Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(20): 1068-1070
DOI: 10.1055/s-2008-1077219
Kommentar | Commentary
Diabetologie, Endokrinologie, Kardiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

ACCORD wird zum „Zweiklang”

ACCORD becoming a "two-tone"J. Seufert1
  • 1Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Abteilung Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg
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eingereicht: 22.2.2008

akzeptiert: 13.3.2008

Publication Date:
07 May 2008 (online)

Studienergebnisse

Die „Diabetes Control and Complications Trial” (DCCT) beendete vor 15 Jahren für viele Diabetologen die Kontroverse über den Zusammenhang von Glukosekontrolle und mikrovaskulären Komplikationen [13]. Für viele Kollegen stellte sich das Gesamtbild jedoch komplexer dar. Da die Patienten der DCCT-Studie an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt waren, wurden Bedenken laut, dass die Gewichtszunahme, die häufig bei intensivierter Insulintherapie beobachtet wird, mit vermehrten kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes einhergehen könnte. Diese Befürchtungen wurden durch die vor 10 Jahren publizierte „United Kingdom Prospective Diabetes Study” (UKPDS) zerstreut [14]. Wie in der DCCT führte die Verbesserung der glykämischen Kontrolle bei Typ-2-Diabetikern zu einer Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen. Jedoch zeigte sich bei diesen älteren Typ-2-Diabetikern ebenfalls eine nicht signifikante 16 %-ige Reduktion von Myokardinfarkten. Bereits im Jahre 1995 war eine japanische Studie publiziert worden, die ebenfalls eine lineare Korrelation zwischen guter glykämischer Kontrolle und mikrovaskulären Komplikationen bestätigte [10]. In dieser Studie wurden doppelt so viele makrovaskuläre Ereignisse in der konventionell im Vergleich zur intensiv behandelten Gruppe beobachtet; wenngleich die Anzahl der Ereignisse klein war (1,3 vs. 0,6 Ereignisse pro 100 Patientenjahre).

Überraschend war, dass in den genannten Studien eine intensive Therapie der Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetikern die kardiovaskulären Endpunkte nicht überzeugender reduzieren konnte. Dies wurde teilweise der Verwendung von älteren oralen Antidiabetika und Insulinen angelastet. Es wurde spekuliert, ob möglicherweise die Verwendung neuer Substanzklassen, wie z. B. Thiazolidindione (Glitazone) die kardiovaskuläre Ereignisrate reduzieren könnte. Dies wurde jedoch in der PROactive-Studie unter Verwendung von Pioglitazon in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse nur zum Teil bestätigt [4]. Wenngleich der sekundäre Endpunkt aus Mortalität, Myokardinfarkt und Schlaganfallrate signifkant durch den Einsatz von Pioglitazon über 3 Jahre reduziert werden konnte, so war der primäre Endpunkt unter Einschluss weiterer kardiovaskulärer Ereignisse nicht signifikant positiv [4]. Die Interpretation dieser Studie trug weiter zur Kontroverse bei, obwohl nachfolgende Publikationen über die Auswertung von Subgruppen den kardiovaskulär-protektiven Effekt dieser Substanz gerade bei Patienten mit vorangegangenem Myokardinfarkt, Schlaganfall und bei Patienten mit Niereninsuffizienz bestätigten [5] [12] [15].

