Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2007; 17 - A4
DOI: 10.1055/s-2007-988713

Motorischer Stereotype der Koordination von Kopf und Blickbewegung – Ursachen für Schmerzen im Nacken- und Schultergürtel (physiologische Grundlagen)

L Beyer 1, EJ Seidel 1
  • 1Sophien- und Hufeland-Klinikum, Weimar

Frage: Manche Berufsgruppen sind geradezu prädestiniert für schmerzende Muskelverspannungen im Schulter- und Nackenbereich: Computerarbeiter (CAD-Konstrukteure und Dateneingabe in Datenverarbeitungszentren), Fließbandarbeiter oder Menschen in „sitzender“ Arbeitshaltung ganz allgemein. Betroffen sind Muskeln, die auch an den Bewegungen des Kopfes für die visuelle Wahrnehmung beteiligt sind. Bisher wurden diese Beschwerden nicht mit dem Grad der Beteiligung dieser Muskeln an der Blickbewegung in Zusammenhang gebracht. Neurophysiologische Grundlagen der motorischen Stereotype der Blickbewegung und deren Veränderung werden vorgestellt.

Methode: Es wurden während unserer Untersuchungen 17 Kinder (Ø 6,59±0,51 Jahre), 25 Kinder (Ø 12,16±0,55 Jahre), 23 Jugendliche (Ø 17,17±0,58 Jahre) sowie 72 Patienten mit Nacken-Schulter-Syndrom (Ø 43,07±13,06 Jahre) untersucht. Die Kopfbewegungen der Probanden wurden mithilfe der Triple-Cervikal-Untersuchung (Zebris CMS 70 P) gemessen. Zunächst untersuchten wir das maximale Bewegungsausmaß der Halswirbelsäule. Anschließend wurde der Proband aufgefordert Ziele in horizontaler (±70° von neutraler Position) und vertikaler Ebene (±30° von neutraler Position) zu fixieren. Das Verhältnis aus gemessener Kopfbewegung und der vorgegebenen Blickbewegung (70° horizontal/30° vertikal) ergibt den Head-Eye-Mover-Quotienten (‘gain' Wert). Zusätzlich wurde das dominante Auge bestimmt.

Ergebnis: Neuere und auch eigene Untersuchungen zeigen, dass das Verhältnis von Augen- zu Kopfbewegungen beim Sehen eine höchst individuelle Angelegenheit ist; je nach Überwiegen einer der beiden Komponenten finden wir so genannte Head-mover“ und „Eye-mover“. In einer Gruppe junger Erwachsener finden wir 27% Head-mover, bei älteren Kindern sind beide Typen gleich 50: 50% verteilt, während bei 6 und 7 jährigen Kindern praktisch nur Head-mover zu finden sind. In einer Patientengruppe mit Beschwerden im Schulter-Nackenbereich sind 84% Eye-mover.

Diskussion: Veränderte Umfeldbedingungen für die Kombination von Augen- und Kopfbewegungen bei Blickbewegungen führen zu einem veränderten Gebrauch der Nacken- und Schultermuskulatur, die von Schmerzen in diesen Muskeln begleitet sein können. Das individuelle Verhältnis von Kopf- zu Augenbewegungen beeinflusst das Entstehen von schmerzenden Beschwerden in der Hals- und Nackenmuskulatur, wenn dieses individuelle Verhältnis (z.B. berufsbedingt) nicht mehr realisiert werden kann. Andererseits ist es möglich, dass schmerzhafte Beschwerden in der Nacken- und Schultermuskulatur das individuelle Verhältnis von Kopf- und Augenbewegungen verändern und so einen circulus vitiosus initiieren können. Bei Kenntnis dieser Zusammenhänge kann eine gezielte individuelle Therapie bzw. Prophylaxe entwickelt werden.

Literatur: Beyer, L; Seidel, E. J.; Hartmann, J.; Orphal, D. Head- and Eye-Mover Kongress der DGMM Potsdam, 15. – 17.09.2006,Manuelle Medizin 5, 2006, 411–412