Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(22): 1206-1207
DOI: 10.1055/s-2008-1077240
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Messung von Plasmakonzentrationen antiretroviraler Arzneimittel in der HIV-Therapie - Erwiderung

N von Hentig
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20 May 2008 (online)

Ich danke Langmann für seine ergänzenden Anmerkungen und Einwänden zu meinem Übersichtsartikel [1], die uns Gelegenheit geben, das wichtige Thema des „Therapeutischen Drug monitoring” im HIV-Bereich zu diskutieren. Hinsichtlich der Beurteilung der Talspiegelmessung von antiretroviralen Pharmaka als dem derzeit klinisch praktikabelsten Werkzeug der pharmakokinetischen Therapieüberwachung stimme ich mit Langmann überein. „Talspiegel” („C trough”) sind nicht nur hinsichtlich des Abnahmezeitpunktes - im Gegensatz zu Maximalkonzentrationen - am einfachsten zu definieren.

Der am häufigsten in der internationalen Literatur mit Wirkung der Mehrzahl der Proteaseinhibitoren und NNRTI assoziierte pharmakokinetische Parameter zusätzlich zum „Ctrough” ist die Minimalkonzentration zwischen den Dosierungsintervallen, die in meinem Artikel als „Cmin” bezeichnet wird (siehe Abb. 1 aus [1]). „Cmin” und „C trough” sind sicherlich eng miteinander korreliert, jedoch numerisch nicht identisch. Aus diesem Grund haben wir unsere aus nach standardisiertem Verfahren über das gesamte Dosisintervall gemessenen Plasmakonzentrationen ermittelten Werte der „Cmin” den internationalen Empfehlungen gegenübergestellt, ohne daraus weitere Empfehlungen abzuleiten. Die Gegen-überstellung soll Klinikern zur Orientierung dienen, die Werte ihrer Patienten im Verhältnis zu den aktuell empfohlenen Talspiegeln einzuordnen. Die von Langmann vorgeschlagenen Talspiegelwerte zielen damit in der Tat direkt auf die in der klinischen Praxis ermittelten Plasmakonzentrationen (s. o.).

Jedoch weichen die von Langmann vorgeschlagenen Talspiegelbereiche für (Fos)Amprenavir, Indinavir, Lopinavir, Nelfinavir, Saquinavir und Nevirapin von den internationalen Leitlinien ab [2] [3]. Auch ist aus dem Diskussionsbeitrag nicht ersichtlich, wie diese Zahlen errechnet wurden. Desweiteren nennen die internationalen Leitlinien ausschließlich Untergrenzen, nicht aber Obergrenzen für Talspiegel. Die Empfehlungen der Leitlinien resultieren aus der Bewertung klinischer Studiendaten im Hinblick auf die Assoziation von „Ctrough” bzw. „C min” mit dem antiretroviralen Therapieerfolg [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11]. Von einer publizierten Assoziation der Wirksamkeit mit den vorgeschlagenen Alternativwerten, welche deren Überlegenheit gegenüber den Leitlinienempfehlungen zeigen würde, habe ich keine Kenntnis.

Zudem haben beispielsweise Rodriguez-Novoa et al. 2007 [12] gezeigt, dass die Höhe der Atazanavir Talspiegel signifikant mit der Inzidenz von Hyperbilirubinämie assoziiert war. Patienten in einer Gruppe mit MDR1 C3435C-Genotyp zeigten bereits bei mittleren Talspiegeln von 939 ng/ml deutlich mehr Hyperbilirubinämien als Vergleichspatienten mit niedrigeren Atazanavir-Talspiegeln. Dicenzo et al. [13] haben in einer weiteren Studie 2006 beschrieben, dass bei einer Kombination von Indinavir mit Lopinavir/Ritonavir bereits verhältnismäßig niedrige Talspiegel (Indinavir 480 - 560 ng/ml, p = 0,0065 bzw. Lopinavir 4600 - 5400 ng/ml, p = 0,0021) verglichen mit denen der Einzelsubstanzen in der univariaten Analyse mit einer erhöhten Inzidenz von Nebenwirkungen assoziiert waren, und in der multivariaten Analyse die AUC (AUC= area under the concentration vs. time curve (Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve)) von Indinavir prädiktiv für das Auftreten von Hyperbilirubinämie war (p = 0,0028). Insofern sind Empfehlungen für Obergrenzen der Minimalkonzentrationen von Proteaseinhibitoren nicht allgemein gültig zu treffen, was die internationalen Leitlinienempfehlungen unterstützt.

Bezüglich der Maximalspiegel sind auch wir der Meinung, dass ein für den klinischen Alltag akzeptabler Kompromiss zwischen Machbarkeit und Genauigkeit ist, dafür die Plasmakonzentration ca. 3 Stunden nach Einnahme der ART zu bestimmen. Jedoch kann, wie im Übersichtsartikel beschrieben, die „Tmax”, d. h. der Zeitpunkt des Erreichens der Maximalkonzentration bei Proteaseinhibitoren sehr stark schwanken [11] [14]. Daher ist es ungeachtet des größeren Aufwandes für die klinische Praxis besser, die Plasmakonzentrationen zu mehreren Zeitpunkten nach Medikationseinnahme zu bestimmen, um die wahre Maximalkonzentration, Cmax, möglichst genau zu erfassen.

Wir haben in den letzten Jahren zusammen mit Klinikern und Virologen TDM in verschiedenen Behandlungssituationen untersucht. Bei besonderen Patientengruppen [15] [16], im Kontext vorhandener viraler Resistenzen und bei Salvage-Therapien [17] [18] sowie zur Compliancekontrolle und bei begründetem Verdacht auf Resorptionsstörungen, Arzneimittelinteraktonen [19] [20] [21] oder Nebenwirkungen [22] empfehlen wir TDM in Übereinstimmung mit den aktuellen Leitlinien. Auch bei Leber- oder Niereninsuffizienz wird TDM, wie im Artikel dargestellt, empfohlen. Jedoch deutet die neuere Literatur auch darauf hin, dass der praktische Nutzen des TDM im Sinne von Dosisadaptation für die Mehrzahl der Patienten begrenzt ist. So wurde beispielsweise gezeigt, dass TDM geboosteter HIV-Proteaseinhibitoren in therapienaiven Patienten keine Assoziation mit der antiviralen Wirkung aufweist [14] [23], wenn die gemessenen Talspiegel über den international empfohlenen liegen. Wir können daher aus unserer Sicht eine allgemeine pharmakokinetische Untersuchung jedes HIV-Patienten nicht unterstützen. Es reicht zunächst aus, TDM auf Problemfälle zu begrenzen oder in den o. g. Situationen gezielt einzusetzen, wenn die Vermutung begründet ist, dass wirksame Plasmakonzentrationen nicht erreicht werden.

Für eine Interpretation von in einzelnen Patienten gemessenen außergewöhnlich niedrigen oder hohen Plasmakonzentrationen bedarf es dann der kumulativen Expertise von Infektiologen, Virologen und Klinischen Pharmakologen, wie es in Frankfurt seit vielen Jahren Praxis ist. Generellen Empfehlungen von Bereichen von Talspiegeln ohne ausreichende umfassende Evidenz ihrer Assoziation mit sicherer antiretroviraler Wirkung und möglichst geringen Nebenwirkungen möchte ich mich nicht anschließen.

Literatur

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Dr. med. Nils von Hentig

Facharzt für Klinische Pharmakologie, pharmazentrum frankfurt, Institut für Klinische Pharmakologie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main

Theodor-Stern Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Email: Hentig@em.uni-frankfurt.de

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