Ein möglicherweise besserer Weg, um kardiovaskuläre Endpunkte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zu verhindern, könnte eine umfassende Strategie darstellen, bei der nicht nur Hyperglykämie, sondern auch Blutdruck und Lipide behandelt werden. Die Forschergruppe des Steno Diabetes Center in Dänemark publizierte kürzlich eine Nachbeobachtung über 13,3 Jahre von 160 Typ-2-Diabetikern mit Mikroalbuminurie [6]. Die initialen Ergebnisse nach Beendigung der Intervention, welche alle 3 Risikofaktoren (Hyperglykämie, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie) und Verhaltensmodifikation mit vermehrter körperlicher Aktivität beinhaltete, wurden bereits im Jahre 2003 nach 7,8 Jahren Beobachtungszeit veröffentlicht [7]. Zu dieser Zeit wurde beobachtet, dass die multifaktorielle Intervention die kardiovaskulären Endpunkte und mikrovaskuläre Endpunkte um ca. 50 % reduziert hatte. Die kürzlich publizierte Nachbeobachtungsstudie ohne aktive Intervention zeigte, dass die Behandlungsgruppe, welche initial einer intensiven Therapie unterzogen worden war, nun eine reduzierte Mortalität aufzeigte (Hazard Ratio 0,54; 95 %-Konfidenzintervall 0,32 - 0,89; p = 0,02) [6]. Eine intensive multifaktorielle Therapie war ebenfalls assoziiert mit einem niedrigeren Risiko für kardiovaskulären Tod und kardiovaskuläre Ereignisse sowie mit reduzierten mikrovaskulären Endpunkten, wie terminale Niereninsuffizienz und Notwendigkeit zur retinalen Photokoagulation.

Hier muss herausgestellt werden, dass die Patienten in der Steno-2-Studie selektioniert sind: kaukasische Abstammung, Mikroalbuminurie, durchschnittlich 55 Jahre alt. In der intensiv behandelten Gruppe erreichten hinsichtlich glykämischer Kontrolle weniger als 20 % das Behandlungsziel von < 6,5 % HbA1c. Insgesamt lag der mittlere HbA1c für diese Patienten sowohl in der Interventions- als auch in der Nachbeobachtungsphase bei ca. 8 % [6] [7]. Die Differenz des HbA1c von ca. 0,7 % zwischen intensiv und weniger intensiv behandelter Patientengruppe während der Interventionsphase erklärt sicherlich den größten Teil der mikrovaskulären Verbesserungen. Wie in der „Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications” (EDIC)-Studie, die eine Nachbeobachtungskohorte der DCCT bei Typ-1-Diabetikern darstellt [8], zeigte sich auch in der Nachbeobachtung der Steno-2-Patientenkohorte noch Jahre später bei den Patienten ein mikrovaskulärer Vorteil, welche der intensiven Intervention zugeordnet waren. Und dies trotz der Tatsache, dass HbA1c-Werte nach der Intervention nicht unterschiedlich waren. Neben der Annahme eines „metabolischen Gedächtnisses”, welches initial für die Typ-1-Diabetiker in der EDIC-Studie beschrieben worden war, spricht dieser Effekt dafür, dass jede Verbesserung der glykämischen Kontrolle auch bei Typ-2-Diabetikern wichtig ist, selbst wenn HbA1c-Spiegel nicht im Zielbereich liegen.

Die Ergebnisse der Patienten, die in der Steno-2-Studie im konventionellen Arm behandelt wurden, zeigen uns, wie schlecht die Prognose bei Typ-2-Diabetes mit etablierter Mikroalbuminurie ist: Am Ende der Beobachtungsperiode war die Mortalitätsrate 50 % [6]. Positiv ist, dass eine absolute Risikoreduktion von 20 % für Mortalität und 29 % für kardiovaskuläre Ereignisse durch eine intensive multifaktorielle Therapie erreicht werden kann. Es ist jedoch schwer, den Effekt einzelner Komponenten auf die Endpunkte zu quantifizieren. Hinsichtlich eines praktischen Ansatzes legen diese Studienergebnisse nahe, dass unsere Versuche, alle kardiovaskulären Risikofaktoren umfassend zu behandeln, zu einem deutlichen Vorteil führen.

