Zentralbl Chir 2008; 133(2): 176-177
DOI: 10.1055/s-2008-1004762
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ist die kindliche Leistenhernie für die laparoskopische Versorgung geeignet? - Einige Überlegungen und ein Kommentar zum Artikel:Classen et al.: Die laparoskopische Herniorrhaphie des Leistenbruchs im Kindesalter - Erfahrungen in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung

Is a Pediatric Inguinal Hernia Appropriate to Laparoscopic Repair? - Some Considerations and a Comment on the Article:Classen et al.: Laparoscopic Inguinal Herniorrhaphy in Children - Experiences in a Tertiary Referral Medical CenterG. Stuhldreier1
  • 1Abteilung für Kinderchirurgie Universitätsklinikum Rostock
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Publication Date:
15 April 2008 (online)

Um ein in der Kinderchirurgie seit mehr als 100 Jahren etabliertes und hochstandardisiertes Verfahren wie die Herniotomie nach Fergusson durch ein komplett anderes Konzept abzulösen, bedarf es sicher einiger Überlegungen und, um eine Evidenz-basierte Aussage zu treffen, auch größerer prospektiver und multizentrischer Studien. Insoweit ist die laparoskopische Herniorrhaphie bei Kindern in Nachfolge der bei Erwachsenen jetzt zunehmend laparoskopisch durchgeführten Hernienversorgung mit Netzimplantation im kinderchirurgischen Bereich durchaus umstritten und wird auch von der IPEG (International Pediatric Endosurgery Group) derzeit nicht empfohlen. Die meisten bisher veröffentlichten und in der o. g. Arbeit zitierten Studien vergleichen kleine Fallzahlen [2] [6] [9] [12] und zeigen letztendlich nur die Durchführbarkeit („feasibility”); größere Serien, wie die von F. Schier [13] [17] beinhalten vor allem die persönliche Erfahrung weniger Operateure.

Da die großen prospektiven und multizentrischen Studien ja derzeit noch fehlen, möchte ich an dieser Stelle einige Überlegungen anstellen:

Die für die minimalinvasive Technik angeführten Vorteile erscheinen dem alt gedienten Kinderchirurgen beim kindlichen Leistenbruch nicht ganz einsichtig, da er bei normalem Situs über einen später in der Regel kaum sichtbaren 2 bis 3 cm langen Schnitt in der queren Unterbauchfalte in 15 bis 20 Minuten unter Verbrauch von 1 bis 2 Vicryl-Fäden und einem Hautfaden einen sicheren Verschluss der kindlichen Leistenhernie mit Durchtrennung und Resektion des Bruchsackes unter Schonung von Ductus deferens und Hodengefäßen durchführt bei einer Rezidivhäufigkeit von möglichst nicht mehr als 1 %; die postoperativen Schmerzen beim Kind sind nach Lokalanästhesie des Wundgebietes (welche eigentlich zum Standard gehören sollte) minimal, eine ambulante Durchführung des Eingriffs ist die Regel. Inwieweit durch die laparoskopische Technik mit einem umbilikalen Zugang, zwei Trokar-Einstichstellen, einer zusätzlichen Einstichstelle in der Leiste zur Einbringung der Nadel, beschriebenen OP-Zeiten von 20 bis 30 Minuten, einem beträchtlichen Materialaufwand und zumindest am OP-Tag zusätzlichen Atemproblemen und Peritonealreizungen durch das Capnoperitoneum eine Verbesserung möglich sein soll, ist nur schwer vorstellbar. Die in den verschiedenen Studien beschriebenen Rezidivzahlen beschränken sich in der Regel auf eher kurze Nachbeobachtungszeiten und sind meist etwas höher als die nach konventioneller Operation durch einen erfahrenen Kinderchirurgen [1] [6] [8] [12] [13] [17].

Einige Details des Verfahrens erscheinen mir problematisch:

Bei der im Artikel vorgestellten, von F. Schier übernommenen Technik wird der offene Processus vaginalis intakt gelassen und nur der Eingang durch eine nicht resorbierbare Naht verschlossen. Sowohl die Erfahrung von Schier [13] als auch die der Autoren zeigen ja, dass bei Verwendung von resorbierbaren Nähten der Bruchsack sich häufig nach Resorption des Fadens wieder öffnet und ein Rezidiv eintritt. Dass nur durch die Verwendung von nicht resorbierbarem Material eine substanzielle Verbesserung erzielt wird, erscheint mir unwahrscheinlich; eher sind Probleme durch das ja zeitlebens liegen bleibende Material beim wachsenden Kind vorstellbar. Und ob der Verschluss wirklich vom Säugling bis ins Erwachsenenalter hält, muss im Gegensatz zur konventionellen Technik erst noch gezeigt werden.

Die um den inneren Leistenring gelegte nicht resorbierbare Tabaksbeutelnaht tangiert den Ductus deferens und die Hodengefäße wohl nicht direkt, aber in Würdigung der Abb. 3 des o. g. Artikels besteht meiner Ansicht nach die Gefahr, dass die im Zentrum der Naht liegenden Strukturen zumindest beim Wachstum Schaden nehmen könnten.

