Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212(4): 125-126
DOI: 10.1055/s-2008-1076909
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Progesteron – Eine alte – neue Option zur Prävention der Frühgeburt

Progesteron – an Old – New Option in the Prevention of Preterm BirthW. Rath1
  • 1Medizinische Fakultät des Universitäts-Klinikums Aachen, Gynäkologie und Geburtshilfe
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
26. August 2008 (online)

Trotz intensiver Bemühungen weltweit ist die Frühgeburtenrate in Deutschland während der letzten 10 Jahre um ⅕ auf derzeit 9 % und in den USA in den letzten 25 Jahren um 38 % auf 12,7 % angestiegen.

Besonders gefährdet für eine Frühgeburt sind Schwangere mit belasteter Anamnese und / oder einer vaginalsonografisch verifizierten verkürzten Zervix < 2,5 cm in der 18.–24. SSW.

Nach einer vorangegangen Frühgeburt beträgt das Risiko für die gleiche Komplikation in der nachfolgenden Schwangerschaft 16–19 %, nach zwei vorangegangenen Frühgeburten 32–41 % und nach drei vorangegangenen Frühgeburten 67 %. Dementsprechend stellt sich die Frage nach einer effektiven medikamentösen Prävention.

Seit mehr als 50 Jahren wird Progesteron, dessen myometriumrelaxierende Wirkung seit langem bekannt ist, mit unterschiedlichem Erfolg zur Prävention der Frühgeburt eingesetzt. Die Wirkung von Progesteron in diesem Zusammenhang ist weitgehend spekulativ, interessant ist die Beobachtung, dass Progesteron das humane Myometrium für die Wirkung von Beta-Agonisten sensibilisiert, also Progesteron per se die Rate an Frühgeburten nicht reduziert ohne die Anwendung von Tokolytika. Der Progesteronentzug als entscheidender Mechanismus der Auslösung der Geburt ist beim Menschen nicht bewiesen.

Entgegen früheren kontroversen Ergebnissen aus der Literatur wies Keirse 1990 erstmals in einer Metaanalyse darauf hin, dass durch die intramuskuläre Applikation von 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat bei Schwangeren mit vorangegangener Frühgeburt / Aborten im II. Trimenon eine signifikante Senkung der Frühgeburtenrate zu erreichen ist, allerdings ohne Beeinflussung der perinatalen Mortalität.

Erstaunlich ist, dass es mehr als 13 Jahre gedauert hat, bis Progesteron erneut zur Prävention der Frühgeburt in den Fokus des Interesses geraten ist. Zu verdanken ist dies zwei randomisierten Plazebo-kontrollierten Studien. Mit der wöchentlichen Applikation von 250 mg 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat von der 16.–20. SSW. bis zum Ende der 36. SSW. bei Schwangeren mit vorangegangener Frühgeburt konnte eine signifikante Senkung der Frühgeburtenrate von 54,9 auf 36,3 % und vor der 32. SSW. von 19,6 auf 11,4 % erreicht werden, darüber hinaus eine Verminderung der Häufigkeit an neonatalen Komplikationen (u. a. nekrotisierende Enterokolitis, Hirnblutungen), ohne allerdings die neonatale Mortalität signifikant zu senken.

Die vaginale abendliche Applikation von 100 mg nativen Progesterons (Utrogest®) zwischen der 24.–34. SSW. führte im Vergleich zu Placebo bei Schwangeren mit belasteter Anamnese zu einer Verminderung der Frühgeburtenrate von 28,5 auf 13,8 %, vor der 34. SSW. von 18,5 auf 2,7 %, die Rate vorzeitiger Wehen konnte von 31,4 auf 13,4 % gesenkt werden.

Diese Ergebnisse waren Anlass für das ACOG, die prophylaktische Anwendung von Progesteron bei Schwangeren mit vorangegangener Frühgeburt(en) zu empfehlen. Würde man allen diesen Risikoschwangeren Progesteron applizieren, so wäre eine Senkung der Frühgeburtenrate um 2 % zu erwarten.

Nachfolgende Metaanalysen und ein Cochrane-Review kamen daher zu analogen Ergebnisse, nach denen durch die prophylaktische Anwendung von Progesteron in diesen Fällen eine Verminderung der Frühgeburtenrate um 40–55 % und eine Senkung der Häufigkeit an Kindern mit einem Geburtsgewicht < 2 500 g um 38–50 %, insbesondere vor der 34. SSW., zu erreichen ist, darüber hinaus eine Reduktion der Frequenz an intrakraniellen Blutungen bei Neugeborenen um 75 %.