Zu der Zeit, als die Ergebnisse der Steno-2-Studie uns in unseren Therapieversuchen bestärkten, wurden in einer Presseerklärung und Nachrichtenkonferenz die ersten Daten der „Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes” (ACCORD)-Studie veröffentlicht [9]. Hier wurden 10 251 Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes in 3 Substudien mit jeweils anderer Intervention randomisiert. Während die Studienarme mit intensiver Behandlung des Blutdrucks und der Lipide wie geplant weiterlaufen, wurde die Substudie mit intensiver glykämischer Kontrolle durch das „Data Safety Monitoring Board” (DSMB) vorzeitig abgebrochen, nachdem die Resultate den vorhergesagten Ergebnissen entgegen standen: Es wurden 257 Todesfälle in der Gruppe mit intensiver glykämischer Kontrolle mit einem Ziel-HbA1c-Wert von < 6 % beobachtet, im Vergleich zu 203 Todesfällen in der Standardbehandlungsgruppe mit einem Ziel-HbA1c-Wert von 7-7,9 %. Dies ist eine Differenz von 3/1000 Studienteilnehmern pro Jahr über eine Gesamtdauer von ca. 4 Jahren Behandlung. Interessanterweise war die Todesfallrate in beiden Gruppen niedriger als in ähnlichen bisherigen Studien. Keine einzige Medikation einschließlich Glitazone oder Kombinationen von Antidiabetika einschließlich Insulin konnten statistisch für die erhöhte Todesfallrate ursächlich zugrunde gelegt werden.

Literatur

  • 1 ADVANCE Management Comitee . Study rationale and design of ADVANCE: action in diabetes and vascular disease - preterax and diamicron MR controlled evaluation.  Diabetologia. 2001;  44 1118-1120
  • 2 Buse J B, Bigger J T, Byington R P. et al . Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes (ACCORD) trial: design and methods.  Am J Cardiol. 2007;  99 21i-33i
  • 3 Chantelau E, Kohner E M. Why some cases of retinopathy worsen when diabetic control improves.  BMJ. 1997;  315 1105-1106
  • 4 Dormandy J A, Charbonnel B, Eckland D J. et al . Secondary prevention of macrovascular events in patients with type 2 diabetes in the PROactive Study (PROspective pioglitAzone Clinical Trial In macroVascular Events): a randomised controlled trial.  Lancet. 2005;  366 1279-1289
  • 5 Erdmann E, Dormandy J A, Charbonnel B. et al . The effect of pioglitazone on recurrent myocardial infarction in 2,445 patients with type 2 diabetes and previous myocardial infarction: results from the PROactive (PROactive 05) Study.  J Am Coll Cardiol. 2007;  49 1772-1780
  • 6 Gaede P, Lund-Andersen H, Parving H H. et al . Effect of a multifactorial intervention on mortality in type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2008;  358 580-591
  • 7 Gaede P, Vedel P, Larsen N. et al . Multifactorial intervention and cardiovascular disease in patients with type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2003;  348 383-393
  • 8 Nathan D M, Cleary P A, Backlund J Y. et al . Intensive diabetes treatment and cardiovascular disease in patients with type 1 diabetes.  N Engl J Med. 2005;  353 2643-2653
  • 9 National Heart Lung and Blood Institute .http://www.nhlbi.nih.gov/health/prof/heart/other/accord. 19. Februar 2008
  • 10 Ohkubo Y, Kishikawa H, Araki E. et al . Intensive insulin therapy prevents the progression of diabetic microvascular complications in Japanese patients with non-insulin-dependent diabetes mellitus: a randomized prospective 6-year study.  Diabetes Res Clin Pract. 1995;  28 103-117
  • 11 Presseportal .Major International Diabetes Study Does not Confirm Increased Risk of Death Reported by US Trial http://www.presseportal.de/pm/70 043/1136202/servier_laboratories?search = accord,. 19. Februar 2008
  • 12 Schneider C A, Ferrannini E, Defronzo R. et al . Effect of pioglitazone on cardiovascular outcome in diabetes and chronic kidney disease.  J Am Soc Nephrol. 2008;  19 182-187
  • 13 The Diabetes Control and Complications Trial Research Group . The effect of intensive treatment of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulin-dependent diabetes mellitus.  N Engl J Med. 1993;  329 977-986
  • 14 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group . Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33).  Lancet. 1998;  352 837-853
  • 15 Wilcox R, Bousser M G, Betteridge D J. et al . Effects of pioglitazone in patients with type 2 diabetes with or without previous stroke: results from PROactive (PROspective pioglitAzone Clinical Trial In macroVascular Events 04).  Stroke. 2007;  38 865-873

Prof. Dr. med. Jochen Seufert

Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Abteilung Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg

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