Notfallmedizin up2date 2007; 2(4): 301-324
DOI: 10.1055/s-2007-989337
Spezielle Notfallmedizin

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ertrinkungsunfälle im Kindesalter

Dominique Singer
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Publication Date:
13 December 2007 (online)

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Kernaussagen

  • Das Ertrinken steht statistisch an zweiter Stelle der tödlichen Unfälle im Kindesalter. Die Tragik vieler Ertrinkungsunfälle bei Kindern besteht in der fatalen Unterschätzung der von vermeintlich harmlosen Situationen ausgehenden Gefahr.

  • Der Ertrinkungsunfall beinhaltet pathophysiologisch eine Asphyxie („Ersticken unter Wasser“) und eine Hypothermie („Erfrieren im Wasser“), die ihrerseits auch ohne eigentlichen Sauerstoffmangel zum Tode führen, aber ebenso einen Schutz vor zerebraler Hypoxie bieten kann.

  • Die Unterscheidung zwischen „trockenem“ und „feuchtem“ Ertrinken (ohne/mit primärer Wasseraspiration) sowie zwischen Süß- und Salzwasseraspiration (mit divergenten osmotischen Effekten) ist für die Praxis weniger bedeutsam als der Umstand, dass eine Aspirationspneumonie sich oft verzögert entwickelt („sekundäres Ertrinken“). Aspirierte Mikroorganismen aus verschmutzten Gewässern können nicht nur eine pulmonale Superinfektion bewirken, sondern auch mit dem Kreislauf verschwemmt werden und zur Abszessbildung auf hypoxisch-ischämisch vorgeschädigten Hirnarealen führen.

  • Die akzidentelle Hypothermie bewirkt nach Erschöpfung der kältegegenregulatorischen Stoffwechselsteigerung eine Beeinträchtigung von Atemantrieb und Bewusstseinslage und führt bei Erwachsenen oft bereits im Temperaturbereich um 27 °C zum terminalen Kammerflimmern. Beim Sturz von Kleinkindern in eiskalte Gewässer kann die schlagartige tiefe Abkühlung mit ihrem stoffwechseldrosselnden Effekt der Entwicklung einer Hypoxie vorauseilen, sodass mitunter erstaunliche Wiederbelebungserfolge zu beobachten sind.

  • Aufgrund der günstigen Reanimationsaussichten gilt gerade bei tief unterkühlten Kleinkindern auch in scheinbar aussichtslosen Fällen die Devise „no one is dead until warm and dead“. Wegen ihrer größeren relativen Körperoberfläche und der geringeren Flimmerneigung des Herzens ist für Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen auch bei tieferer Hypothermie die zentrale Wiedererwärmung an der Herz-Lungen-Maschine einer superfiziellen Wiedererwärmung nicht notwendigerweise überlegen.

  • Die Intensivbehandlung zielt auf die Beatmung bei Aspirationspneumonie, die antiödematöse Therapie bei zerebraler Hypoxie und die kontrollierte Wiedererwärmung aus akzidenteller Hypothermie. Nachdem die therapeutische Hypothermie einen neuroprotektiven Effekt nach Herzstillstand im Erwachsenenalter gezeigt hat, kann die vorbestehende akzidentelle auch in eine vorübergehende induzierte Hypothermie übergeleitet werden.

  • Obwohl die Ersteinschätzung - vor allem wegen der Überlagerung von Hypoxie- und Hypothermieeffekten - unsicher ist, hat sich der initiale Zustand des Patienten doch als maßgeblicher Prädiktor für das längerfristige Outcome erwiesen. Angesichts der sehr begrenzten intensivmedizinischen Beeinflussungsmöglichkeiten kommt der Prävention von Ertrinkungsunfällen - sowohl passiv als auch aktiv - überragende Bedeutung zu.