Rofo 2008; 180 - WS_404_3
DOI: 10.1055/s-2008-1073406

Deterministische und stochastische Strahlenschäden

WU Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Essen, Inst.f.Med.Strahlenbiologie, Essen

In den letzten Jahren sind auf einigen Strahlenrisiko-Gebieten unerwartete Beobachtungen gemacht worden. Dies betrifft die Strahlenempfindlichkeit des Auges (Katarakt); strahleninduzierte Herz-Kreislauf-Probleme; die höhere Strahlenempfindlichkeit von Frauen im Vergleich mit Männern, wenn es um strahleninduzierte Tumoren geht; sowie Strahlenwirkungen im niedrigen Dosisbereich.

Katarakt: Bisher glaubte man nachgewiesen zu haben, dass es sich bei der Katarakt (dem grauen Star) um einen deterministischen Effekt mit einer Schwellendosis oberhalb von 2Gy handelt; inzwischen ist klar, dass selbst nach einer Dosis von 250 mGy Katarakte beobachtet werden, und es wird diskutiert, ob es sich nicht womöglich um einen stochastischen Effekt ohne Schwellendosis handelt.

Herz-Kreislauf-Probleme: Die Daten aus Hiroshima und Nagasaki zeigen, dass es sich nicht, wie bisher geglaubt, bei strahleninduzierten Herz-Kreislauf-Problemen um ein reines Hochdosis-Problem im Bereich vieler Gray handelt. Selbst Strahlendosen von 0,5Gy erhöhen nachweislich Herz-Kreislauf-Schäden; ob dies auch für noch niedrigere Dosen zutrifft, ist unklar.

Strahlenempfindlichkeit der Frau: Im Hinblick auf das strahleninduzierte Tumorrisiko zeigen Frauen im Vergleich zu Männern ein doppelt so hohes zusätzliches relatives Risiko (ERR, excess relative risk) und ein 1,5mal höheres absolutes Risiko (EAR, excess absolute risk).

Niedriger Dosisbereich: Zur Zeit wird intensiv diskutiert, ob die von ICRP vermutete Halbierung des in Hiroshima und Nagasaki beobachteten strahleninduzierten Tumorrisikos im Bereich niedriger Dosen und niedriger Dosisleistungen nach Einwirkung locker ionisierender Strahlung zutrifft. Die derzeit vorhandenen epidemiologischen Daten für den Menschen sprechen nicht dafür, dass die von ICRP vorgenommene Halbierung zutrifft; allerdings sind diese Daten nicht unumstritten. Letztlich wird nur die Aufklärung der dem Risiko zugrundeliegenden Mechanismen Aufschluss geben.

Lernziele:

  • Die Strahlenempfindlichkeit des Auges ist höher als bisher angenommen.

  • Das Herz-Kreislauf-System ist strahlenempfindlicher als bisher angenommen.

  • Frauen und Männer sind zumindest strahlenbiologisch verschieden.

  • Das Problem der Risikoschätzung im niedrigen Dosisbereich kann letztlich nur über eine intensive strahlenbiologische Erforschung der zugrundeliegenden Mechanismen gelöst werden.

  • Auch dann, wenn etwas endgültig geklärt zu sein scheint, mit neuen Erkenntnissen rechnen.

Korrespondierender Autor: Müller WU

Universitätsklinikum Essen, Inst.f.Med.Strahlenbiologie, Hufelandstr. 55, 45122 Essen

E-Mail: wolfgang-ulrich.mueller@uni-due.de