Der Nuklearmediziner 2008; 31(2): 79-80
DOI: 10.1055/s-2008-1076803
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue Therapieverfahren in der Nuklearmedizin

Neue New Modalities of Radionuclide TherapyG. Pöpperl1
  • 1Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Klinikum der Universität München - Campus Großhadern, München
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Publication Date:
05 June 2008 (online)

G. Pöpperl

Neben der funktionellen Bildgebung bildet die Therapie maligner Tumoren mit radioaktiv markierten Trägersubstanzen seit mehr als 50 Jahren das zweite Standbein der Nuklearmedizin. Im Vergleich zu vielen anderen konventionellen Therapieformen basiert die „nuklearmedizinische” Therapie auf dem Einsatz radioaktiver Isotope oder radioaktiv markierter Moleküle, die sich nach intravenöser oder lokaler Applikation spezifisch in den Zielzellen anreichern und diese selektiv bestrahlen.

Das prototypische Beispiel einer zielgerichteten Radionuklidtherapie ist die Radioiodtherapie von Schilddrüsenkarzinomen, die bereits im Jahre 1942 erstmals für die Behandlung eines metastasierten Schilddrüsenkarzinoms eingesetzt wurde und sich seither als Standard in der Behandlung von Schilddrüsenkarzinomen durchgesetzt hat. Das radioaktive Iod (131Iod) wird, vermittelt durch den thyreoidalen Natrium-Iodid-Symporter, aktiv in die Schilddrüsenzelle eingeschleust, die in der Folge zerstört wird.

Fortschritte in unserem Verständnis der molekular- und tumorbiologischen Zusammenhänge von vielen malignen Erkrankungen haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass tumorspezifische Moleküle und Signalwege wie z. B. Antigen- und Rezeptorexpressionen, Neovaskularisierung oder metabolische Dysregulation erforscht wurden und heute nicht nur für eine verbesserte In-vivo-Diagnostik, sondern zunehmend auch für eine zielgerichtete Radionuklidtherapie auf molekularer Ebene eingesetzt werden.

So basiert die Radioimmuntherapie auf der Gabe eines radioaktiv markierten Antikörpers, der gegen ein spezifisches Tumorantigen gerichtet ist und über die Antikörper-Antigen-Bindung therapeutisch wirksame Strahlendosen an der Tumorzelle deponiert. Diese Therapieform eignet sich besonders für die Behandlung strahlensensibler hämatopoetischer Neoplasien wie der Lymphome oder Leukämien. Überzeugende Ergebnisse klinischer Multicenterstudien haben bereits zu einer Zulassung der Radioimmuntherapie bei Patienten mit rezidivierten oder refraktären B-Non-Hodgkin Lymphomen geführt. Auch die myeloablative Radioimmuntherapie mit radioaktiv markierten monoklonalen Antikörpern mit Affinität für das hämatopoetische Knochenmark wird bereits erfolgreich bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie, myelodysplastischem Syndrom oder multiplem Myelom eingesetzt. Eine Herausforderung für die Radioimmuntherapie stellen solide Tumoren dar, die sich oft durch eine heterogene Antigenexpression, eine geringe Gewebspermeabilität, unterschiedlich große Tumormanifestationen und eine Tumorhypoxie auszeichen, weshalb nach systemischer Gabe zunächst häufig nur ein geringer tumorspezifischer Uptake des Radioimmunkonjugates erreicht werden konnte. Für diese Tumorentitäten schien daher, falls möglich, eine lokale / intrakavitäre Therapie (z. B. intrakavitäre / intratumorale Gabe bei Hirntumoren, intraperitoneale Gabe bei Ovarialkarzinomen) vorteilhaft zu sein. Gerade in jüngster Zeit erfährt die Radioimmuntherapie auch bei soliden Tumoren wieder zunehmendes Interesse, da verbesserte Methoden des Bioengineerings die Herstellung modifizierter Antikörper (humanisierte oder chimäre Antikörper, Single-Chain-Antikörper, Antikörperfragmente oder bispezifische Antikörper) erlauben, die Vorteile im Bindungsverhalten, in der Gewebspenetration und der Clearance bieten und eine geringere Immunogenität aufweisen. Vom derzeitigen Kenntnisstand ausgehend, ist außerdem absehbar, dass Pretargeting-Systeme die Effektivität der Radioimmuntherapie steigern können.

