Pneumologie 2008; 62(1): 55-56
DOI: 10.1055/s-2007-996165
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stellungnahme

AttituteN.  Konietzko
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. Januar 2008 (online)

Stellungnahme

Sehr geehrter, lieber Herr Virchow,

es ist schon kurios, aber keine meiner früheren, an Zahl gewiss nicht wenigen Publikationen zu medizinisch-pneumologischen Themen hat je ein derart starkes Echo hervorgerufen wie die zur Diskussion stehende medizin- und kunsthistorische Betrachtung zu „Tuberkulose und Kunst”. Unter den vielen Zuschriften, Anrufen und Gesprächen nimmt Ihr Leserbrief, was Umfang und Sorgfalt der Argumentation betrifft, eine Sonderstellung ein. Ich will deshalb versuchen, ihn auch ebenso sorgfältig und ausführlich zu beantworten. Leider erreichte mich Ihr Brief mit einiger Verzögerung auf dem Umweg über die Redaktion, so dass ich ihn erst jetzt beantworte. Lassen Sie mich der Reihe nach vorgehen:

Zunächst zu Igor Strawinski. Der wohl bedeutendste Komponist des 20. Jahrhunderts litt sehr wohl an Tuberkulose. Sie trat periodisch auf und zwang ihn, seine Arbeit immer wieder zu unterbrechen. 1895 erkrankte er an einer Pleuritis, von der er sich nur langsam erholte. Im Juni 1939 brach die Lungentuberkulose aus und er musste mehrere Monate in Sancellemoz zubringen, bevor er in die USA emigrierte. Dort wurde er 1969 wegen eines Rezidivs erstmals antituberkulotisch behandelt. Nicht nur seine Frau Ekatarina, sondern auch ihre gemeinsame Tochter Ludmilla starben an Tuberkulose. Gewiss, Igor Strawinski starb nicht an Tuberkulose, erlebte er doch noch die Aera einer wirksamen Therapie, aber um ein Opfer dieser schrecklichen Krankheit zu sein, muss man ja nicht partout an ihr sterben.

Bei Ernst (selbstverständlich nicht Karl) Ludwig Kirchner, den ich eingangs als Beispiel eines tuberkulosekranken Malers erwähne, ohne im weiteren auf sein Schicksal einzugehen, liegen die Dinge nicht so klar. Gleich zu Beginn des 1. Weltkriegs hatte sich der damals schon bekannte Künstler, wie so viele, „unfreiwillig freiwillig” zu den Fahnen gemeldet; auf diese Weise stand ihm wenigstens die Wahl des Artillerieregiments zu, bei welchem er als Fahrer diente. Noch während des Kriegs, 1915/6, musste er sich wegen eines „körperlichen und seelischen Zusammenbruchs” in ein Berliner Sanatorium und später in das Königsteiner Sanatorium des Dr. Kohnstamm begeben. Die Angaben über seine Krankheit sind vieldeutig und die Annahme einer Tuberkulose spekulativ. Dass die Jahre in Davos und der Selbstmord des Künstlers nichts mit Tuberkulose zu tun hatten, ist unbestritten.

Für die Richtigstellung der verzwickten Verhältnisse vor Ort und der Bezüge zu Thomas Manns Zauberberg kann ich Ihnen, dem intimen Kenner seines Werks und langjährigen Bürger von Davos/Wiesen, nur dankbar sein.

Der nächste Punkt Ihres Leserbriefs betrifft die Thomas Mann-Zitate. Man kann gewiss trefflich über direkte oder indirekte Zitierweise streiten. Wesentlich erscheint mir jedoch, dass man im Text kenntlich macht, wie man es damit hält. Bei den Passagen in meinem Manuskript, in denen Thomas Mann-Zitate aus den Arbeiten von Dieter Reimers übernommen werden, ist dies in Form der Kursivschrift deutlich erkennbar.

Beim letzten Punkt freilich, dem Schillerzitat („Es ist der Geist, der sich den Körper baut.”) vermag ich Ihrem Einwand nicht zu folgen. Der unbefangene Leser wird unschwer erkennen, dass sich in diesem großartigen, Wallenstein in den Mund gelegten Wort die stoische, man mag sogar sagen heroische Haltung des Dichters spiegelt, kraft der er Krankheit und körperlichem Leid bis zuletzt widerstehen konnte.

Nun schlägt die Redaktion der Zeitschrift „Pneumologie” vor, sowohl Ihren Leserbrief wie auch meine Replik, wenn auch in verkürzter Form, zu veröffentlichen. Ich präferiere die ungekürzte Fassung beider Beiträge, da ich mir nicht so recht vorstellen kann, wie und was gestrichen werden soll. Auch ist es nicht mein Stil - und wahrscheinlich auch nicht der Ihre - eine Art Scheingefecht vor einem gespannt zusehenden Publikum auszutragen. Daher schicke ich Ihnen zunächst diese meine Stellungnahme zu und harre geduldig der Dinge, die da aus Wiesen kommen.

Einstweilen bin ich mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. med. Nikolaus Konietzko

Spillheide 78

45239 Essen

eMail: nikolaus.konietzko@t-online.de