Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - FV32
DOI: 10.1055/s-2008-1078819

Essstörungen bei Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1500g im Alter zwischen 1 und 7 Jahren

N Grass 1, D Faas 1, R Kurth 2, KP Zimmer 1, M Heckmann 1
  • 1Zentrum für Kinderheilkunde der Justus-v.-Liebig-Universität, Gießen
  • 2Zentrum für psychosomatische Medizin der Justus-Liebig Universität Giesen, Gießen

Hintergrund: Frühgeborene (FG) gelten als eine Risikogruppe für das Auftreten frühkindlicher Essstörungen. Eine mangelnde Gewichtszunahme und eine schlechtere psychomotorische Entwicklung können resultieren. Bislang liegen dazu kaum systematische Untersuchungen vor. Fragestellung: Ermittlung der Inzidenz des Auftretens von Essstörungen bei FG mit einem Geburtsgewicht <1500g im Alter zwischen 1 und 7 Jahren und Identifizierung von perinatalen und neonatalen Risikofaktoren. Patienten und Methode: 297 Eltern von 350 überlebenden FG <1500g der Geburtsjahrgänge 1999 bis 2005 erhielten einen eigens für diese Studie entwickelten Fragebogen. Dabei wurden Symptome einer Essstörung (partielle oder komplette Nahrungsverweigerung, Erbrechen, Verschlucken, selektive Nahrungsaufnahme) und die Gewichtsentwicklung erfasst. Perinatale und neonatale Risikofaktoren wurden anhand der Krankenakten ergänzt. Die Symptome wurden für verschiedene Altersabschnitte getrennt erfasst. Die Schwere der Essstörung wurde mittels eines Scoring-Systems beschrieben: Den relativen Häufigkeiten bzw. definierten Ausprägungsgraden der Symptome wurden Punktewerte (0, 1, 3, 5, 7) zugeordnet und addiert (max. Score: 35). Der Cutt-Off für das Vorliegen einer Essstörung wurde mit insgesamt 10 Punkten, oder dem Vorliegen von 7 Punkten bei einem Symptom unabhängig von der Gesamtpunktzahl festgesetzt. Dadurch wird gewährleistet, dass mindestens mehrere Symptome in mittelmäßiger bis starker oder ein Symptom in sehr starker Ausprägung vorliegen müssen. Ergebnisse: 142 Fragebögen (48% der befragten FG) wurden ausgewertet. Im 1. Lebensjahr fand sich bei 27% (38/142) der FG eine Essstörung (Score: Median (Min-Max): 15,5 (8–27)), bei 1–2 Jahren bei 19% (27/142) (Score: 14 (10–35)), bei 3–4 Jahren bei 13% (14/105) (Score: 17,5 (10–29)) und bei 4–6 Jahren bei 6% (4/63) (Score: 14 (10–19)). Im Alter von 1–2 Jahren gibt es 2 Erstmanifestationen einer Essstörung, im Alter von 3–6 Jahren handelt es sich ausschließlich um persistierende Essstörungen. FG mit Essstörung unterschieden sich von FG ohne Essstörung: Gestationsalter (MW 27,2 vs. 29,3 Wochen; p<0,001), Geburtsgewicht (MW 903 vs. 1111g; p<0,001), Beatmungsdauer (Median 120 vs. 24h; p<0,001), Dauer der CPAP-Atemhilfe (Median 216 vs. 48h; p<0,001), Grad des Atemnotsyndroms (Median 3 vs. 2; p<0,001), Hirnblutung (43% vs. 17%, p<0,05), Grad der Retinopathia praematurorum (Median 1 vs. 0; p<0,001), BPD (Sauerstoff am 28. Tag) (64% vs. 29%, p<0,001), stationäre Behandlungsdauer (Median 97 vs. 60 Tage, p<0,001), Gewichtsperzentile nach dem 1. Lebensjahr (Median 6,5 vs. 9,5, p<0,001). Schlussfolgerung: Essstörungen bei FG beginnen innerhalb des 1. Lebensjahres. Ein niedriges Gestationsalter und Geburtsgewicht und das Auftreten neonataler Komplikationen ließen sich als Risikofaktoren identifizieren. Das Vorliegen einer Essstörung war außerdem mit einem schlechteren postnatalen Wachstum der FG assoziiert.