Klin Monbl Augenheilkd 1997; 210(3): 133-138
DOI: 10.1055/s-2008-1035031
Übersicht

© 1997 F. Enke Verlag Stuttgart

Okuläre Pathologie der Kindesmißhandlung

Ocular Pathology of the Battered-Child SyndromeJens Martin Rohrbach1 , Dietmar Benz2 , Wilko Friedrichs3 , Hans-Jürgen Thiel1 , Heinz-Dieter Wehner2
  • 1Universitäts-Augenklinik Tübingen, Abteilung I (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. H.-J. Thiel)
  • 2Institut für Rechtsmedizin der Universität Tübingen (Direktor: Prof. Dr. H.-D. Wehner)
  • 3Augenabteilung des Katharinenhospitals Stuttgart (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. E. G.Weidle)
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Publication History

Manuskript eingereicht am 13.09.1996

in der vorliegenden Form angenommen am 02.01.1997

Publication Date:
08 February 2008 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund Trotz der zunehmenden Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber diesem Problem dürften die meisten Fälle von Kindesmißhandlung nach wie vor ärztlich unerkannt bleiben. Dem Augenarzt fällt bei der Diagnose eine wichtige Rolle zu, da er aufgrund der vielgestaltigen okulären Manifestationen mitunter als erstes konsultiert wird, und Veränderungen auf ophthalmologischem Fachgebiet einen bereits bestehenden Verdacht erhärten können. Obwohl eine Reihe von klinischen Berichten vorliegen, sind Mitteilungen über die okuläre Morphologie des “Battered-Child-Syndroms” in der deutschsprachigen Fachliteratur bisher praktisch völlig ausgeblieben.

Patientin Ein zweijähriges Kind starb zwei Tage nach schwerer Mißhandlung an ausgedehnten intrakraniellen Blutungen mit Hirnstammversagen. Im Rahmen der rechtsmedizinischen Obduktion wurden beide Augen enukleiert und der histologischen Untersuchung zugeführt.

Ergebnisse Bei unauffälligen vorderen Augensegmenten fanden sich beidseits multiple Blutungen, die bevorzugt in den inneren Netzhautschichten, aber auch präretinal, intrachorioidal, intraskleral im Bereich des Zinn-Hallerschen Gefäßkranzes sowie innerhalb der Optikusscheiden gelegen waren. Ein Auge wies am hinteren Pol eine zirkummakuläre Netzhautfalte und eine hämorrhagische Retinoschisis auf.

Schlußfolgerungen Intraretinale Blutungen sind für die Kindesmißhandlung typisch, aber allein nur wenig pathognomonisch. In Verbindung mit einer krater-ähnlich aufgeworfenen Netzhaut am hinteren Pol, einer hämorrhagischen Retinoschisis sowie Blutungen im Bereich des Zinn-Hallerschen Gefäßkranzes dürften sie dagegen fast beweisend sein. Eine abschließende Klärung der zu den Fundusveränderungen führenden Pathomechanismen bleibt abzuwarten. Die von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten erwünschte, genaue Tatzeitbestimmung kann erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen.

Summary

Background In spite of a growing awareness in the population most cases of child abuse remain probably undetected. Ocular changes in this syndrome are manifold. Sometimes ocular signs can help to substantiate the suspicion of child abuse. On the other hand the ophthalmologist may be the first physician to be contacted. Thus, he plays an important role in diagnosis. Though there are a couple of clinical descriptions morphological data are almost completely missing in the German literature.

Patient A two-year-old girl died two days after severe abuse because of widespread intracranial hemorrhages with brain stem insufficiency. At autopsy both eyes were enucleated and sent for histological investigation.

Results The anterior segments were unremarkable. Multiple hemorrhages were found in the inner retina bilaterally. Moreover there were preretinal, intrachoroidal, intrascleral (area of the circle of Zinn-Haller) and subdural hemorrhages. One eye showed a circular, perimacular fold of the central retina and a hemorrhagic retinoschisis.

Conclusions Intraretinal hemorrhages alone are typical though not pathognomonic for the “battered-child syndrome”. However, in combination with a crater-like appearance of the central retina, a hemorrhagic retinoschisis, and intrascleral hemorrhages in the area of the circle of Zinn-Haller they suggest child abuse almost with certainty. The pathogenic mechanisms leading to the observed fundus changes lack definite clarification. The date of violence which is essential for legal prosecution can be difficult to evaluate on morphological grounds alone.

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