Der Nuklearmediziner 2008; 31(3): 201-202
DOI: 10.1055/s-2008-1076890
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Editorial

EditorialJ. Mahlstedt1
  • 1Gemeinschaftspraxis Radiologie / Nuklearmedizin Essen
Further Information

Publication History

Publication Date:
10 September 2008 (online)

Die Versorgung von Patienten mit Schilddrüsenknoten hat in einem Land mit endemischer Struma und mehr oder minder ausgeprägtem Iodmangel seit jeher eine erhebliche Bedeutung für die ärztliche Tätigkeit in einem weiten Kreis beteiligter Fächer, beginnend beim Hausarzt und Kinderarzt über Nuklearmedizin, Endokrinologie, Pathologie, Labormedizin bis hin zu Chirurgie und Strahlentherapie.

In einer Zeit, in der die Herrscher im Hintergrund der Gestaltung ärztlicher Arbeit die Qualitätskontrolle als neue Stellgröße für erforderliche Entscheidungen auserkoren haben, erschien es mir wichtig, den Rahmen aufzuzeigen, in dem sich die Arbeit mit dem Schilddrüsenknoten darstellt. Alle Beteiligten wollen natürlich nur das „Beste” für den Patienten und sind daher zutiefst davon überzeugt, dass nur sie selbst es tun sollten und am besten kein anderer.

Im Wettstreit um diese Aufgabe werden gerne die Methoden des Qualitätsmanagements gesucht als Methoden, die ursprünglich aus der Waffenindustrie kamen – man hatte beobachtet, dass mehr Menschen bei der Waffenproduktion umkamen als im anschließenden Krieg. Dabei wird leider immer übersehen, dass die Qualität bei der Versorgung von Kranken eine andere sein muss als bei der Produktion von Panzergranaten. Das zeigt sich schon daran, dass man den Patienten nach der Behandlung sehr wohl nach seiner Befindlichkeit und Lebensqualität fragen kann, was bei einer Panzergranate schwer fällt.

Die Beiträge in diesem Schwerpunktheft sollen in erster Linie die Breite der verfügbaren Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie aufzeigen und denen eine Hilfe sein, die Patienten mit Schilddrüsenknoten versorgen müssen. Dabei sollen uns Leitlinien verschiedener nationaler und internationaler Fachgesellschaften helfen. Die genaue Beobachtung dieser Leitlinien zeigt deutliche Unterschiede, die ihren Ursprung darin finden, dass dort Menschen gemeinsam entschieden haben über das, was sie selbst ärztlich tun. Wenn das klinikferne Wissenschaftler und Klinikärzte nur mit Erfahrungen in selektioniertem Patientengut sind, die die Versorgungsproblematik „vor Ort” nicht kennen, dann muss man Verständnis haben für manche Empfehlung, die „vor Ort” das Problem nicht lösen kann und daher nicht befolgt wird.

Leitlinien sind immer nur eine Empfehlung, auf die man sich immer berufen darf, aber sie sind niemals Richtlinien, die man befolgen muss. Das Abweichen von der Leitlinie bedeutet immer ein erhöhtes Risiko für den „Abweichler”, wenn es denn zum Streit kommen sollte. Das wird aber niemals ein Risiko sein, wenn der Arzt dem Patienten vorher genau die Begründung seines Vorgehens erklärt und sich im Gespräch des Einverständnisses des Patienten sicher ist. Das ist in jedem Fall besser als eine Unterschrift unter einem zweiseitigen juristisch ausgefeilten Schriftsatz.

Bei der Versorgung von Patienten mit Schilddrüsenknoten ist daher immer im Vordergrund die verfügbare sichere Kompetenz der beteiligten Ärzte zu sehen – darüber steht in den Leitlinien eher wenig. Es ist daher wenig verblüffend, dass Erhebungen zum Vorgehen bei Schilddrüsenknoten sehr heterogene Ergebnisse aufzeigen. Darüber mögen die Erfinder der Leitlinien unzufrieden sein, es belegt jedoch nur, dass die Wirklichkeit vor Ort der angenommenen Wirklichkeit der Leitlinien nicht so ganz entspricht.

Die feinnadelbioptische Abklärung von Schilddrüsenknoten ist mit Sicherheit eine wichtige und interessante Vorgehensweise, wenn die beteiligten Partner die Techniken gut beherrschen und in der diagnostischen Verwertung mit Augenmaß verwenden. Gelegentlich formulierte Forderungen wissenschaftlich engagierter Arbeitsgruppen, jeden Knoten punktieren zu müssen, finden ihre Grenzen schon darin, dass man autonome Adenome tunlichst nicht punktieren sollte. Denn mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit wird man das Ergebnis der „follikulären Neoplasie” erwarten können, das mit absoluter Sicherheit die chirurgische Sanierung nach sich zieht, weil das follikuläre Karzinom nicht auszuschließen ist.

Gleichwohl hat die Feinnadelaspirationsbiopsie einen hohen Stellenwert, insbesondere mit der „Thin-prep-Analyse” als neue zytologische Methode. Diese Technik ist für den Punkteur viel einfacher, weil er keinen Ausstrich anfertigen muss – wenn er es denn überhaupt richtig kann – und weil der Zytologe das gesamte Material auf einem einzigen Objektträger auswerten kann. Das ist sehr angenehm für den Anfänger in der Diagnostik, aber auch für den Patienten, der kaum eine Repunktion erdulden muss wegen eines nicht auswertbaren Ergebnisses.

