Z Orthop Unfall 2008; 146(2): 151-161
DOI: 10.1055/s-2008-1076658
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Begutachtung - Überarbeitete Leitlinie der AWMF zur Begutachtung von Schmerzen

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Publication Date:
05 June 2008 (online)

 

Die überarbeitete Leitlinie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften) soll den Ablauf und Inhalt der Begutachtung von Patienten, die als Leitsymptom Schmerzen beklagen, vereinheitlichen. Der Schmerz ist Thema des Begutachtungsspezialseminars für Chefärzte bei der diesjährigen Herbstfortbildung des Landesverbands Südwestdeutschland der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Wegen der Aktualität werden hier die wichtigsten Auszüge der Leitlinie dargestellt.

Der Landesverband Südwestdeutschland der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat das Thema "Schmerz" zum Schwerpunkt seiner diesjährigen Fortbildung am 12.11.2008 in Balingen gemacht. Dabei handelt es sich um ein Begutachtungsspezialseminar für Chefärzte von unfallchirurgischen Kliniken Baden - Württembergs und des Saarlands (als Workshop - daher ausgewählter Teilnehmerkreis). Auf der Agenda steht neben den besonderen versicherungsrechtlichen und begutachtungsmethodischen Aspekten des Schmerzes die Schmerzbegutachtung aus orthopädischer/unfallchirurgischer, neurologischer und psychiatrischer Sicht. Die Veranstaltung wird abgerundet durch die gemeinsame Diskussion praktischer Begutachtungsfälle. Referenten sind u.a. auch Verfasser der Leitlinien für die Schmerzbegutachtung und Vertreter der Kommission Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Die Dokumentation der Fortbildung wird im Internet der DGUV allen Interessenten zur Verfügung gestellt. Auf die Veröffentlichung wird zu gegebenem Zeitpunkt in dieser Zeitschrift hingewiesen.

Literatur/Quellen

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01 schon bei drei verschiedenen Schmerzlokalisationen bzw. weiteren Körperbeschwerden ist bei fast jedem zweiten Patienten in der Primärversorgung von einem psychisch relevanten Störungsbild auszugehen [8]

02 s. Landessozialgericht Baden-Württemberg L 12 R 2761/06 KO-B vom 3.7.2006; Sozialgericht Mannheim S 8 R 922/06 KO-A vom 23.3.2006

03 s. Bundessozialgericht B 5 RJ 80/02 B vom 9.4.2003

04 Dauer üblicherweise bis 2 Jahre, bei längerem Verlauf je nach Ausprägungsgrad nach F34.1 (Dysthymia) oder F33 (rezidivierende depressive Störung) zu verschlüsseln

05 Es bestehen bei den Autoren kontroverse Ansichten, inwieweit die Fremdanamnese in Anwesenheit des Probanden erhoben werden sollte. Bei Abwesenheit des Probanden ist eine freiere Schilderung zu erwarten, andererseits sind dadurch spätere Konflikte zwischen dem Probanden und dem fremdanamnestisch Befragten wahrscheinlicher.

06 Es besteht bei den Autoren kein Konsens, inwieweit im Bereich des gesamten Sozialrechts (Sozialgerichts- und Verwaltungsverfahren) eine ergänzende Exploration von geeigneten Dritten (Fremdanamnese) nur im Auftrag oder nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Auftraggeber erfolgen darf. Dem Wunsch des ärztlichen Sachverständigen, die anwesenden Begleitpersonen ggf. ergänzend zu befragen, steht aus Sicht des juristischen Beraters § 404a ZPO entgegen, wonach Art und Umfang der Tätigkeit des Sachverständigen vom Auftraggeber zu bestimmen sind. Konsens besteht jedoch, dass eine vorherige Zustimmung des Gerichts für den Bereich der Zivilgerichtsbarkeit zwingend erforderlich ist. Bei Begutachtungen für Privatversicherungen ist die Erhebung einer Fremdanamnese möglich, sofern der Proband hierin einwilligt.

07 www.dimdi.de/de/klassi/ICF/

08 z. B. Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV (SKID), Composite International Diagnostic Interview der WHO (CIDI) oder Diagnostisches Kurzinterview bei psychischen Störungen (Mini-DIPS)

09 Landessozialgericht Berlin L 3 RJ 15/03 vom 22.7.2004

10 Nach Rehabilitationsverfahren gibt die im Abschlussbericht meist enthaltene Auflistung der durchgeführten Maßnahmen wichtige Hinweise sowohl zum multimodalen Charakter (Umfang psychodiagnostischer und -therapeutischer Maßnahmen) als auch zur Intensität (z.B. Anzahl der Einzeltherapien) der Behandlung.

11 zusätzlich oft auch Fragen nach der Beeinträchtigung im Privatleben oder bei der Haushaltsführung

12 soweit diese mit dem beamtenrechtlichen MdE-Bezug auf das allgemeine Erwerbsleben im Einklang stehen. Im Zweifelsfall sollte der Auftraggeber um Klarstellung gebeten werden.

13 bezogen auf alle körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung

14 Verträge mit "Verweisbarkeit" umfassen auch die Ausübung anderer Tätigkeiten, die der bisherigen Lebensstellung (weitgehend) entsprechen

15 Hierzu zählen gesetzliche Unfallversicherung, soziales Entschädigungsrecht, Dienstunfallfürsorge des Beamten sowie Schwerbehindertenrecht

16 Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, sind bei der Einschätzung der/des Gesamt-MdE/GdB rechnerische Methoden grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr ist jeweils von der/dem höchsten Einzel-MdE/GdB auszugehen. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen ist dann zu prüfen, ob und ggfs. inwieweit dadurch das Ausmaß der Beeinträchtigung größer wird. Dabei hat sich die Gesamteinschätzung auf der Grundlage der sozialmedizinischen Erfahrungen daran zu orientieren, wie sich der jeweilige Beeinträchtigungszustand im Vergleich zu solchen Gesundheitsschäden stellt, für die von konkreten Ansätzen auszugehen ist.

17 z. B. dauerhafte Einnahme potenter Schmerzmittel oder engmaschige Psychotherapie

18 Zusätzlich ist zu prüfen, ob medikamentenbedingt Leistungseinschränkungen vorliegen. Dies gilt auch dann, wenn z. B. eine iatrogen bedingte Abhängigkeit von Opioiden entstanden ist.

Prof. Dr. Dr. Dipl.-Ing. B. Widder

Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation

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