Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(22): 1208
DOI: 10.1055/s-2008-1077242
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Pneumokokkenimpfung: Konjugatimpfstoff induziert Herdenimmunität und reduziert die Antibiotikaresistenz - Erwiderung

M. W. R Pletz
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Publication Date:
20 May 2008 (online)

Die von Traut genannten Limitationen der Studie zur Impfkampagne in Stockholm [2] sind im Prinzip richtig, allerdings ist eine Surveillance-Studie zur Wirkung einer Impfkampagne immer unrandomisiert. Dies ließe sich anders technisch gar nicht durchführen, und es liegt auch nicht im Sinne einer solchen Studie. Daher haben wir auch den Begriff „Interventionsstudie” verwendet und nicht von einer klinischen oder gar kontrollierten Studie gesprochen [1].

Die Angabe einer um 57 % niedrigeren Gesamtsterblichkeit bei den Geimpften gegenüber den Nicht-Geimpften in dieser Studie ist der Tab. 4 der Publikation entnommen. Hierzu Folgendes:

Eine „um” 57 % niedrigere Gesamtsterblichkeit der Geimpften im Vergleich zu den Nicht-Geimpften entspricht -und dies impliziert der Begriff „um” - genau einer Reduktion von 34,7 Todesfällen pro 1000 Einwohner (EW) pro Jahr (entsprechend 3,47 %, wenn man die Darstellungsweise von Traut anwendet) bei Nicht-Geimpften auf 15,1 Todesfälle pro 1000 EW pro Jahr (entsprechend 1,51 %) bei Geimpften. Allerdings hat Traut die wesentliche Schwäche dieser Studie nicht erwähnt, sie wurde jedoch in unserem Artikel angeführt: Die Kombination von Pneumokokkenimpfstoff und Grippeschutzimpfung, wie in dieser Studie praktiziert, lässt keine Aussage über den Anteil des Pneumokokkenimpfstoffes an der Reduktion der Gesamtsterblichkeit zu. Betrachtete man jedoch die unseres Ermessens nach beeindruckende Reduktion der Gesamtsterblichkeit als unbedeutend, dann spräche man auch dem gleichzeitig verabreichten Grippeimpfstoff seine Berechtigung ab, über dessen Nutzen Konsens herrscht. Der 23-valente Pneumokokkenimpfstoff verhindert die Pneumokokkenpneumonie nicht sicher, sondern reduziert vor allem ihre Letalität. Die von Traut angeführten 0,036 %, um die die Anzahl der Pneumokokkenpneumonien bei Geimpften reduziert wurde, muss wieder im Vergleich zu den Nicht-Geimpften gesehen werden: Diese 0,036 % entsprechen einer Reduktion der Inzidenzen von 100 Fällen pro 100 000 EW pro Jahr (Nicht-Geimpfte) auf 64 Fälle pro 100 000 EW pro Jahr (Geimpfte). Hier lohnt ein Vergleich mit der Reduktion nachgewiesener Influenzafälle durch die Influenzaimpfung aus der gleichen Arbeit von 484 Fällen pro 100 000 EW pro Jahr für Nicht-Geimpfte auf 263 Fälle pro 100 000 EW pro Jahr für Geimpfte - auch dies entspricht einer relativen Reduktion von 46 % der Erkrankungen oder auch „nur” 0,046 %, wenn man die Darstellungsart von Traut anwendet. Die von Traut errechnete NNT ist somit nur bedingt richtig: a) Es bleibt unberücksichtigt, dass die Pneumokokkenvakzine nur einmal alle 5 Jahre und nicht jährlich gegeben werden muss. b) Die Stärke der Impfung liegt in der Reduktion der Todesfälle an Pneumokokkenpneumonie, nicht in der Reduktion der Inzidenz. Darüber hinaus gibt es eine NNT bei Vakzinen nicht, da hier nicht behandelt, sondern vorgebeugt wird. Man spricht hier von einer NNV (number needed to vaccinate). Eine NNV der Tetanusschutzimpfung würde dabei mit Sicherheit wesentlich höher liegen, als die von Traut errechnete NNV der Pneumokokkenvakzine. Zu den von Traut angeführten Studien ist folgendes anzumerken: Die Studie aus Uganda 4 hat die Wirkung des 23-valenten Impfstoffes ausschließlich bei HIV-Infizierten untersucht, die aufgrund der mit der Erkrankung einhergehenden Immunsuppression auf diesen schwach immunogenen Impfstoff keine relevante Impfantwort zeigen. In der schwedischen Studie 3, die bereits in einer Reihe von Leserbriefen in Lancet kritisiert wurde, wurden ausschließlich Patienten geimpft, die vorher wegen einer ambulant erworbenen Pneumonie hospitalisiert waren. Die Häufigkeit von Pneumonien und invasiven Pneumokokkenerkrankungen wurde zwischen Geimpften und nicht Geimpften verglichen. Es gab keine signifikanten Unterschiede und „nur” 5 Todesfälle, die nicht Pneumokokken-bedingt waren. Somit lässt sich wiederum keine Aussage über die Effizienz der Vakzine, Todesfälle zu verhindern, treffen. Kritisiert wurde die Studie für Bias (Pneumoniepatienten), denn die Inzidenz an Neuerkrankungen lag in beiden Gruppen etwa 10-fach höher als in der gleichaltrigen Normalbevölkerung, so dass auch hier eine Art Immundefekt vermutet werden muss. Darüberhinaus fußte der Nachweis der Pneumokokken auf einer nicht validierten Serologie, und die Studie wurde vor Erreichen der geplanten Fallzahl abgebrochen.

Die 23-valente Vakzine reduziert das Risiko des Geimpften, an einer Pneumokokkenpneumonie zu sterben, durchaus deutlich und hat somit einen in Studien nachgewiesenes Nutzen. Dennoch ist die Impfantwort unbefriedigend. Es ist zu hoffen, dass in Kürze der wahrscheinlich wesentlich effizientere 13-valente Konjugatimpfstoff für Erwachsene zugelassen wird. Bis dahin sollten wir unsere Patienten mit der 23-valenten Polysaccharidvakzine impfen, wenn wir Ihnen eine bessere Überlebenschance bei Pneumokokkenpneumonie - einer in diesem Alter häufigen Erkrankung - nicht vorenthalten wollen.

Literatur

  • 1 Pletz M W, Maus U, Hohlfeld J M, Lode H, Welte T. Pneumokokkenimpfung: Konjugatimpfstoff induziert Herdenimmunität und reduziert Antibiotikaresistenz.  Dtsch med Wochenschr. 2008;  133 358-362
  • 2 Christenson B. et al . Effects of a large-scale intervention with influenza and 23-valent pneumococcal vaccines in adults aged 65 years or older:a prospective study.  Lancet. 2001;  357 1008-1011
  • 3 Ortqvist A. et al . Randomised trial of 23-valent pneumococcal capsular polysaccharide vaccine in prevention of pneumonia in middle-aged and elderly people.  Lancet. 1998;  351 399-403
  • 4 French N. et al . 23-valent pneumococcal polysaccharide vaccine in HIV-1-infected Ugandan adults:double-blind, randomisid and placebo controlled trial.  Lancet. 2000;  355 2106-2111

Dr. med. M. W. R. Pletz

Department of Pulmonary Medicine, Hannover Medical School

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