Gastroenterologie up2date 2008; 4(2): 113-114
DOI: 10.1055/s-2008-1077316
Klinisch-pathologische Konferenz

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Cronkhite-Canada-Syndrom

Ansätze für eine chirurgische Therapie?Gabriela  Möslein
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Publication Date:
16 June 2008 (online)

Sicht des Chirurgen

Unscharfes Krankheitsbild

Zahlreiche Einzelfalldarstellungen. Die Durchsicht der Literatur zeigt unmittelbar die Problematik dieses seltenen, nicht hereditären, gastrointestinalen Polyposissyndroms auf: Beschreibungen der Literatur beziehen sich auf viele Einzelfälle, die möglicherweise nicht eindeutig von anderen Polyposissyndromen abgegrenzt wurden. In der ursprünglichen Publikation von Cronkhite und Canada 1955 wurden zahlreiche juvenile (!) Polypen des Gastrointestinaltrakts beschrieben in Kombination mit einer Onychodystrophie, einer Alopezie und einer vermehrten Hautpigmentierung. Nach dieser Erstbeschreibung addierten sich zahlreiche Berichte über Einzelfälle mit weiteren Symptomen, sodass heute zu der klinischen Symptomatik die Diarrhö mit Elektrolytabnormalitäten, Malabsorption, Malnutrition, aber auch die Helicobacter-pylori-Gastritis, intenstinale Candidiasis, Hypogeusie, Vitiligo, Diabetes mellitus, Hypothyreoidismus, membranöse Glomerulopathie, Autoimmunpankreatitis, sklerosierende Cholangitis, retroperitoneale Fibrose u. a. gezählt werden. Die Frage, die sich bei diesen Veränderungen natürlich stellt, ist die Frage nach der Henne und dem Ei, bzw. was ist Ursache und was ist Folge?

Unklare Pathogenese. Einerseits entstehen bei dem Cronkhite-Canada-Syndrom zahlreiche (hamartomatöse) Polypen, wobei die dazwischen liegende Mukosa in typischer Weise proliferiert, wodurch Flüssigkeits- und Elektrolytverluste entstehen. Faktoren, die zu einer Progression oder Remission führen, sind ebenso wie ein optimales Behandlungskonzept bzw. ein Algorithmus nicht bekannt. Das Phänomen bzw. die Konkordanz sowie die Gleichzeitigkeit oder Sequenz der tiefgreifenden Störung zweier verschiedener Epithelien ist bis heute völlig ungeklärt - bis auf die allgemein postulierte Tatsache, dass das Syndrom (eher) nicht auf einer erblichen Disposition beruht.

Polypen und Hautveränderungen. Die beim CCS entstehenden Polypen sind auf dem Hintergrund der generalisierten gastrointestinalen Mukosastörung zu verstehen, mit der auch die Malabsorption und die Enteropathie mit Proteinverlust erklärt werden. Diese Veränderungen führen zu dem klinischen Bild mit Diarrhö, abdominellen Schmerzen und einer erheblichen Malnutrition. Die dermatologischen Symptome begleiten oder folgen den gastrointestinalen Symptomen. In fast allen beschriebenen Fällen weisen Betroffene die Alopezie sowie die Nagelbettveränderungen und die Hautpigmentierung auf. Wenn es auch in den meisten Fällen durch das sekundäre Auftreten logisch erscheint, dass die ektodermalen Veränderungen als Folge der Malnutrition entstehen, so sind die in der Literatur beschriebenen Verläufe nicht konsistent mit dieser Theorie. Die Diarrhö ist multifaktoriell - doch die zahlreichen Polypen tragen wahrscheinlich auch zu der Entstehung der Diarrhö bei, und genau dieser Punkt ist chirurgisch interessant und relevant. Dabei muss man unterscheiden zwischen der funktionellen und der onkologischen Bedeutung der beobachteten Polypen.

Funktionelle Bedeutung der kolorektalen Polypen

Malnutrition. Die Prognose des CCS ist schwer einschätzbar. Etwa die Hälfte der Patienten weist ein Langzeitüberleben auf. Bei der anderen Hälfte der Patienten wird eine desolate Prognose mit einem frühen Versterben auf Grund der nicht beherrschbaren Malnutrition mit massiven Flüssigkeits-, Protein- und Eiweißverlusten berichtet. Bzgl. der medikamentösen Möglichkeiten verweise ich auf den Beitrag von Herrn Dr. Pox.

