Fortschr Neurol Psychiatr 1994; 62(5): 147-154
DOI: 10.1055/s-2007-996666
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnostische und prognostische Implikationen des ersten epileptischen Anfalls im Erwachsenenalter

Diagnostic and Prognostic Implications of the First Epileptic Seizure in AdultsB.  Pohlmann-Eden , A.  Schreiner , A.  Mika
  • Neurologische Universitätsklinik Mannheim, Fakultät der Universität Heidelberg
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Publication Date:
09 January 2008 (online)

Abstract

Actual epidemiological studies show a prevalence rate for active epilepsy in 0.5-1%, whereas single seizures occur in up to 5 % of the general population. Assessment of the significance of first epileptic reaction requires precise definition and classification of the episode, a careful analysis of the entire context including thorough case history, and indirect anamnesis. The value of EEG-techniques for this issue is part of a controversial discussion. By means of cranial computerized tomography (cCT), brain tumours were detected as structural correlate in 5 to 16% of first-seizure-patients. In recent studies, estimated risk of seizure recurrence after first unprovoked seizure ranged from 27 % to 78 %: most of the relapses were observed in the first 6 months after the first event. The wide range of relapse rates is due to the divergent methodological designs (retro- versus prospective design, selection of patients, length of time before study entry) in the different studies. There are conflicting results concerning risk factors and predictive value of the following variables: pathology in the neurostatus, focal seizure type or Todd's paresis, history of febrile seizures, symptomatic genesis, and specific epileptic potentials and time of day of seizure event. In an actual metaanalysis of recent studies, seizure etiology and EEG were the strongest predictors of recurrence. The preliminary results of our prospektive study with a strict protocol and first-seizure-design are presented: we observed a seizure relapse in 26.7% of 78 adult patients (age range: 17-84 years) after a mean latency of 4.4 months. Until now, there is no evidence for potential predictors of seizure recurrence.

Data are missing concerning the question of establishing early therapy in these patients: following the hypothesis of a dynamic process in epilepsy, most authors recommend sufficient anticonvulsant treatment after the second non-provoked seizure to prevent development of chronic epilepsy. For a comprehensive definition of prognosis in further studies, data must be collected on the patient's life situation including changes following the seizure event.

Zusammenfassung

Epidemiologische Studien gehen davon aus, daß 0,5-1 % der Bevölkerung an Epilepsie erkrankt sind und daß jeder 20. (5 %) einmal in seinem Leben einen epileptischen Anfall erleidet. Für die Einschätzung der Dignität einer ersten epileptischen Reaktion ist eine genaue Begriffsbestimmung und sorgfältige Kontextanalyse einschließlich Eigenund Fremdanamnese erforderlich. Typische Gelegenheitsanfälle mit den bekannten Provokationssituationen müssen erkannt werden. Der Wert der EEG-Diagnostik für diese Fragestellung ist umstritten; die bildgebende Diagnostik mittels kranialer Computertomographie (cCT) zeigt in 3,5-16% der Fälle als morphologisches Korrelat einen hirneigenen Tumor. Modernen Studien gemäß ist nach einem ersten epileptischen Anfall innerhalb von 3 - 5 Jahren in 27-78 % mit einem Anfallsrezidiv zu rechnen, wobei in mehr als der Hälfte der Fälle dieses im ersten halben Jahr auftritt. Die stark divergierenden Prozentzahlen begründen sich durch erheblich abweichende methodische Designs. Die maßgeblichen Einflußfaktoren (retro- versus prospektives Vorgehen, Patientenselektion, Zeit des Studieneintritts) werden kritisch diskutiert. Als Risikofaktoren wurden bisher mitgeteilt: pathologischer neurologischer Befund, fokale Anfallsphänomenologie, Fieberkrämpfe in der Anamnese, spezifisch epileptische Potentiale im EEG, eine symptomatische Genese und der Tageszeitpunkt des Anfallsgeschehens. Eine aktuelle Metaanalyse der z.Z. vorliegenden Studien identifizierte als häufigste Prädiktoren einen pathologischen EEG-Befund und den Hinweis auf eine symptomatische Genese des Anfalls. Eine Kombination dieses Funktions- und Strukturdefizits ergab das höchste Risiko. In einer eigenen prospektiv angelegten Untersuchung mit striktem Untersuchungsprotokoll konnte bei 78 Patienten im Alter von 17 -84 Jahren in 26,7% ein Anfallsrezidiv (mittlere Latenz 4,4 Monate) beobachtet werden, ohne daß sichere Prädiktoren erkennbar waren.

Die Behandlungsnotwendigkeit nach erstem epileptischen Anfall wird gleichfalls kontrovers beurteilt: Allgemein wird eine Behandlung erst nach dem zweiten sicheren unprovozierten Anfall empfohlen. Es wird versucht, eine Risikogruppe für eine frühzeitige Behandlung zu definieren. Zukünftige Studien sollten in der Prognosedefinition- und -abschätzung auch Daten aus der sozialen Patientenrealität, insbesondere die Auswirkung eines einzelnen Anfalls auf das Sozialgefuge miterfassen, um so ein ganzheitliches Verständnis von Krankheit zu schaffen.

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