Es bleibt aber das Problem der Struma multinodosa, deren Knoten sich hier und da wohl punktieren lassen, die aber nach Anamnese und Palpation nur durch Sonografie und Szintigrafie umfassend zu beurteilen sind.

Dabei wird zumeist übersehen, dass sich in jeder jahrelang bestehenden Struma multinodosa mit hoher Sicherheit funktionell autonome Adenome in unterschiedlicher Verteilung solitär, multifokal oder kleinherdig disseminiert entwickeln. Der vielerorts aus unterschiedlichen Gründen beliebte Verzicht auf die Funktionsszintigrafie sorgt dafür, dass gut gemeinte Therapien mit Iodid oder Thyroxin allzu oft wohl eine Strumaverkleinerung erreichen, aber auf Kosten mehr oder minder ausgeprägter Grenzhyperthyreosen mit erhöhter Inzidenz von Vorhofflimmern und ungünstigen Verläufen kardiovaskulärer Erkrankungen. Die Forderung der Nuklearmedizin bei Struma nodosa auf zumindest eine Funktionsszintigrafie unter suppressiven Bedingungen – sei es im Test oder unter der Substitutionstherapie – ist daher im Interesse der Patienten unabweisbar.

Denn für die Elimination der funktionellen Autonomie verfügen wir mit der Radioiodtherapie über eine hervorragende Therapieform, deren extrem gute Verträglichkeit über Jahrzehnte kritisch verfolgt wurde und letztlich uneingeschränkt befürwortet wird als eine Option.

Die Abklärung hypofunktioneller Knoten unter dem Aspekt der Malignität beschäftigt uns tagtäglich, weil der Patient das Risiko kennt und eine Operation nicht wünscht. Für die Beratung und das Risikomanagement bietet die Tumorszintigrafie mit 99mTc-MIBI eine wertvolle Bereicherung. Hier erfahren wir operatorunabhängig bei gleich bleibender Qualität, ob Knoten stoffwechselaktiv sind oder nicht. Diese eher schlichte Information hilft vor allem im negativen Ergebnis. Viele ältere Patienten sind dankbar und vom richtigen Vorgehen durchgreifend überzeugt, wenn man ihnen nicht invasiv mit einem 99mTc-Szintigramm die Funktion und einem 99mTc-MIBI-Szintigramm den K / Na-Stoffwechsel darlegt und dann mit gutem Gewissen vorerst kontrollierend verbleiben kann – ohne Punktion und Chirurgie.

Bei der Chirurgie des Knotens erleben wir vielerorts die Vorzüge der minimalinvasiven videoassistierten Thyreoidektomie (MIVAT). Obwohl die Wertschätzung unter den Chirurgen selbst unterschiedlich ist, allein schon der Patient sieht es bei guter Technik uneingeschränkt positiv. Die kosmetischen Ergebnisse sind günstiger, die postoperative Schmerzphase wird oft als sehr viel weniger unangenehm empfunden, und die stationäre Verweildauer ist kürzer.

Dieses Argument muss man auch vor dem Hintergrund nosokomialer Krankenhausinfektionen sehen. Dabei ist es gut verständlich, wenn ein Chirurg in seinem Beitrag eine Komplikationsmöglichkeit nicht erwähnt, die heute ihre Hauptursache im unsäglichen Personalnotstand hat, auf die er selbst keinen Einfluss mehr hat. Leistungsfähige Infektionsprophylaxe benötigt gutes und geschultes Personal zur präzisen regelmäßigen Durchführung technisch definierter Hygienemaßnahmen. Das aber ist heute von den Krankenhausverwaltungen kaum noch realisierbar.

Insofern ist die MIVAT durch die kurze Krankenhausverweildauer eine chirurgische Technik, die andere Maßnahmen mit längerer Verweildauer in den Hintergrund treten lässt.

Im Vordergrund unserer Bemühungen muss immer die Zufriedenheit des Patienten stehen, die Verbesserung seiner Lebensqualität und die Verlängerung seiner Lebensdauer.

Die resultierenden Vorgehensweisen sind immer aus guten Gründen durch ärztliche Persönlichkeiten regional geprägt – und das ist gut so.

Die vorliegenden Beiträge stammen daher aus gutem Grund aus Arbeitskreisen des Ruhrgebiets und Mitstreitern, die dort früher gearbeitet haben und dort ihre Entwicklung im Fach erlebten. Wir wollten das fachübergreifende Engagement dieser Region zum Thema Schilddrüse herausstellen, das natürlich früher schon durch Prof. Reinwein / Endokrinologie und Prof. Reiners / Nuklearmedizin begründet wurde.

Ganz gereicht hat es nicht, dafür wurden wir aus Leipzig mit bestem Dank unterstützt.

Prof. Dr. J. Mahlstedt

Henricistr. 4

45136 Essen

Phone: +49 / 2 01 / 89 50 30

Fax: +49 / 2 01 / 89 50 38 04

Email: prof.mahlstedt@t-online.de

URL: http://www.radionuk.de

    >