Gesundheitswesen 2008; 70 - A33
DOI: 10.1055/s-2008-1076540

Das Asperger-Syndrom bei Erwachsenen – eine verkannte Diagnose

C Lechmann 1
  • 1AutismusTherapieZentrum (ATZ), Köln

Obwohl das Asperger-Syndrom schon 1944 von dem Kinderarzt Hans Asperger beschrieben wurde, hat es fast 50 Jahre gedauert, ehe es in das internationale Klassifikationsschema ICD aufgenommen wurde. Das Asperger-Syndrom gehört zum autistischen Formenkreis, es fehlt aber im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus eine schwerwiegende Verzögerung der Sprache und/oder der kognitiven Entwicklung. Im Kindes- und Jugendalter ist das Kernsymptom die Schwierigkeit, angemessene Kontakte zu Gleichaltrigen aufzubauen. Es fehlt häufig die intuitive Fähigkeit, Gefühle und soziale Situationen zu verstehen. Kinder mit Asperger-Syndrom spielen meist lieber alleine und entwickeln nicht selten Spezialinteressen (wie Automarken, Wetterkarten etc.). Hier können sie erstaunliche Fähigkeiten zeigen. Diese Fähigkeiten kontrastieren aber meist in hohem Maße mit Problemen im alltagspraktischen Bereich. Im motorischen Bereich sind sie häufig auffallend ungeschickt, vermeiden sportliche Aktivitäten und geraten nicht selten in eine Außenseiterposition. In der Schule werden sie oft zur Zielscheibe von Spott und Hänseleien.

Während im Kindesalter die Diagnose mittlerweile gut etabliert ist und es entsprechende Diagnostikinstrumente gibt, ist das Syndrom im Erwachsenenbereich noch recht unbekannt. Erst in den letzten Jahren sind einige Anlaufstellen entstanden. Die Diagnosestellung im Erwachsenenalter ist aber nicht leicht, erfordert viel Erfahrung und lässt nicht selten Spielraum für differentialdiagnostische Erwägungen. Der Anlass kann vielfältig sein; nicht selten fühlen sich die Betroffenen irgendwie „anders“, suchen eine Erklärung für ihre chronischen Schwierigkeiten, im sozialen Leben zurecht zu kommen und erkennen sich in den im Internet kursierenden Beschreibungen wieder. Die Diagnose kann dann für die Betroffenen und die Umgebung sehr entlastend und erhellend sein. Mittlerweile gibt es auch erste therapeutische Ansätze, die gezielt das soziale Verständnis aufbauen und quasi wie eine Fremdsprache einüben. Viele Betroffene weisen aber mit Recht darauf hin, dass die autistischen Besonderheiten nicht (nur) als Defizite, sondern als eine andere Wahrnehmung der Welt gesehen werden sollten.

Videoausschnitte sollen helfen, den diagnostischen Blick zu schärfen und die Vielfältigkeit der Symptome und Ausprägungen zu betonen.