekundär zu dislozieren. Bei geringer Achsabweichung werden sie konservativ behandelt, bei größerer Achsabweichung osteosynthetisch mittels flexiblen Nägeln (bei Erwachsenen eher mittels PLO (Plattenosteosynthese)). Eine insuffiziente Behandlung kann zu bleibenden Deformitäten oder Fehlstellungen mit funktioneller Beeinträchtigung führen ([Abb. 15]).
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Monteggia-Fraktur
Die Monteggia-Fraktur ist eine Ulnafraktur, häufig bedingt durch einen Sturz auf den ausgestreckten Arm, mit begleitender Dislokation des Radiusköpfchens. Bei übersehenen oder verspätet diagnostizierten Luxationen des Radiusköpfchens kommt es häufig als Spätfolge zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen des Ellenbogengelenks.
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Distale Radiusfraktur
Die distale Radiusfraktur stellt die häufigste Frakturform bei Kindern dar. Häufig kann diese konservativ behandelt werden, da es sich oft um einen nicht dislozierten Wulstbruch handelt ([Abb. 16]).
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Beckenfrakturen
Das kindliche Becken hat im Vergleich zum erwachsenen Becken eine höhere Elastizität und größere knorpelige Flächen, weswegen Beckenfrakturen immer auf ein starkes Trauma hinweisen und häufig mit Organverletzungen einhergehen ([Abb. 17]).
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Kindliche Femurfrakturen
Bei Kleinkindern benötigt man große Traumen, um eine Femurfraktur zu Gesicht zu bekommen. Sie sind häufig ein Indiz für Kindesmisshandlung. Hier ist es wichtig, darauf zu achten, ob auch in anderen Bereichen Verletzungen unterschiedlichen Alters abgrenzbar sind. Bei etwas älteren Kindern sieht man Femurfrakturen häufig im Rahmen von Hochrasanztraumen, oft mit begleitenden massiven Weichteilschäden. Neben der Röntgenaufnahme in 2 Ebenen mit Darstellung beider angrenzender Gelenke sollte auch eine neurovaskuläre Befunderhebung bei einer Femurfraktur erhoben werden. Die Therapie richtet sich nach dem Maß der Dislokation und kann bei Rotationsabweichungen von bis zu 15° und Seitabweichungen bis zur halben Schaftbreite konservativ behandelt werden. Eine häufige Komplikation bei Femurschaftfrakturen im Kindesalter sind sich daraus ergebende Beinlängendifferenzen. Bei Kindern unter 10 Jahren kann es durch Stimulation der Epiphysenfuge zu einer Beinverlängerung kommen, die sich i. d. R. auswächst, aber z. T. auch operativ korrigiert werden muss. Nach dem 10. Lebensjahr kommt es häufiger – wie auch beim Erwachsenen – zu einer Beinverkürzung ([Abb. 18]).
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Knie
Chondrale und osteochondrale Frakturen: Hier ist vor allem die untere Extremität mit oberem Sprunggelenk und Kniegelenk betroffen. Diese können mittels Röntgendiagnostik oft nicht sicher diagnostiziert werden, weswegen hier MRT-Untersuchungen die Methode der Wahl darstellen.
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Okkulte Frakturen
Oft ist eine Fraktur im Röntgenbild bei der Primärdiagnostik nicht eindeutig detektierbar. Im Verlauf kann jedoch z. T. eine periostale Kallusreaktion und eine Verdichtung im Frakturverlauf abgegrenzt werden. Eine solche okkulte Fraktur kann man im Rahmen der MRT-Diagnostik darstellen, was allerdings keinen großen therapeutischen Nutzen mit sich bringt, da okkulte Frakturen ausnahmslos konservativ behandelt werden. Im Gegensatz dazu erscheint ein Nachweis von osteochondralen Flakes oder Frakturen mittels MRT – wie schon erwähnt – sinnvoll.
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Toddler-Fraktur
Die Toddler-Fraktur wird häufig im Alter von ca. 10 Monaten bis zu 3 Jahren – im Rahmen des Laufenlernens – beobachtet und beschreibt eine spiralförmig verlaufende Ermüdungsfraktur der Tibia. Da es sich um einen unverschobenen Haarriss handelt, ist dies bei Erstbildgebung oft schwierig zu diagnostizieren. In Verlaufskontrollen ist eine diskrete Kallusbildung und Periostreaktion erkennbar ([Abb. 19]).
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Übergangsfrakturen der distalen Tibia
Dies sind Frakturen der distalen Tibia, die normalerweise bei anteilig verknöcherter Epiphysenfuge auftreten. Zur operativen Planung wird hier häufig eine CT-Untersuchung benötigt ([Abb. 20]).
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Fazit
Vor der Therapie steht die Diagnostik. Hier ist insbesondere auf einen sensiblen Umgang mit der Strahlenhygiene zu achten. Eine Computertomografie sollte nur bei strengster Indikationsstellung mit eindeutiger klinischer Relevanz durchgeführt werden. Die Kenntnis der physiologischen Skelettentwicklung ist entscheidend für die Interpretation und Behandlung von Frakturen. Das kindliche Skelett ist sehr flexibel. Deshalb kommt es nicht so leicht zu kompletten Frakturen. Selbst größere Dislokationen oder Achsfehlstellungen können durch den Knochenumbau korrigiert werden. Problematisch sind Frakturen, die in die Wachstumsfugen einstrahlen und zu deutlichen Funktionseinschränkungen führen können.
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Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
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Literatur
- 1 Aitken AP. Fractures of the epiphyses. Clin Orthop Relat Res 1965; 41: 19-23
- 2 Landin LA. Fracture patterns in children. Analysis of 8,682 fractures with special reference to incidence, etiology and secular changes in a Swedish urban population 1950–1979. Acta Orthop Scand Suppl 1983; 202: 1-109
- 3 Hedström EM, Svensson O, Bergström U. et al. Epidemiology of fractures in children and adolescents. Acta Orthop 2010; 81: 148-153
- 4 Salter RB. Injuries of the epiphyseal plate. Instr Course Lect 1992; 41: 351-359
- 5 Salter RB, Harris WR. Injuries involving the epiphyseal plate. J Bone Joint Surg Am 1963; 45: 587-622
Korrespondenzadresse
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Literatur
- 1 Aitken AP. Fractures of the epiphyses. Clin Orthop Relat Res 1965; 41: 19-23
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- 4 Salter RB. Injuries of the epiphyseal plate. Instr Course Lect 1992; 41: 351-359
- 5 Salter RB, Harris WR. Injuries involving the epiphyseal plate. J Bone Joint Surg Am 1963; 45: 587-622