Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(1/2): 13
DOI: 10.1055/s-2008-1017462
Editorial

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Ärztegesundheit: Mythen, Wirklichkeit und Visionen

Physicians' health: myths, reality and visionsD. Nowak1
  • 1Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität München
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Publication Date:
19 December 2007 (online)

In der Antike gab es den Mythos vom durch einen Streupfeil versehentlich verwundeten Heiler in Gestalt des Zentauren Chiron, Lehrer des Achill und Asklepios, als Ausdruck des Wissens um Verwundbarkeit im Arztberuf. Das Thema „Ärztegesundheit” ist insofern uralt, aber dieses alte Wissen nützt uns heute nichts. Darum geht mein Dank an die Schriftleitung der DMW, das Thema in einem aktuellen Schwerpunktheft aufzugreifen.

Hier nur einige wenige Facetten im Telegrammstil:

Brain drain. Junge Akademikerinnen und Akademiker sind zunehmend mobil, sie können sich aussuchen, wohin sie gehen. Sie gehen also dorthin, wo sie gute Arbeitsbedingungen haben. Faktisch gibt es weltweit eine „brain circulation”, so profitieren europäische Naturwissenschaft und Medizin gewaltig von hier arbeitenden chinesischen und indischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die medizinische „brain circulation” ist derzeit nur leider ziemlich unidirektional.

Verlust an Ärztenachwuchs. Von 1993 bis 2003 nahm die Zahl der Medizinstudenten um 13,4 % ab (von 90 594 auf 78 478), die Zahl der Absolventen um 22,6 % (von 11 555 auf 8947). Von diesen Absolventen nahmen nur 76 % eine Tätigkeit im Krankenhaus auf. Die Verlustrate des Ärztenachwuchses ab Studienbeginn liegt somit bei 47 %! Als Hauptgründe werden angegeben: Theorielastigkeit der Ausbildung und Arbeitsbedingungen in den Kliniken. Ersteres Problem hat sich gebessert (u. a. durch die neue Approbationsordnung), letzteres nicht, ganz im Gegenteil.

Arbeitsverdichtung. Von 1991 bis 2004 schlossen 10,2 der deutschen Krankenhäuser, wurden 20,2 % der Betten abgebaut, 15,1 % mehr Patienten versorgt, sank die stationäre Verweildauer um 38 %. Die 146 000 stationär tätigen Klinikärzte in Deutschland leisten jährlich rund 56 Millionen Überstunden im Wert von etwa 1,2 Mrd. ı, die überwiegend nicht vergütet werden. 38 % der ärztlichen Arbeitszeit wird für Dokumentation und Verwaltung aufgewendet.

Bezahlung. In Großbritannien verdient ein Klinikarzt 8500 bis 12 500 ı/Monat, in der Schweiz als Assistenzarzt bis 9700 SFr, als Oberarzt bis 11 200 SFr. Ein Facharzt in einer niederländischen Klinik erhält bis 8700 ı. Unsere Ärztinnen und Ärzte sind weder dümmer noch fauler, nur schlechter bezahlt als die genannten Kolleginnen und Kollegen im Ausland.

Holt die Mütter in die Medizin zurück! Es wird weder den Kolleginnen gerecht, noch ist es wirtschaftlich vertretbar, gut ausgebildeten Ärztinnen mit Kindern durch familienfeindliche Arbeitsbedingungen das Nebeneinander von Arbeit und Familie unmöglich zu machen. Auch berufstätige Mütter sind gute Mütter. Und wer erfolgreich eine mehrköpfige Kinderschar zuhause organisiert, kann auch eine Bettenstation oder Ambulanz betreiben. Aber die Bedingungen für Teilzeit müssen optimiert werden: Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen länger, Klinikbesprechungen früher, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Was hat das mit Gesundheit zu tun? Der Leser mag jetzt denken, ich hätte das Thema verfehlt, es sollte doch um Gesundheit gehen. Klassische arbeitspsychologische und arbeitsmedizinische Prinzipien gelten - zur häufigen Verwunderung - nicht nur in Industrie und Verwaltung, sondern auch in der Gesundheitsbranche, auch im Krankenhaus. Wenn Arbeitsanforderung und Belohnung (effort und reward) nicht in der Balance sind, und sie sind es vielfach nicht, wird man krank. Hohe Arbeitsanforderungen bei geringem Einfluss auf die Arbeitsinhalte und -bedingungen können die Gesundheit ebenso beeinträchtigen. So einfach ist das. Abwanderung und Rückzug sind die Folge, oder Burnout, Depression, Substanzmissbrauch und Somatisierungsstörungen. Und das führt zu häufigeren Fehlern und schlechterer Betreuung der Patienten. Wenn die Ärzte gut behandelt werden, behandeln diese die Patienten gut. Das mag nach einer unzulässigen Vereinfachung klingen, aber ist (wie jeder Satz in diesem Editorial) mit Literatur belegt. „Arztfaktor in der Versorgungsforschung” heißt ein Projekt der Bundesärztekammer, in dessen Rahmen wir Interventionsstudien zur Arbeitsgestaltung in Krankenhäusern gestartet haben. Die Bundesärztekammer widmet diesem Thema im kommenden Jahr ein eigenes Symposium und einen Dokumentationsband. Es wird also in Zukunft verstärkt darum gehen, die kostbare Ressource „Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz” hinsichtlich der Zielgröße „Behandlungsqualität” zu stärken und zu fördern. Es lohnt sich also für die Krankenhausträger, Klinikverwaltungen und die Chefärzteschaft, ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pfleglich zu behandeln. Der Mensch, auch die Ärztin, der Arzt, ist kein Verbrauchsmaterial. In Industriebetrieben ist man in puncto „Wertschätzung und Gesunderhaltung der Mitarbeiter” allerdings vielfach schon weiter als in unserer eigenen Branche.

Prof. Dr. med. D. Nowak

Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

Ziemssenstr. 1

80336 München

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Fax: 089-5160-4444

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