Wenn die Vermutung stimmt, dass ein intakter und im Verlauf des Wachstums zu einem fibrösen Strang reduzierter Prozessus vaginalis insbesondere für spät auftretende Hodenhochstände verantwortlich ist [3] [4] [19], ist die unterbliebene Durchtrennung des Prozessus bei dem laparoskopischen Verfahren nicht nur unter dem Rezidivaspekt kritisch zu sehen und bedarf dringend der Langzeitbeobachtung bezüglich Hodenentwicklung bis ins Jugendalter; es ist jedenfalls bekannt, dass allein die Durchtrennung des Prozessus für ca. 60 % des Gewinns an Samenstranglänge bei der Orchidopexie verantwortlich ist [5].

Weitere technische Aspekte der o. g. Arbeit können diskutiert werden:

Bei der konventionellen Technik nach Fergusson ist, zumindest bei Säuglingen, eine Eröffnung der Fascie nicht immer nötig; häufig ist eine komplette Darstellung, Unterbindung und Resektion des Bruchsackes auch durch den intakten äußeren Leistenring möglich. Der wesentliche Teil der Operation nach Fergusson besteht, wie oben dargelegt, in der Durchtrennung und Resektion des Bruchsackes, nicht allein in der hohen Ligatur. Der Hautverschluss kann bei allen kinderchirurgischen Eingriffen sowohl bei konventioneller als auch bei laparoskopischer Technik sowohl durch intrakutane Monocryl-Nähte, intrakutane nicht resorbierbare, fortlaufende Nähte sowie durch Hautkleber mit minimaler Narbenbildung erfolgen. Bei postoperativer Versorgung mit Folienverband sind auch konventionell operierte Patienten frühzeitig in der Lage zu duschen.

Die laparoskopisch erkannten Zusatzbefunde wie Leber- und Ovarialzyste können vom geübten Kinderradiologen oder Kinderchirurgen auch präoperativ durch Sonografie erkannt und sinnvollerweise bereits vor dem Eingriff bezüglich der weiteren Therapienotwendigkeit abgeklärt und mit den Eltern besprochen werden.

Auch die vielfach als Vorteil genannte Möglichkeit, bei der laparoskopischen Technik auch die kontralaterale Seite zu inspizieren und fallweise eine in 10 bis 20 % metachron auftretende kontralaterale Hernie in einer Narkose zu versorgen [2] [7] [8] [11] [18], sollte noch weiter diskutiert werden: Zum einen ist die kontralaterale Exploration auch bei konventioneller Technik durch Einführen einer laparoskopischen Optik durch den mit Tabaksbeutelnaht armierten Bruchsack problemlos möglich, liefert gleiche Ergebnisse und wird von verschiedenen Autoren empfohlen. Allerdings wird gerade von F. Schier berichtet, dass der laparoskopische Aspekt des inneren Leistenringes durchaus nicht immer mit einer Herniation auf der entsprechenden Seite übereinstimmen muss [14] [15] [16]: Er merkt zum einen an, dass nicht jeder offene innere Leistenring gleichbedeutend mit einem Leistenbruch ist, und führt Beispiele an, dass auch eine klinische Leistenhernie durchaus ohne wesentlichen laparoskopischen Befund einhergehen kann. Wenn jeder laparoskopisch sichtbare Eingang in einen inneren Leistenring operiert wird, wird man sicherlich deutlich mehr Leisten versorgen als später tatsächlich an Leistenhernien aufgetreten wären: die meisten Autoren beschrieben diesbezüglich eine mindestens doppelt so hohe Rate an offenen inneren Leistenringen wie an späteren Leistenbrüchen [2] [7] [11] [13] [17] [18]. Und es ist immer zu bedenken, dass auch seltene Komplikationen insbesondere dann vermeidbar sind, wenn der Eingriff selbst nicht nötig gewesen wäre.

Ohne dem weiteren wissenschaftlichen Diskurs und den hoffentlich kommenden größeren Studien vorgreifen zu wollen, möchte der Kommentator vermuten, dass bezüglich der laparoskopischen Technik bei der Versorgung des kindlichen Leistenbruches ein ähnliches Fazit wie nach einem Cochrane-Review von 2003 über den Vergleich zwischen konventioneller und laparoskopischer Herniotomie beim Erwachsenen [10] zu ziehen sein wird: Entscheidend für die Rezidivhäufigkeit ist das OP-Ziel (dort die Implantation von Netzen, beim Kind die Durchtrennung und Resektion des Bruchsackes), wobei die Laparoskopie zumindest bei breiter Anwendung ein höheres Risiko von ernsthaften Komplikationen zu haben scheint.

Meiner Einschätzung nach hat die Laparoskopie beim kindlichen Leistenbruch operationstaktische Vorteile vor allem bei den seltenen postoperativen Rezidiven, da hier die Verhältnisse im Bereich der Leiste ohne zusätzliches Risiko durch einen Zugang außerhalb des vernarbten Gebietes beurteilt werden können. Das Rezidiv kann ggf. dabei auch von der nicht voroperierten abdominellen Seite her versorgt werden [6], sofern der Processus vaginalis bei der Voroperation durchtrennt wurde.

Im Übrigen meine ich, dass für die erfolgreiche Versorgung der kindlichen Leistenhernie vor allem die spezielle Ausbildung und Erfahrung des (Kinder-)Chirurgen entscheidend ist.

Literatur

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Prof. Dr. med. G. Stuhldreier

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