Geburtshilfe Frauenheilkd 2008; 68 - P6_08
DOI: 10.1055/s-2008-1079226

Relevanz der larvierten Belastungsinkontinenz in der Langzeitbeobachtung

S Wagner 1, A Tsvilina 1, M Schmidt 1, K Jundt 1
  • 1Universitätsfrauenklinik der LMU München, Maistr. 11, 80337 München

Fragestellung: Vor einer Prolapsoperation werden Patientinnen im Hinblick auf eine larvierte Belastungsinkontinenz mittels eines Stress- und Pad-Tests sowie einer urodynamischen Untersuchung unter Reposition des Prolapses untersucht. Es wurde herausgefunden, dass die direkt postoperativ in den Vordergrund tretende larvierte Belastungsinkontinenz nur ein sehr seltenes Ereignis ist und sehr wenige Patientinnen mit larvierter Belastungsinkontinenz innerhalb des ersten halben Jahres einen zweizeitigen Inkontinenzeingriff benötigten. Wie viele dieser Patientinnen im Langzeitverlauf dennoch an einer Belastungsinkontinenz leiden und einen Inkontinenzeingriff benötigten, oder ob auf eine invasive Diagnostik vor einer Deszensus-Operation in Zukunft verzichtet werden kann, war Ziel unserer Studie.

Methodik: Zwischen Januar 02 und Dezember 04 wurde bei 312 Patientinnen eine primäre Deszensusoperation bzw. ein Rezidiveingriff von vaginal oder abdominal durchgeführt. Präoperativ wurden bei allen Patientinnen ein Stress-Test sowie eine urodynamische Untersuchung unter Reposition des Prolapses durchgeführt. Patientinnen mit larvierter Belastungsinkontinenz wurden über die Möglichkeit eines zweizeitigen Inkontinenzeingriffes aufgeklärt. Postoperativ erhielten alle Patientinnen für mindestens 6 Monate eine lokale Östrogenisierung und wurden nach 6 Wochen zur Kontrolle einbestellt. In einem Nachbeobachtungszeitraum von 4–6 Jahren wurden die Patientinnen erneut zu einer urogynäkologischen Untersuchung einbestellt, zusätzlich wurde ein Streß und Padtest durchgeführt.

Ergebnisse: Bei 51 der 312 Patientinnen (16,3%) wurde präaoperativ eine larvierte Belastungsinkontinenz diagnostiziert. Davon wurde bei 13 Patientinnen (25,5%) bereits gleichzeitig mit der Deszensusoperation eine Inkontinenzoperation durchgeführt. Von den 38 verbleibenden Patientinnnen (74,5%) mussten 13 weitere Patientinnen ausgeschlossen werden (unbekannt verzogen, Tod, mangelnde Sprachkentnisse).

Von den 25 nachuntersuchten Patientinnen zeigten nur 3 (12%) sowohl direkt postoperativ als auch im Langzeit-Follow-up eine manifeste Belastungsinkontinenz, wünschten aber derzeit keine operative Versorgung. Diese Patientinnen hatten anamnestisch präoperativ eine Belastungsinkontinenz angegeben. Bei 2 von 25 Patientinnen zeigte sich bei der Nachuntersuchung ein Redeszensus der vorderen Vaginalwand (Grad 2 POP-Q/ICS) ohne Leidensdruck.

Schlußfolgerung: Trotz des präoperativen Nachweises einer larvierten Belastungsinkontinenz manifestiert sich postoperativ die Belastungsinkontinenz nur in seltenen Fällen (in diesem Kollektiv 12%). Auch im Langzeit-Follow-up tritt die Belastungsinkontinenz nur bei den Patientinnen auf, die präoperativ anamnestisch Symptome einer Belastungsinkontinenz angaben.

Dies kann mehrere Ursachen haben:

  • Die larvierte Belastungsinkontinenz wird durch die Reposition iatrogen verursacht.

  • Einige der durchgeführten Deszensuseingriffe erfüllen zusätzlich die Funktion eines Inkontinenzeingriffes (was durch den Langzeit-Follow-up relativ auszuschließen ist).

Unseres Erachtens kann somit auf die Durchführung einer präoperativen invasiven Diagnostik (Streßtest, Urodynamik) vor einem Deszensuseingriff verzichtet werden, die Patientin sollte über die Möglichkeit einer postoperativen Belastungsinkontinenz präoperativ aufgeklärt werden.