RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-2008-1077239
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Messung von Plasmakonzentrationen antiretroviraler Arzneimittel in der HIV-Therapie
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
20. Mai 2008 (online)
Zum Beitrag in DMW 5/2008
In seinem Beitrag „Messung von Plasmakonzentrationen antiretroviraler Arzneimittel in der HIV-Therapie” [1] stellt v. Hentig übersichtlich und trefflich das sehr komplexe und unfangreiche Thema des Therapeutischen „Drug Monitorings” (TDM) in der HIV-Therapie dar. Einige ergänzende Anmerkungen seien aus einem Zentrum, das sich seit über 10 Jahren mit diesem Thema beschäftigt und eine große praktische Erfahrung in der Interpretation von „Medikamentenspiegeln” gewonnen hat, erlaubt.
Obwohl, wie treffend angemerkt, kontrollierte Studien [2] [3] [4] keinen einheitlich klaren Vorteil des TDM nachweisen konnten, hat in der Praxis die Messung von Proteasehemmer (PI) und Nicht-nukleosidalen-Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI)-Konzentrationen große Bedeutung. Dies zeigt sich zum einen am Interesse der HIV-Behandler, das TDM in Anspruch zu nehmen, zum andern in der wachsenden Zahl von Labors, die auch die Bestimmung von HIV-Medikamentenspiegeln in ihr Portfolio aufnehmen.
Gerade deshalb erscheint mir wichtig, auf die Notwendigkeit der externen Qualitätskontrolle hinzuweisen um die Messwerte valide und vergleichbar zu machen. Herr v. Hentig verweist zu Recht auf die externen Qualitätskontrollen durch INSTAND e. V., Düsseldorf oder KKGT, Nijmwegen.
Ein wesentlicher Schritt in der Interpretation des Messergebnisses ist jedoch die Expertise des befundenden Kollegen. Aufgrund der komplexen Einflüsse muss bereits im Labor eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich der eingesetzten Kombinationen und der erzielten Messwerte erfolgen. Besonders wichtig ist dabei das Zeitintervall zwischen Einnahme der Medikation und Blutentnahme. Unter praktischen Gesichtspunkten ist häufig die vom Pharmakologen geforderte Kinetik wiederholter Blutentnahmen im Abstand von 2 Stunden nicht durchführbar.
Bei uns hat sich die Bestimmung des Spiegels vor der Einnahme der Morgendosis (Ctrough) und ggf. eines Wertes 3 Stunden später, zum Nachweis einer ausreichenden Resorption, bewährt. Die hierzu vorliegenden Daten lassen eine hinreichende Interpretation zum Ausschluss einer Resorptionsstörung zu, wie wir sie z. B. bei Lactoseintoleranz, Lambliasis, gastrointestinalen MAI-Infektion gesehen haben oder einer Induktion des Metabolismus, was zu niedrigen Talspiegeln und einem verzögerten Anstieg führt (z. B. durch Phenytoin, Rifampicin).
Auch ein zeitlich nicht exakt zuordenbarer Messwert ist durchaus interpretierbar. Die Spiegelschwankungen im steady-state unterschieden sich für die verschiedenen Substanzen abhängig von ihrer Halbwertszeit wesentlich. So ist z. B. für den NNRTI Efavirenz eine Interpretation weitgehend unabhängig vom Zeitintervall möglich. Insbesondere, und das gilt für alle Wirkstoffe, ist ein sehr niedriger Spiegel, egal zu welchem Zeitpunkt, ein Hinweis auf eine insuffiziente Therapie. [5]
Der Einsatz des TDM ist insbesondere bei Begleiterkrankungen von Leber und Niere auch durch nationale und internationale Leitlinien empfohlen. Dass z. B. bei einer fortgeschrittenen Lebererkrankung eine Dosisanpassung erst durch das TDM möglich wird haben wir beschrieben [6].
Sicher verfügt auch das Frankfurter Zentrum über sehr interessante Verläufe, die in der Übersicht wegen des begrenzten Umfanges nicht eingehender dargestellt werden konnten.
