Gesundheitswesen 2007; 69(8/09): 424-426
DOI: 10.1055/s-2007-985386
Laudatio

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prof. Dr. Walter Steuer: Vier Jahrzehnte Steuermann für öffentliche Gesundheit

J. G. Gostomzyk
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Publication Date:
10 October 2007 (online)

Nach fast 40-jähriger Arbeit in der Schriftleitung unserer Zeitschrift, davon zwei Jahrzehnte (1968-1988) als Hauptschriftleiter, beendet Prof. Dr. Walter Steuer seine Mitarbeit mit Vollendung des 80. Lebensjahres. Die herzliche Gratulation, eingebettet in gute Wünsche für die Zukunft, verbinde ich mit einer Rückblende auf die außergewöhnliche Leistung für die Zeitschrift und deren Anliegen und es ist der richtige Moment, Dank zu sagen.

Wissenschaftliche Zeitschriften widmen sich einem speziellen Fachgebiet. Das Anliegen wird durch die Organschaften der Fachgesellschaften erkennbar und in der Schriftleitung und im Beirat durch Vertreter von Abonnentengruppen real umgesetzt. Bestehen und Erfolg sind abhängig von einer kompetenten Schriftleitung und einem Verlag, der die Wirtschaftlichkeit und die strukturelle Weiterentwicklung im Auge behält.

Das Anliegen medizinischer Zeitschriften entwickelt sich in der Regel kontinuierlich mit der Wissenschaft des Fachgebietes, seinem Versorgungsauftrag, z. B. Allgemeinmedizin, Augenheilkunde usw. und den berufspolitischen Interessen. Anders verhält es sich auf dem Gebiet öffentliche Gesundheit. Das unscharf abgegrenzte Fachgebiet, in Teilbereichen nur mit dem Selbstverständnis eines subsidiären Versorgungsauftrages ausgestattet, korrespondiert und agiert viel unmittelbarer als andere mit gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Einflüssen. In diesem Spannungsfeld hat W. Steuer über 20 Jahre kompetent und mit sicherem Gespür für das jeweils Machbare als Hauptschriftleiter für die Zeitschrift, die heute den Titel „Das Gesundheitswesen“ trägt, seinen Beitrag zum ihrem Erhalt und ihrer Entfaltung geleistet.

W. Steuer übernahm 1968 mit der Funktion des Hauptschriftleiters der Zeitschrift „Der öffentliche Gesundheitsdienst“ ein in der Vorgeschichte politisch belastetes Erbe. Das Organ war 1935 gegründet worden, verlegt bei Thieme in Leipzig, um das Ideengut und die Anliegen der Ideologie gesteuerten nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, in erster Linie die Aufartung des deutschen Volkes, in die Gesundheitsverwaltung, speziell in die nach dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1934 reichseinheitlich neu gegründeten Gesundheitsämter, zu transportieren. Der Auftrag endete 1945 mit dem Untergang des NS-Regimes.

Nach einer Zwangspause erschien, gleichsam in der „Stunde Null“ der Bundesrepublik, der 11. