Gesundheitswesen 2007; 69(10): 534-540
DOI: 10.1055/s-2007-992767
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lokale Gesundheitspolitik und Gesundheitsplanung aus der Sicht der EntscheidungsträgerInnen des kommunalen politisch-administrativen Systems

Local Health Policies and Health Planning from the Viewpoint of the Decision-Makers of the Local AuthoritiesB. Ziemer 1 , V. Grunow-Lutter 2
  • 1Kreis Heinsberg, Gesundheitsamt
  • 2Akademie für öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf
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Publication Date:
27 November 2007 (online)

Zusammenfassung

Zur Entwicklung einer bedarfsgerechten kommunalen Gesundheitspolitik wurde 1997 in NRW mit Inkrafttreten des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG) die Umsetzung zweier neuer Aufgabenbereiche in den Gesundheitsämtern verpflichtend: kommunale Gesundheitsberichterstattung (GBE) und kommunale Gesundheitskonferenz (KGK). Diese neuen Aufgaben dienen als Steuerungs- und Planungsinstrumente für eine verbesserte gesundheitsbezogene Versorgung vor Ort. Ihre zentrale Zielsetzung liegt in der wissensbasierten (Mit-)Gestaltung einer kommunalen Gesundheitspolitik, also eines Politikfeldes, an dessen Konturierung (neben den lokalen Akteuren des Gesundheitswesens) insbesondere auch die Entscheidungsträger des kommunalen politisch-administrativen Systems (PAS) beteiligt sein sollen. Im Kreis Heinsberg sind seit Mitte der 90er Jahre sowohl die Gesundheitskonferenz als auch die Gesundheitsberichterstattung etablierte Aufgabenbereiche des Gesundheitsamtes. Vor dem Hintergrund dieser langjährigen Erfahrung wurde die vorliegende Studie mit dem Ziel konzipiert, gesundheitsbezogene Einstellungen, Entscheidungsmuster und berufliche Aktivitäten der im kommunalen Politik- und Verwaltungssystem tätigen Entscheidungsträger zu analysieren. Anlass für die Studie war die nach wie vor bestehende „Zurückhaltung” der meisten politischen und administrativen Führungskräfte die neuen Planungsinstrumente für gesundheitsbezogene Entscheidungsprozesse und Agenda Setting zu nutzen. 44 Führungskräfte aus Politik und Verwaltung (Bürgermeister, Partei/Fraktionsvorsitzende, Dezernenten, Amtsleiter) wurden mündlich mit einem standardisierten Fragebogen interviewt. Die befragten Führungskräfte sind nach eigenen Angaben mit einer Reihe von Aufgaben mit gesundheitlichen Aspekten befasst, obwohl der Schwerpunkt ihrer Zuständigkeit außerhalb des Gesundheitsbereiches liegt. Die Anknüpfungspunkte an ein Politikfeld „kommunale Gesundheit” sind den Befragten sehr bewusst. Dies führt allerdings nicht zu einer aktiven Handhabung der beiden Steuerungsinstrumente GBE und KGK sei es durch gesundheitsbezogene Themenvorschläge oder durch die Teilnahme an den Diskussionen und Beschlussfassungen in der Gesundheitskonferenz. Die Entscheidungsträger des PAS bringen gesundheitsbezogene Themen weiterhin in ihre etablierten Diskussions- und Entscheidungsforen ein und wechseln kaum in einen anderen Kommunikationszusammenhang, der inhaltlich möglicherweise geeigneter wäre (z. B. die KGK). Die Entscheidungsträger des PAS haben offensichtlich einen eigenen, spezifischen Informationsbedarf, der künftig berücksichtigt werden sollte. Die Gesundheitskonferenz wird bisher vor allem von den Akteuren des Gesundheitswesens als Plattform für Prioritätensetzung und Herstellung von Verbindlichkeit für gemeinsame Maßnahmenumsetzung genutzt. Kaum gelang aber eine politikfeldübergreifende Vernetzung, also eine Kooperation mit Akteuren aus der Kommunalverwaltung mit formell „gesundheitsfernen” Verantwortungsbereichen, die aber sehr wohl auch gesundheitsbezogenen Aufgaben enthalten. Dies gilt auch für die politischen Entscheidungsträger, deren Mandat sich generell auch auf die gesundheitsbezogene Daseinsvorsorge bezieht. Hier ist insbesondere die Gesundheitsfachverwaltung aufgefordert, den politischen und administrativen Entscheidungsträger noch nachdrücklicher als bisher zu verdeutlichen, dass die Gesundheitskonferenz eine organisatorisch-institutionelle Plattform zur Konsensbeschaffung für Problembewertungen und allgemein akzeptierte Aufgabendurchführung bietet vor allem auch für gesundheitsbezogene Aufgaben, die im Schnittstellenbereich von „kommunaler Gesundheit” und anderen Politikfeldern liegen.

Abstract

In 1997 the new law about Public Health Service (ÖGDG) in Northrhine-Westfalia was put into operation. It included two new sets of compulsory tasks: local health reporting (GBE) and local health conferences (KGK). These new tasks are installed as planning and steering instruments aiming for a better health-care on the local level. The central object is the knowledge-based formation of local health policies. Thereby, local representatives concerned with health and social services should participate as well as administrators and politicians. Since the middle of the 1990 s both new tasks have been established by the public health department of the county of Heinsberg in Northrhine-Westfalia. The experience of this department over almost ten years is the background for the empirical research project that is described in this paper. The study investigates the vocational practices, the decision-making and the health-related attitudes of the relevant local administrative and political representatives. The impulse for the start of the study was given by the constant reluctance of political and administrative top managers to make use of these new planning instruments in agenda setting and decision making. 44 high-ranking staff members and politicians (mayors, party chairmen, heads of departments far beyond the health office) were personally interviewed. Although they are not part of the health administration they claim to be occupied with quite a few health-related tasks. The overlapping of their set of tasks with the local health policies is evident for the interviewed managers. How-ever, this does not cause them to use the two new planning instruments. In particular, they do not participate in the local health conferences. They rather prefer the traditional path of policy making (parties, committees, fractions) even if these paths are less efficient than the new ones. The health conference is much more used by health-service providers as a platform for setting priorities and organising their implementation effectively. So far, the inclusion of the other local representatives (administrative managers, etc.) although they are concerned with health issues has not been achieved. This is also true for local politicians who are responsible for health-care policies. The authors of the paper see it to be the task of the local public health department to convince all these players that the health conference is a productive tool and a useful platform for the discussion of the health problems in the county and the coordination of necessary actions to be taken. The most important focus point is seen in the intersection of health policies with other local policies.

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Korrespondenzadresse

Dr. B. ZiemerMPH 

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