Chirurgisches Vorgehen erwägen. Wenn die medikamentösen Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, die Patienten weiter unter abdominellen Beschwerden und/oder Gewichtsverlust etc. leiden, wäre eine Resektion der am stärksten betroffenen Dünndarmanteile zu diskutieren. Wenn - wie in dem hier dargestellten Fallbeispiel - der Dickdarm mit Polypen (> 100!) übersät ist und diese von der medikamentösen Therapie unbeeinflusst fortbestehen, so sollte die Frage nach einer Dickdarmresektion zur Beseitigung der Polypen diskutiert werden. Die Analogie ergibt sich aus der Therapie der familiären adenomatösen Polyposis, bei der nach Auftreten des Vollbildes ebenfalls Diarrhöen, Gewichtsverlust, Elektrolytverschiebungen etc. beobachtet werden. Überraschenderweise liegen nur zwei Berichte in der Literatur vor, die über eine chirurgische Vorgehensweise berichten. In beiden Fällen führte die Darmresektion zu einem Therapieerfolg [1].

Onkologische Bedeutung der gastrointestinalen Polypen

Intestinale Karzinome. Während in der initialen, namengebenden Beschreibung des Syndroms hamartomatöse (juvenile) Polypen beschrieben werden, so häufen sich in der Literatur Berichte über vorwiegend neoplastische Veränderungen z. T. auch im Sinne von „serrated adenomas” [2]. Bei 16,5 % der beschriebenen CCS-Fälle in der Literatur ist ein intestinales Karzinom aufgetreten. Die Karzinome kommen am häufigsten im Kolorektum vor, gefolgt von einer Häufung im Magen. Unklar bleibt zunächst, ob es sich um eine Hamartom-Karzinom-Sequenz handelt oder um eine Adenom-Karzinom-Sequenz. Für Letzteres gibt es zahlreiche Hinweise aus der Literatur durch Fälle, in denen Adenomanteile in den beobachteten Karzinomen gefunden wurden.

Prophylaktische Organentfernung diskutieren. Ähnlich wie bei anderen Polyposissyndromen ist somit die Frage zu stellen, ob bei Nachweis von Adenomen und der nicht zu vernachlässigenden Anzahl von beobachteten Karzinomen entweder im Magen oder im Dickdarm eine prophylaktische Organentfernung erfolgen soll oder nicht. Diese Option sollte im Sinne eines Therapiealgorithmus diskutiert werden. 50 % der Patienten überleben die Akutphase nach Diagnosestellung. Sofern keine komplette Remission auftritt und die Patienten weiter Beschwerden aufweisen, wie in dem hier dargestellten Fallbeispiel, sollte der Gastrointestinaltrakt reevaluiert werden. In Analogie zu hereditären Prädispositionssyndromen sollte der Aspekt der prophylaktischen Organresektion als Möglichkeit präsent sein und zumindest individuell in Erwägung gezogen werden. Dabei sollte man bei Nachweis von Adenomen im Magen die Gastrektomie und bei Adenomen im Kolorektum die prophylaktische Kolon- oder Rektumresektion diskutieren.

Fazit

Als wichtigstes Fazit ergibt sich aus meiner Sicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen molekulargenetischen Überprüfung aller als CCS klassifizierten Falldarstellungen vor einer Publikation. Bei einigen der publizierten Fälle werden die Polypen als Adenome klassifiziert, sodass laut Definition ein CCS nicht vorliegt. Solche Berichte tragen maßgeblich zu einer klinischen und wissenschaftlichen Unschärfe bei. Die genaue Klinik und eingeschlagene Therapie müssen prospektiv sorgfältig dokumentiert und ausgewertet werden. Nur so wird man der hohen Mortalität langfristig einen geeigneten Therapiealgorithmus (medikamentös und/oder chirurgisch) entgegenstellen können.

Literatur

  • 1 Yamaguchi K, Ogata Y, Akagi Y. et al . Cronkhite-Canada syndrome associated with advanced rectal cancer treated by a subtotal colectomy: report of a case.  Surg Today. 2001;  31 521-526
  • 2 Egawa T, Kubota T, Otani Y. et al . Surgically treated Cronkhite-Canada syndrome associated with gastric cancer.  . 2000;  3 156-160

Prof. Dr. med. Gabriela Möslein

Chefärztin Allgemein- und Viszeralchirurgie, Koloproktologie
St. Josefs-Hospital Bochum-Linden

Axstraße 35
44879 Bochum

Email: gabriela.moeslein@helios-kliniken.de