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DOI: 10.1055/s-2008-1078772
10 Jahre Erfahrung mit einem interdisziplinären Betreuungskonzept
Seit Anfang 1998 haben wir 171 Neugeborene suchtmittelabhängiger Eltern durch den Opiatentzug begleitet. Ende 1997/Anfang 1998 hat der Tod von zwei dieser Kinder (in der Obhut der Eltern) dazu geführt, dass ein interdisziplinäres Betreuungskonzept erarbeitet wurde, um die Betreuung dieser Kinder auch längerfristig zu optimieren. Das Konzept wird seit zehn Jahren angewandt und ist laufend aktualisiert worden. Bereits während der Schwangerschaft werden die zukünftigen Eltern mit ihrer Suchtproblematik sowohl medizinisch wie auch sozial so gut als möglich erfasst und vorbereitet. Oft kann dadurch für das Kind der Start ins Leben schon wesentlich verbessert werden. Nach der Geburt werden die Eltern engmaschig begleitet, es finden Elterngespräche und Helferkonferenzen statt. Unser Hauptziel ist das Wohlbefinden und die Sicherheit der Neugeborenen. Um es zu erreichen benötigen wir die Kooperation und das Vertrauen der Eltern, aber auch die Vernetzung mit klinik-externen Stellen, welche über den Klinikaufenthalt hinaus soweit nötig die Verantwortung für diese Kinder (mit-)tragen. Worauf ist im Umgang mit Suchtmittel konsumierenden Eltern vor allem zu achten? Welche Faktoren in der interdiziplinären Arbeit mit diesen Patientinnen wirken sich positiv, welche erschwerend aus? Wie kann die Vernetzung mit klinik-externen Stellen so umgesetzt werden, dass ein möglichst nachhaltiger Kinderschutz gewährleistet wird? Was haben wir von dieser Patientengruppe gelernt? 116 von diesen 171 Kindern (67.8%) sind für einen Opiatentzug medikamentös behandelt worden. Bis 2002 wurden der Kinder ausschließlich mit Tinctur opii Tropfen gemäss einer internen Richtlinie behandelt. Ab Mitte 2002 bis Anfang 2005 haben wir an der multizentrischen schweizerischen Studie zum Drogenentzug bei Neugeborenen teilgenommen und ein oder 2 von 3 Medikamenten (Morphin, Phenobarbital und Chlorazin) verblindet verabreicht. Aufgrund der guten Erfahrung mit dem Dosierungschema der Studie, haben wir dies ab 2005 weitergeführt mit einem Opiat als 1. Medikament und Phenobarbital als 2. Medikament. Die median Dauer der Hospitalisation ab 2002 hat tendenziell zugenommen (44–54 Tage, range 18–117 Tage) im Vergleich zu den Jahren 1998–2001 (34–46 Tage, range 24–66 Tage). Die Aufenthaltsdauer ist gegenüber anderen Zahlen in der Literatur eher hoch1'2. In den Jahren 1998–2000 sind weniger als 50% der Kinder von opiatabhängigen Mütter für einen Entzug medikamentös behandelt worden (40% -45.5%). Ab 2001 sind wesentlich mehr Kinder medikamentös behandelt worden (66.7–95%). Gemäss Literatur haben 55%-94% Kinder opiatabhängiger Mütter Entzugssymptome3. Die Mehrheit der Mütter haben Methadon mit oder ohne Heroin eingenommen (5 Frauen Buprenorphinum) und es gibt keine ersichtlichen Unterschiede bezüglich Beikonsum (z.B. Kokain, Benzodiazepine, THC) zwischen den Zeiträumen 1998–2000 und 2001–2007. Die internen Behandlungsrichtlinien, die Erfahrungen mit dem Konzept, die Teilnahme an der nationalen Studie sowie die entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen haben das Wissen und die Sensibilität für die Suchtproblematik bei Neugeborenen erhöht. Die medizinische Behandlung hat sich verändert und die Kriterien zum Medikamentenabbau sind strenger definiert worden. Der Abbau erfolgt langsamer, die Entzugserscheinungen sind weniger geworden, mit dem Nachteil einer verlängerten Hospitalisation. Seit Einführung des Betreuungskonzepts werden mehr Kinder medikamentös behandelt für das neonatale Entzugssyndrom, weil die Indikation zum Therapiebeginn einheitlich gemäss dem Konzept gestellt und weitergeführt wird. Dadurch wird ein kalter Entzug vermieden. Durch differenziertere soziale Abklärungen ist der Kinderschutz heute in weit höherem Mass gewährleistet. 1. Langenfeld S et al: Therapie of the neonatal abstinence syndrome with tincture of opium or morphine drops Drug and Alcohol Dependence 77 (2005)31–36 2. Johnson K et al Maternal drug use and length of stay Addcition 98, 785–789 3. AAP Committee on Drugs. Neonatal Drug withdrawal. Pediatrics 1998;101: 1079–1088