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DOI: 10.1055/s-2008-1038372
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Hypothermie
Publication History
Publication Date:
28 February 2008 (online)
Der menschliche Körper ist als Warmblüter prinzipiell darauf ausgerichtet, eine konstante Körperkerntemperatur unabhängig von äußeren Umständen zu halten. Eine signifikante Senkung der Körperkerntemperatur führt zu physiologischen Veränderungen bei sämtlichen Organfunktionen inklusive des Blutgerinnungssystems und der Immunkompetenz. Eine Hypothermie ist definiert als eine Körperkerntemperatur von weniger als 35 °C. Eingeteilt wird die Hypothermie in drei Schweregrade. Von einer milden Hypothermie wird bei einer Körperkerntemperatur von unter 35 °C bis 32 °C gesprochen. Für eine Temperatur zwischen 32 °C und 28 °C wurde der Begriff der moderaten Hypothermie geprägt, während die schwere Hypothermie als Körperkerntemperatur unter 28 °C definiert ist.
Die Ursachen einer Hypothermie können grundsätzlich in drei Kategorien unterschieden werden. Einerseits gibt es die endogene Hypothermie, welche am ehesten auf einer metabolischen Entgleisung bzw. Dysfunktion beruht, wie dies z. B. im Rahmen einer Hypothyreose, einer Hypoglykämie oder einem Hypoadrenalismus zu beobachten ist. Auch eine zentrale Dysfunktion mit Beteiligung der Thermoregulation kann Ursache einer endogenen Hypothermie sein. Des Weiteren gibt es die kontrollierte, häufig therapeutisch induzierte, Hypothermie, wie sie z. B. in der Neuro- oder Kardiochirurgie angewendet wird. Hiervon abzugrenzen ist als dritte Ursache die akzidentelle bzw. traumatisch induzierte Hypothermie. Gemeint ist hiermit die Unterkühlung bzw. Auskühlung von verunfallten Patienten. Abweichend von der allgemeinen Definition einer Hypothermie hat sich beim schwerverletzten Patienten herausgestellt, dass eine Körperkerntemperatur von weniger als 34 °C eine signifikant schlechtere Prognose bedeutet, sodass der Wert von 34 °C als Schwellenwert angesehen wird und stets eine Körperkerntemperatur von über 34 °C angestrebt wird. Ab einer Körperkerntemperatur von weniger als 32 °C bei Klinikeinlieferung kann davon ausgegangen werden, dass mit einer hundertprozentigen Mortalität zu rechnen ist. In Anbetracht vielfältiger positiver Erfahrungen mit einer induzierten Hypothermie in der elektiven Chirurgie, ist es Gegenstand aktueller Diskussion, ob nicht auch eine prolongierte oder gar induzierte Hypothermie beim Traumapatienten einen positiven Effekt haben könnte.
Nachweisbare physiologische Effekte einer Hypothermie ergeben sich nicht nur im Bereich des kardiovaskulären Systems, sondern auch im zentralen Nervensystem, in der pulmonalen Funktion, in der renalen Funktion, im Bereich des Elektrolyt- und Basenhaushalts sowie im Gastrointestinal- und endokrinen Trakt und beim Gesamtmetabolismus. So sinkt z. B. bei einer Körperkerntemperatur von ca. 30 °C der sogenannte respiratorische Quotient von 0,82 auf 0,65. Lediglich die hiermit ebenfalls verbundene verzögerte Blutgerinnung wird grundsätzlich von chirurgischer Seite als negativ gewertet. Gerade dieser Punkt führte auch bisher dazu, dass eine Hypothermie beim Traumapatienten mit besonders negativen Assoziationen, wie einer signifikant erhöhten Letalität, verbunden war.
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Hypothermie in enger Korrelation mit der Verletzungsschwere und der Ausprägung eines hämorrhagischen Schocks steht. Andererseits wurde auch wiederholt der Standpunkt vertreten, dass die Hypothermie alleine ein prognostischer Faktor sein kann. Dies hat sich aber bei entsprechender Stratifizierung großer Patientenkollektive nicht bestätigt. Die Ursache für den augenscheinlich deletären Effekt der Hypothermie beim Traumapatienten wurde u. a. in dem Verlust der energiereichen Phosphate (Adenosintriphosphat und Adenosinmonophosphat) im Rahmen der traumatisch induzierten Hypothermie gesehen. Im Gegensatz zu der elektiv induzierten Hypothermie, bei welcher von vornherein die ATP‐Speicher noch erhalten sind und erst während der hypothermen Phase aufgebraucht werden, ist die Hypothermie beim Traumapatienten gerade Ausdruck des Verlusts der energiereichen Phosphate, die erst wieder während einer Aufwärmphase aufgebaut werden können. Die Hypothermie beim Traumapatienten ist demnach Ausdruck einer Dekompensation der Temperaturregulation. Der Körper kann nicht mehr genügend Energie zur Aufrechterhaltung der Temperatur generieren. Dieser physiologischen Betrachtung steht entgegen, dass experimentelle Studien gezeigt haben, dass sowohl bei einem traumatischen Schädelhirntrauma als auch bei einem induzierten hämorrhagischen Schock eine sogenannte milde Hypothermie das Outcome durchaus verbessern kann. Ebenso wurde gezeigt, dass gerade auch die sogenannte posttraumatische Entzündungsreaktion mit dem häufig nachfolgenden multiplen Organversagen durch eine milde Hypothermie beeinflusst werden kann und somit, zumindest experimentell, das Outcome nach Trauma ebenfalls verbessert werden konnte.
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die Vor- und Nachteile der Hypothermie im Bereich der Traumatologie bisher nicht völlig geklärt sind. In Zusammenschau der bisherigen Ergebnisse könnte vermutet werden, dass zukünftig ein differenziertes Vorgehen bei der Temperatursteuerung des Traumapatienten erfolgreich sein kann. Vorstellbar ist, dass innerhalb der ersten Stunden nach Trauma eine rasche Normalisierung der Körperkerntemperatur erreicht werden sollte, um einerseits die Hämostase wiederherzustellen und eine Restaurierung der energiereichen Phosphate (Umwandlung von AMP zu ATP) zu erreichen. Anschließend jedoch könnte in dem Moment, wo es zur Initiierung der posttraumatischen Entzündungsreaktion kommt, eine kontrollierte Hypothermie über die folgenden 48 Stunden durchaus von Vorteil sein. Die Klärung dieser Hypothese ist gegenwärtig Mittelpunkt verschiedener experimenteller und später sicherlich auch klinischer Studien.
Prof. Dr. med. Andreas Seekamp, Kiel