Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2007; 39(4): 176-177
DOI: 10.1055/s-2007-986017
Praxis
Das Interview
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Betreuungsgespräche während der oft abrupt verlaufenden Krankheit eines Hirntumors sollten vor allem interdisziplinär durchgeführt werden.

Psychoonkologie bei HirntumorpatientenUnsere Gesprächspartnerin: Johanna Mair-Walther
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Publication Date:
20 December 2007 (online)

Dr. phil. Johanna Mair-Walther

Diplompsychologin (Studium in Padua, Koblenz und Landau), seit 2001 am Universitätsklinikum Heidelberg/Institut für Neurologie als Neuropsychologin tätig, Weiterbildung zur zertifizierten Psycho-Onkologin, Zusatzausbildung in Krisenintervention und Notfallpsychologie.

DZO:

Welche Rolle spielt die psychoonkologische Betreuung von Hirntumorpatienten? Was sind für Sie die wesentlichen Aspekte bei der Betreuung von Hirntumorpatienten?

Dr. Mair-Walther:

Die Betreuung von Hirntumorpatienten spielt insofern eine besondere Rolle, als es durch den Tumor im Zentralnervensystem zusätzlich zu neurologischen Symptomen und Persönlichkeitsveränderungen wie Aggressivität und Verwirrtheit sowie zu erheblichen Einschränkungen der kognitiven Leistungen, vor allem in späteren Phasen der Erkrankung, kommen kann. Hier stehen Gedächtnisdefizite, speziell des Kurzzeitgedächtnisses an erster Stelle.

Meine Erfahrung ist, dass sehr häufig sowohl die Patienten als auch deren Angehörige nur Teile der Gespräche mit den Ärzten aufnehmen. Ich sehe es daher als eine der wichtigsten Aufgaben an, zu klären, was der Patient im Gespräch bezüglich der Diagnose und der Therapiemaßnahmen wahrgenommen hat. Darüber hinaus ist es wichtig für mich, dass vermittelt wird, was auf den Patienten im Verlauf seiner Erkrankung zukommen wird. Aber auch der andere Weg ist von Bedeutung, nämlich die Wünsche des Patienten zu verstehen und nach außen hin zu vermitteln.

DZO:

Welche Probleme treten gehäuft bei der Betreuung von Hirntumorpatienten auf? Was wird von den Patienten als besonders belastend empfunden?

Dr. Mair-Walther:

Die größten Probleme bestehen meines Erachtens darin, Missverständnisse zwischen Angehörigen, Patienten und den Behandelnden zu klären. Es muss ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das es erlaubt, den vielschichtigen Beziehungsebenen gerecht zu werden.

Die größte Belastung stellt sicherlich die Gewissheit dar, einen bösartigen Hirntumor oder Metastasen zu haben, die in naher Zukunft zu gravierenden Einschränkungen des Allgemeinzustandes und zum Tod führen können. Dabei steht im Vordergrund, Familienangehörige verlassen zu müssen. Ein weiterer Punkt ist die oft damit verbundene massive Verschlechterung der finanziellen Situation der Familie.

Häufig wird von den Patienten der Wunsch geäußert, in ihrer Umgebung zu Hause die verbleibende Zeit zu verbringen. Demgegenüber stehen oft die Erwartungen und Wünsche der Angehörigen, alle möglichen medizinische Therapiemaßnahmen zu unternehmen, um die Krankheit aufzuhalten oder möglicherweise gar eine Heilung zu erzielen.

DZO:

Von Angehörigen wird häufig die Persönlichkeitsveränderung des Patienten, die auch mit einer gesteigerten Aggressivität einhergehen kann, als sehr problematisch erlebt. Wie gehen Sie bei der Betreuung von Patienten und Angehörigen damit um?

Dr. Mair-Walther:

Eine gesteigerte Aggressivität beobachte ich häufig in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung. Die erlebte Ohnmacht bei den Hirntumorpatienten löst sicherlich Aggressionen aus. Wir dürfen aber auf der anderen Seite nicht übersehen, dass unter einer solchen belastenden Situation sich natürlich auch das Verhalten der Angehörigen verändert, das ebenfalls aggressiv sein kann. Meine Erfahrung in solchen Situationen ist die, dass Betreuungsgespräche während der oft abrupt verlaufenden Krankheit sehr häufig und vor allem interdisziplinär durchgeführt werden sollten. Dadurch kann zu einem gewissen Grad Klarheit geschaffen werden.

DZO:

Welche Hilfen können Sie Angehörigen von Hirntumorpatienten anbieten? Wie sieht die psychosoziale Mitbehandlung konkret aus?

Dr. Mair-Walther:

Eine zentrale Rolle meiner Tätigkeit stellt die Krisenintervention bei der Mitteilung der Erstdiagnose und die Vorbereitung zum Abschiednehmen ab dem präfinalen Stadium dar.

Den Angehörigen empfehle ich, den Kontakt zu den Betreuenden aufrecht zu erhalten, um offene Fragen und Probleme anzusprechen. Ich erlebe es immer wieder, dass durch die Betreuungsgespräche eine Klarheit erzielt werden kann, die bei den Angehörigen zu einer gewissen Gefasstheit führt. Dies ermöglicht wiederum, gemeinsame Ziele neu auszurichten und dadurch die verbleibende Zeit mit dem Patienten bewusster zu erleben. Häufig biete ich den Angehörigen auch die Möglichkeit an, Kontakt mit mir aufzunehmen, wenn der Patient nicht mehr stationär ist, um die Betreuungsgespräche weiterführen zu können.

DZO:

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Dr. Mair-Walther:

Laufen.

DZO:

Frau Dr. Mair-Walther, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Dr. phil. Johanna Mair-Walther

Diplom-Psychologin
Neurologische Klinik
der Universität Heidelberg

Im Neuenheimer Feld 400

69120 Heidelberg

Email: johanna.mair@med.uni-heidelberg.de