Für den sehr komplexen Abschnitt der Interaktionen, die für sehr viele Patienten ein praktisches Problem darstellen, hätte man sich etwas klarere Aussagen gewünscht. Gerade hier ist das TDM eine wesentliche Hilfe für den behandelnden Arzt. Die Übersicht über „empfohlene Plasmakonzentrationen” ist in sich natürlich schlüssig, ermöglicht aber dem unerfahrenen Kollegen nicht, den vorliegenden Messwert ausreichend genau einzuordnen.
Im Würzburger Labor haben wir deshalb aus den gemessenen Konzentrationen eine „Populationskinetik” erstellt und damit angestrebte Bereiche für den Talspiegel formuliert. Die Daten beruhen auf der Auswertung von über 50 000 Spiegelmessungen, die auch mit der Literatur und den in der Übersicht dargestellten Bereichen übereinstimmen. Die Interpretation des „Talspiegels” ist so wesentlich vereinfacht. Ich erlaube mir die derzeit angestrebten Konzentrationsbereiche der Talspiegel in Tab. [1] anzuführen.
Tab. 1 Angestrebte Talspiegel (C trough). Wirkstoff untere Grenze (ng/ml) obere Grenze (ng/ml) Amprenavir 750 2500 Atazanavir 150 1000 Darunavir 2400 4600 Indinavir 300 800 Lopinavir 3500 6000 Nelfinavir 1000 2500 Saquinavir 100 800 Tipranavir 20000 45000 Efavirenz 1000 4000 Nevirapin 3000 5000
Zu beachten ist dabei dass der für den individuellen Patienten erforderliche Spiegel, natürlich von der Art der Vorbehandlung, möglichen Resistenzen und - wie sehr schön in der Übersicht ausgeführt - von der Anzahl der erwarteten Mutation, im Sinne eines genotypischen Inhibitorischen Quotienten abhängt.
Insgesamt zeigt v. Hentig in seiner Übersicht die Komplexität des Teilgebietes der klinischen Pharmakologie. Es wird deutlich, dass nicht die Messung, sondern die sinnvolle Einordnung der gemessenen Plasmakonzentration in die indivuduelle Behandlungssituation des Patienten die Herausforderung ist. Ein Labormediziner ohne klinisch-infektiologischen Hintergrund ist damit sicher überfordert.
Neben der Qualitätskontrolle der Messmethoden muss eine weitere Diskussion über die erforderliche Interpretation der Messwerte erfolgen. Der Anstoß dieser Diskussion durch die Publikation in der DMW ist sehr erfreulich.
Literatur
- 1 Hentig N von. „Messung von Plasmakonzen-trationen antiretroviraler Arzneimittel in der HIV-Therapie”. Dtsch Med Wochenschr. 2008; 133 191-195
- 2 Fletcher C, Anderson P, Kakuda T. et al . Concentration-controlled compared with conventional antiretroviral therapy for HIV infection. AIDS. 2002; 16 551-560
- 3 Burger D, Hugen P, Reiss P. et al . Therapeutic drug monitoring of nelfinavir and indinavir in treatment-naive HIV-1-infected individuals. AIDS. 2003; 17 1157-1165
- 4 Marzollini C T, Decosterd L A, Greub G. et al . Efavirenz plasma levels can predict treatment failure and central nervous system side effects in HIV-1-infected patients. AIDS. 2001; 15 71-75
- 5 Langmann P, Weissbrich B, Desch S, Väth T, Schirmer D, Zilly M, Klinker H. Efavirenz plasma levels for the prediction of treatment failure in heavily pretreated HIV-1 infected patients. Eur J Med Res. 2002; 7 (7) 309-14
- 6 Katsounas A, Frank A, Klinker H, Langmann P. Efavirenz-therapy in HIV-patients with underlying liver disease: importance of continuous TDM of EFV. Eur J Med Res. 2007; 12 (8) 331-6
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Langmann
Internist, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Diabetologie
Am Tiefen Weg 2
97753 Karlstadt
eMail: p_langmann@yahoo.de