Aktuelle Urol 1998; 29(7): 327-333
DOI: 10.1055/s-2008-1065310
EDITORIAL

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart · New York

Aktuelle Aspekte zur Therapie des Reizblasensyndroms

Contemporary concepts for the management of urgency/frequencyG. Hohlbrugger
  • Universitätsklinik für Urologie, Innsbruck, Österreich
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. März 2008 (online)

Zusammenfassung:

Bereits im Normalfall spielt die Zusammensetzung des Harnes (Hyperosmolarität, hohe Kaliumkonzentrationen; K+) im Zusammenspiel mit den Dynamiken von urothelialer Permeabilität und mukosalem Blutfluß nebst der zentralnervösen Steuerung eine entscheidende Rolle für die Harndrangkontrolle. Ist die urotheliale Permeabilität entlang der Blase und/oder des Blasenhalses erhöht, dann zieht dies jeweils relative Ischämie nach sich. Dies verhindert in erster Linie die lebensbedrohliche Rezirkulation harnpflichtiger Substanzen. In zweiter Linie kann Harn-K+ unter diesen Voraussetzungen bis zum Detrusor vordringen und dessen neuromuskulär nicht-hemmbare Depolarisation mit nachfolgender Kontraktion induzieren. Daraus resultieren nicht nur Blasenschmerzen, Pollakisurie, imperativer Harndrang, Dranginkontinenz, sondern in einem hohen Prozentsatz dysfunktionelle Miktion. Restharnfreie Pollakisurie verkleinert die zum transurothelialen Stoffaustausch zur Verfügung stehende Oberfläche und schützt somit ebenfalls vor Rezirkulation. Insgesamt handelt es sich also bei den nicht-strukturell obstruktiven und nicht-neurogenen, irritativen Blasenfunktionsstörungen mehr um ein afferentes als um ein efferentes Problem. Diese Sichtweise relativiert die klinische Relevanz von sog. instabilen Detrusorkontraktionen und/oder der instabilen Urethra. Relative Ischämie kann ihrerseits die Integrität des Urothels beeinträchtigen. Die pathophysiologische Interpendenz beider Komponenten der Blut-Urinschranke zusammen mit dysfunktioneller Miktion mündet in einen fatalen Kreislauf, der gegebenenfalls in irreversibler, interstitieller Zystitis endet. Um die zugrundeliegende Pathophysiologie der Reizblase aufzudecken, sind komparative (NaCl vs. 0,2 M KCl) urodynamische Meßtechniken weitaus indikativer als konventionelle. Entsprechend der ätiologischen Konzeption sollten zukünftige therapeutische Algorithmen mehr die Regeneration der Blut-Urinschranke zusammen mit Beckenbodenentspannungstraining als die Blockade von efferent-neuromuskulärer Transmission berücksichtigen. Erst die unwiderrufliche Feststellung von Irreversibilität erlaubt den Einsatz invasiverer therapeutischer Maßnahmen.

Abstract

Normal bladder control requires not only neuromuscular inhibition but also urine composition (hyperosmolarity, high potassium = K+) in correspondence with the dynamics of urothelial permeability and vesical blood flow. Primarily, in order to avoid recirculation of renal waste an increased urothelial permeability goes along with relative vesical ischemia. At second, this leads to direct access of urinary K+ to the detrusor with its subsequent depolarisation. From such a depolarisation-derived urgency and instability cannot be inhibited by any transmitter. Clinically, this results in urgency/frequency, bladder pain, urge incontinence and in a high percentage in dysfunctional voiding. Residual urine free frequency reduces surface, and thus, also helps to avoid recirculation. However, non-obstructive and non-neurogenic bladder irritation appears to be more an afferent than an efferent problem (= instability). Furthermore, relative ischemia leads to dysintegrity of the urothelium. Therefore, the pathophysiological interdependence of the two components of the blood-urine barrier together with dysfunctional voiding create a vicious circle that can end in irreversible, end-stage interstitial cystitis. Comparative (normal saline vs. 0.2 M KCl) urodynamics reliabily indicate the underlying pathophysiology of urgency/frequency bladders. With regard to the presented concept, future therapeutic algorithms will rather focus on reintegrity of the blood-urine barrier as well as pelvic floor relaxation than blockade of neuromuscular transmission. Invasive or destructive therapy only should come into consideration when irreversibility of an impaired blood-urine barrier is reliably ascertained.