Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - P136
DOI: 10.1055/s-2008-1079039

N-Acetylglutamat-Synthetase-Defekt – die seltenste Form der Harnstoffzyklusstörungen – Therapiemöglichkeiten anhand eines Fallberichts

D Lopes Videira 1, C Bender 1, E Komini 1, M Hofbeck 2, J Häberle 3, H Korall 4, D Scheible 5, FK Trefz 5, M Henschen 1
  • 1Kinderabteilung, Städt. Kinderkrankenhaus, Villingen-Schwenningen
  • 2Eberhard-Karls-Universität Universitätsklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Tübingen
  • 3Westf. Wilhelms-Univ.- Kinderklinik, Münster
  • 4zfs – Zentrum für Stoffwechseldiagnostik, Reutlingen
  • 5Kinderklinik, Kreiskrankenhaus, Reutlingen

Einleitung: Harnstoffzyklusstörungen sind genetisch bedingte Defekte der Entgiftung von Ammoniak. Es sind insgesamt sechs verschiedene Enzymdefekte bekannt. Den Harnstoffzyklusstörungen gemeinsam sind im Rahmen von Entgleisungen eine Hyperammonämie und die daraus resultierende Enzephalopathie. Die Symptome sind unspezifisch: Trinkschwäche, Atemstörungen, Hypothermie, Lethargie, muskuläre Hypotonie, Koma, Krampfanfälle und Multiorganversagen. Fallbericht: Ein hypotrophes Neugeborenes wurde am 3. Lebenstag bei Trinkschwäche und Hyperbilirubinämie in der Kinderklinik stationär aufgenommen. Am 5. Lebenstag entwickelten sich Tachypnoe, Stöhnatmung und Temperaturen bis 39°C. Wegen Verdacht auf Sepsis wurde zunächst eine antibiotische Therapie begonnen. Bei Hyperammonämie und damit dringendem Verdacht auf einen Harnstoffzyklusdefekt erfolgten dann eine Nahrungskarenz, eine intravenöse Zufuhr von Glucose, Carnitin und Arginin und die zügige Verlegung in eine Universitätsklinik. Dort wurden eine Hämodialyse (Ammoniak maximal 1259µg/dl) und eine hochkalorische, eiweißfreie parenterale Ernährung durchgeführt. Die Stoffwechseldiagnostik lenkte den Verdacht zunächst auf einen Carbamylphosphat-Synthetase(CPS)-Defekt. Daher wurden, auch um alternative Wege der Stickstoffelimination zu nutzen, Argininhydrochlorid, Natriumbenzoat, Phenylbutyrat und Carnitin verabreicht. So konnten die Ammoniakwerte gesenkt und ein oraler Nahrungsaufbau begonnen werden. Die Entlassung nach Hause war erst nach insgesamt 8 Wochen stationärem Aufenthalt (zuletzt in einem Stoffwechselzentrum) möglich. Durch eine DNA-Untersuchung konnte im Verlauf ein N-Acetylglutamat-Synthetase (NAGS)-Defekt festgestellt werden. Es erfolgte daher die erneute stationäre Aufnahme des Mädchens zur Therapieumstellung auf Carbamylglutamat (Carbaglu®). Das Kind konnte auf eine altersgemäße Ernährung umgestellt werden und benötigt ansonsten keine Medikamente mehr. Diskussion: Der NAGS-Defekt ist eine sehr seltene autosomal-rezessiv vererbte Harnstoffzyklusstörung. Er ist biochemisch nicht vom CPS-Defekt zu unterscheiden. CPS koppelt als ersten Schritt des Harnstoffzyklus Bikarbonat und Ammonium zu Carbamoylphosphat. Dafür ist die Aktivierung der CPS durch N-Acetylglutamat (NAG) nötig, welches als Produkt der NAGS durch Kopplung von Glutamat an Acetyl-CoA entsteht. Die Störung des Harnstoffzyklus ergibt sich daher aus der fehlenden Aktivierung der CPS. Durch Gabe von Carbamylglutamat, welches zu NAG analog wirkt, kommt es zu einer normalen Aktivierung der CPS und somit zu einer normalen Funktion des Harnstoffzyklus. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei Neugeborenen mit Sepsisverdacht stets auch an die Möglichkeit einer Stoffwechselentgleisung gedacht werden sollte. Bei primärer Hyperammonämie stellt der NAGS-Defekt eine sehr seltene, aber durch die seit kurzem bestehende Möglichkeit der Therapie mit Carbaglu® gut behandelbare Differentialdiagnose dar.