Da sämtliche Studien die ausreichende statistische Power nicht erreichen, wundert der fehlende Einfluss auf die perinatale Mortalität nicht.

Die hohe Rate an Frühgeburten in der Plazebo-Gruppe im Vergleich zu der Anwendung von 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat warf die Frage auf, ob nicht das als Plazebo gegebene ölige Lösungsmittel (Castor-Öl) selbst Uteruskontraktionen auslöst, abgesehen von einer ungeklärten, nicht signifikanten Erhöhung an Totgeburten nach Applikation von 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat (3,6 versus 1,3 %).

Insgesamt müssen 5–6 Schwangere mit belasteter Anamnese mit Progesteron behandelt werden, um eine Frühgeburt vor der 37. SSW. zu vermeiden, das Gleiche gilt für 12 Schwangere zur Vermeidung einer Frühgeburt vor der 32. SSW.

Bei Gemini war die Prävention mittels intramuskulärer Applikation von 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat (250 mg wöchentlich zwischen 20.–34. SSW.) ohne Einfluss auf die Frühgeburtenrate < 35. SSW., wobei in diesem Zusammenhang eine zu niedrige Dosierung des Progesterons diskutiert wurde.

Da nur ca. 10 % aller spontanen frühen Frühgeburten (< 34. SSW.) eine belastete Anamnese aufweisen, wurde die Effizienz von Progesteron bei anderen Risikogruppen für eine Frühgeburt untersucht. Dies betraf vor allem Schwangere mit einer sonografisch gemessenen Zervixlänge ≤ 1,5 cm in der 20.–25. SSW. Durch die vaginale Gabe von 200 mg Progesteron täglich zwischen der 24.–34. SSW. (im Vergleich zu Plazebo) wurde in diesen Fällen eine Senkung der Frühgeburtenrate ≤ 34. SSW. von 34,4 auf 19,5 % erreicht, darüber hinaus eine nicht signifikante Verminderung der neonatalen Mortalität von 13,8 auf 8,1 % ohne signifikante Reduktion der perinatalen Mortalität in Folge mangelnder Fallzahlen.

Eine immer wiederkehrende Frage ist die Auswirkung der Gabe von synthetischem Progesteron (17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat) in diesen Fällen auf die weitere Entwicklung des Kindes. Die einzige diesbezügliche vergleichende Untersuchung zeigte keine negativen Auswirkungen von 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat auf die Gesundheit der Kinder über einen Zeitraum von 4 Jahren; Ungeachtet dessen sind weitere Studien zu den Langzeitauswirkungen von Progesteron auf das Kind unerlässlich.

Mehrheitlich wird in der gegenwärtigen Literatur die prophylaktische Applikation von Progesteron als viel versprechende Option für die Vermeidung der Frühgeburt angesehen, allerdings sind viele Fragen bisher unbeantwortet: u. a. optimale Galenik, Dosierung, Zeitpunkt und Dauer der Progesteronapplikation, der bisher fehlende Nachweis der Wirksamkeit auf die perinatale und neonatale Mortalität (Power), sowie die bisher nur unzureichend untersuchten Langzeiteffekte.

Von praktischer Relevanz ist, dass 17-α-Hydroxyprogesteron-Caproat kommerziell nicht verfügbar ist, also individuell in der Klinikapotheke hergestellt werden muss und dass natives Progesteron (Utrogest®) in der Schwangerschaft und zur Prävention der Frühgeburt nicht zugelassen ist. Hier besteht eindeutig Klärungsbedarf, damit Schwangeren künftig die Anwendung von Progesteron nicht vorenthalten wird, nicht zuletzt aufgrund der Sorge des Geburtshelfers vor medicolegalen Auseinandersetzungen bei Off-License- / Off-Label-Use von Progesteron in Schadensfällen.

Interessant für die Zukunft ist der Hinweis von Thornton, dass in laufenden Studien derzeit über 5 000 Schwangere rekrutiert werden, um die präventive Wirkung von Progesteron zur Vermeidung der Frühgeburt bei unterschiedlichen Schwangerschaftsrisiken auf hohem Evidenzniveau nachzuweisen. Bevor die Ergebnisse dieser Studie nicht vorliegen, bleibt die Applikation von Progesteron zur Prävention der Frühgeburt eine individuelle Entscheidung des Geburtshelfers, die im Hinblick auf die Senkung der perinatalen und neonatalen Morbidität statistisch nicht ausreichend abgesichert ist.

(Literatur beim Verfasser)

Prof. Dr. med. W. Rath

Medizinische Fakultät des Universitäts-Klinikums Aachen · Gynäkologie und Geburtshilfe

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