NOTARZT 2008; 24(5): 177-178
DOI: 10.1055/s-2008-1067497
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rätselhafter Magensaft

F.  Martens1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Oktober 2008 (online)

Der Fall

Mit dem Stichwort „Plötzliche Bewusstlosigkeit” wird der Notarzt in den frühen Abendstunden in eine Wohnung in einem größeren Mietshaus alarmiert. Die Ehefrau eines 67-jährigen Patienten war von der Arbeit zurückgekehrt und hatte ihren Mann auf einem Sessel sitzend, nicht mehr ansprechbar vorgefunden. Da Weckversuche mit kaltem Wasser nicht erfolgreich waren, hatte sie den Rettungsdienst alarmiert. Aus der Vorgeschichte wusste sie von chronischer Bronchitis, Lungenemphysem und erhöhtem Blutdruck zu berichten.

Die vor dem Notarzt eingetroffene RTW-Mannschaft hatte bereits eine Sättigung von 68 % gemessen und mittels Maske 12 Liter Sauerstoff pro Minute appliziert, worunter die Sättigung auf 88 % angestiegen war. Der Blutdruck lag bei 140 / 90 mm Hg und die Herzfrequenz bei 100 / min. Beim Eintreffen des Notarztes lag gerade das Ergebnis der Blutzuckermessung mit 220 mg / dl vor.

Die körperliche Untersuchung zeigte einen bekleideten Mann mit noch sichtbarer Zyanose, eher kühlen Extremitäten und einem stridorösen Atemgeräusch, das sich auch durch Überstrecken des Kopfes nicht veränderte. Bei allen Manipulationen kam es zu keinerlei Weckreaktion. Beide Pupillen waren isokor und zeigten prompte Lichtreaktion.

Wegen der Bewusstlosigkeit und der anfänglich niedrigen Sättigung wurde ein periphervenöser Zugang gelegt und der Patient anschließend endotracheal intubiert und dann maschinell beatmet. Anschließend erfolgte der Transport in die nahegelegene Universitätsklinik. Dort wurde zunächst ein Computertomogramm des Kopfes angefertigt, welches bis auf eine diskrete Hirnatrophie keine weiteren Auffälligkeiten zeigte.

Anschließend erfolgte die Weiterbehandlung auf der internistischen Intensivstation.

Dort wurde neben anderen Maßnahmen eine Magensonde gelegt. Nach deren Lageprüfung mit Luftinsufflation erfolgte die Aspiration von Mageninhalt. Dabei füllte sich die verwendete Magenspritze mit hellgrüner Flüssigkeit und einen Moment später ließ sich der Spritzenstempel nicht mehr bewegen. Die gewonnene Flüssigkeit wurde asserviert und mit einer neuen Spritze erneut Magensaft aspiriert, was zu einem ähnlichen Phänomen führte. Die aspirierte Flüssigkeit zeigte ein auffälliges Verhalten mit Trennung in zwei Phasen und ihr Geruch erinnerte an Haushaltsreiniger. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde eine Vergiftung vermutet und Körperflüssigkeiten sowie ein Teil des aspirierten Mageninhaltes wurden zur toxikologischen Analyse eingesandt ([Abb. 1]).

Abb. 1 Erstes und zweites Magensaftaspirat. Probe 1 enthält deutlich mehr ölige Anteile als Probe 2.

Der weitere Krankheitsverlauf war durch ein schweres Lungenversagen mit dem Bild einer interstitiellen Pneumonie gekennzeichnet, sodass wenige Tage nach Aufnahme eine Dilatationstracheotomie erfolgte. Unter differenzierter Beatmung, kinetischer Therapie mit intermittierender Bauchlagerung und wechselnden Antibiotikaregimen kam es nur sehr langsam zu einer Besserung des Gasaustausches. Als die spezielle Lagerungstherapie nicht mehr erforderlich war, wurde die Analgosedierung beendet und nach etwa einer Woche erlangte der Patient wieder sein Bewusstsein. Zu diesem Zeitpunkt fiel eine fast völlige Lähmung auf, als deren Ursache elektrophysiologisch eine „Critical illness-Polyneuropathie” diagnostiziert wurde. Deren Besserung erfolgte nur sehr langsam und erst nach etwa 6 Wochen konnte der Patient in eine neurologische Rehabilitationsklinik verlegt werden.

Literatur

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

eMail: frank.martens@charite.de