Sprache · Stimme · Gehör 2008; 32(2): 86
DOI: 10.1055/s-2008-1076735
Kunst und Kommunikation

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pathos, in Stein gehauen

P. Eich
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Publication Date:
07 July 2008 (online)

Es gibt kaum eine mitreissendere Nationalhymne als die französische, die Marseillaise. Auch die meisten Deutschen kennen zumindest ihre erste Zeile „Allons enfants de la patrie”. Wenn in den Fußballstadien dieser Welt die französische Nationalmannschaft antritt und die Marseillaise über die Lautsprecher tönt, fährt einem diese zündende Hymne immer noch in die Knochen. Sie entstand 1792 während der französischen Revolution, als das revolutionäre Frankreich Österreich den Krieg erklärt hatte. Der Komponist, Dichter und Offizier Claude Joseph Rouget de Lisle widmete sie dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee und Gouverneur von Straßburg, dem Marschall Nikolaus Graf Luckner, einem Deutschen in französischen Diensten, der trotz seiner Verdienste 1794 von einem Revolutionstribunal verurteilt und hingerichtet wurde. Rouget de Lisle verfasste die Marseillaise in der Nacht auf den 29. April 1792, Text und Melodie wurden rasch populär. Den Namen Marseillaise bekam sie, weil sie Marseiller Soldaten beim Einzug in Paris sangen. 1795 wurde sie zur Nationalhymne erklärt. Das ist sie, bis auf Unterbrechungen während der Restauration (Wiederherstellung der Bourbonenmonarchie) und der deutschen Besatzungszeit bis heute geblieben. 1915 wurden Lisles Gebeine in den Invalidendom überführt, der Grabstätte Napoleons.

Francois Rude (1784 – 1855), La Marseillaise oder Auszug der Freiwilligen von 1792
Relief am Arc de Triomphe de l'Étoile (1833–36), Paris

Der österreichische Dichter Stefan Zweig (1881–1942) hat Rouget de Lisle in seinem Werk „Sternstunden der Menschheit” mit dem Kapitel „Genie einer Nacht” ein literarisches Denkmal gesetzt.

Ein Denkmal hatte auch Napoleon Bonaparte seinen siegreichen Soldaten nach der Schlacht von Austerlitz (1806) versprochen („Ihr werdet durch Triumphbögen heimkehren!”) und gab den Bau des Triumphbogens in Auftrag: Ferig gestellt war er aber erst 1836, da war Napoleon längst tot. Der Triumphbogen und der Eifelturm sind heute die populärsten Wahrzeichen von Paris.

Am Arc de Triomphe laufen sternförmig 12 Straßen zusammen, daher der frühere Name Place de l’Étoile (heute Place Charles de Gaulle). Das imposante Bauwerk ist auf den Breitseiten von vier riesigen Reliefs geschmückt, die Themen der napoleonischen Zeit behandeln. Der „Auszug der Freiwilligen” von Francois Rude gilt als das künstlerisch bedeutsamste. Es wird auch als „Das Abschiedslied” betitelt („Le chant du départ’”) und als eine Gruppe ausziehender revolutionärer Krieger interpretiert. Das Relief ist von einem ungeheuren heroischem Schwung. Die heldenhafte obere Figur mit dem ausgestreckten Schwert scheint jedem Betrachter etwas wie „mit uns für die Freiheit!”[1]) zuzurufen; die ihn quasi tragenden Figuren darunter sind mitgerissen und schon auf seinem Weg. Man kann sich gut vorstellen, dass sie die Marseillaise auf den Lippen haben. Es gibt wenige plastische Kunstwerke der Neuzeit mit einer solchen Dynamik, die sich dem Betrachter sofort mitteilt: „Hier passiert etwas!”. In den leidenschaftlichen Bewegungen seiner Figuren scheint die antike Manier der Darstellung bereits vom aufkommenden Naturalismus durchdrungen.

Francois Rude, geboren 1784 in Dijon, war Schmied und fand später in Paris zu seiner bildhauerischen Tätigkeit. Er starb 1855 in Paris.

Peter Eich

1 Ironischer Schlenker: 1961 erschien in einem heute nichtmehr existierenden Verlag ein schmales Bändchen mitdem Titel „Das frivole Museum”. Sehr bekannte Kunstwerke waren darin mit mehr oder weniger witzigen Sprechblasen im Comic-Stil versehen. Dem Schwertschwinger in Rudes „Marseillaise” wurde in den Mund gelegt „Auf Jungs, bei Louis auf der Bude ist immer was los!”

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