Psychiatr Prax 2008; 35(3): 153
DOI: 10.1055/s-2008-1074818
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"Anstalt" und Lokalversorgung

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Publication Date:
10 April 2008 (online)

 

Zur Regionalgeschichte der Psychiatrie sind inzwischen eine ganze Reihe von Beiträgen erschienen, nicht wenige aus den psychiatrischen Krankenhäusern selbst. Der Name Faulstich ist hierbei eng mit der Geschichtsschreibung zur Psychiatrie während der beiden Weltkriege bzw. zur Psychiatrie Badens verknüpft. Der Psychiater und Psychotherapeut, der 17 Jahre lang stellvertretender Ärztlicher Direktor des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Reichenau war, trug jetzt mit einem weiteren Band zur Psychiatriegeschichte Badens bei. Nach seiner umfassenden und allseits beachteten Monografie zur Geschichte der badischen Psychiatrie bis 1945 ("Von der Irrenfürsorge zur ,Euthanasie", 1993) widmet sich Faulstich im vorliegenden Band der lokalen Versorgung der sog. Irren im Raum Konstanz des 19.Jahrhunderts. Anhand der Beschreibung einer Vielzahl von lokalen bzw. für diesen Raum relevanten Einrichtungen am Bodensee wird die wechselvolle Geschichte der Versorgung psychisch Kranker aufgezeigt: Vom Konstanzer Heilig-Geist-Spital, dem Armenhaus "Gütle", auch der 1842 gegründeten Illenau bei Achern oder dem späteren Konstanzer Krankenhaus, bis zu weiteren Einrichtungen, die bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert hin entstanden, wie Ludwig Binswangers "Bellevue" in Kreuzlingen, Schloss Mammern am Untersee, dem Sanatorium Dr. Büdingen, dem "Abstinenz-Sanatorium Schloss Hardt" bei Ermatingen und der Kuranstalt Schloss Marbach am deutschen Ufer des Seerheins.

Faulstich kehrte bei der Arbeit zum vorliegenden Band und nach seinen Beiträgen zur sog. NS-Euthanasie und dem Hungersterben in der Psychiatrie zu seinem frühen Interesse an der Großherzoglich Badischen Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz zurück. Der Leserschaft wird anhand der Institutionsgeschichte der im Einzelnen behandelten Einrichtungen entlang wie beiläufig auch ein facettenreiches Bild von den Vorstellungen zur sog. Geisteskrankheit über die Zeit vermittelt. Der Band enthält Beiträge, die auf einzelnen Patientengeschichten und Behördenakten beruhen, wie auch allgemeine Ausführungen zu Phasen des Versorgungsnotstands oder zu den Beziehungen einschlägiger deutscher Einrichtungen des Bodenseeraums untereinander, über nationale Grenzen hinweg, bspw. zu Münsterlingen. Den Umständen einer für den Südwesten vergleichsweise späten Versorgung der Stadt Konstanz mit einer eigenen, sog. Heilanstalt - nach der Illenau und Emmendingen - im Jahr 1913 wird dabei besondere Beachtung geschenkt, ebenso wie der Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem sozialen Status der Patientinnen und Patienten und der Art und Weise der ihnen zukommenden psychiatrischen Versorgung. Die Lektüre liefert vor dem Hintergrund dessen ein anschauliches Bild der Entwicklung der Versorgung psychisch Kranker von der Spitalverwahrung und Pflege in Heimen bis zur Behandlung in modernen Sanatorien und Krankenhäusern.

Es steht außer Zweifel, dass auch dieser Band von der historischen Fachöffentlichkeit hohe Beachtung und Akzeptanz geschenkt werden wird - kein selbstverständlicher, im Fall der Beiträge von Heinz Faulstich jedoch regelmäßig wiederkehrender Befund.

Thomas Müller, Ravensburg/Ulm

Email: th.mueller@zfp-weissenau.de