Die Radiopeptidtherapie basiert auf einer selektiven systemischen Bestrahlung mit radioaktiv markierten Rezeptor-spezifischen Peptiden, die im Vergleich zu den Antikörpern Vorteile aufgrund ihrer geringeren Größe und ihrer Penetrationseigenschaften bieten. Diese Therapieform hat exemplarisch mit der Entwicklung verschiedener radioaktiv markierter Somatostatinanaloga, die mit unterschiedlichen Affinitäten an die Somatostatin-Rezeptor-Subtypen binden, bereits Einzug in die Behandlung neuroendokriner Tumoren gehalten.

Einen neuen lokal auf die Leber begrenzten Therapieansatz, der sich für maligne primäre oder sekundäre Lebertumoren ohne extrahepatische Manifestationen eignet, bietet die selektive interne Radiotherapie (SIRT). Das Radionuklid wird hier nicht über ein spezifisches Target an die Tumorzelle gebracht, sondern es kommt nach intraarterieller Injektion radioaktiv markierter Mikrosphären zu einer Mikroembolisation der Tumorgefäße mit interstitieller Hochdosisstrahlentherapie. Diese selektive lokale Applikation ist auch für tumorspezifische Radiopharmaka wie das [131I]MIBG möglich und könnte bei auf die Leber beschränkten neuroendokrinen Tumoren Vorteile in Hinblick auf die Tumorretention bieten, höhere Tumorherddosen ermöglichen und eine geringere systemische Strahlenexposition im Vergleich zur herkömmlichen systemischen Gabe nach sich ziehen.

Zur Schmerzpalliation ossärer Metastasen werden osteotrope Radiopharmaka eingesetzt, die ihre Indikation vor allem bei malignen Primärtumoren mit vorwiegend osteoplastischen Skelettmetastasen haben.

Zusammengefasst stehen eine ganze Reihe neuer Radiopharmaka für eine zielgerichtete Radionuklidtherapie zur Verfügung, die bereits den Weg in die Klinik gefunden haben. Das vorliegende Heft soll den aktuellen Stand und mögliche Perspektiven der einzelnen Verfahren darlegen. Vergleichbar zu PET / CT auf dem Gebiet der Diagnostik handelt es sich auch bei diesen neuen Verfahren in der Therapie um ein kontinuierlich wachsendes und zukunftsorientiertes Arbeitsfeld der Nuklearmedizin. Das Augenmerk der Forschung richtet sich zum einen auf die Optimierung der Bindungseigenschaften der Radionuklid-Carrier (Erforschung neuer tumorspezifischer Rezeptoren, Steigerung der Rezeptoraktivität, Verbesserung der Tumoradressierung) und zum anderen auf strahlenphysikalische Aspekte, die hier ebenfalls diskutiert werden. Das therapeutische Radionuklid sollte zunehmend auf die Art der Tumorerkrankung und das Tumorstadium zugeschnitten werden, vielversprechend ist hier auch der Einsatz von Alpha-Strahlern, die es ermöglichen, eine hohe Strahlendosis selektiv im Tumorgewebe zu erzielen. Besonders bei disseminierten Tumorerkrankungen mit mikroskopischen Tumorzellclustern lassen sich dadurch Vorteile gegenüber einer Therapie mit Betastrahlern erwarten. Die Entwicklung neuer Radiopharmaka und die rasanten technischen Fortschritte auf dem Gebiet der PET / CT- und SPECT / CT-Bildgebung, die eine Verbesserung der Quantifizierung und damit theoretisch eine direkte voxelbasierte Organ- und Tumordosenerfassung erlauben, unterstreichen außerdem den Bedarf einer individuellen Dosimetrie.

Die stetig steigenden Zahlen neuer Therapien an den hierfür eingerichteten Zentren deuten darauf hin, dass in naher Zukunft die Therapie mit offenen radioaktiven Nukliden nicht mehr - wie bisher - zum Großteil Schilddrüsenerkrankungen vorbehalten bleibt, sondern dass sich die neuen Therapieverfahren zunehmend in der klinischen Routine etablieren werden.

PD Dr. G. Pöpperl

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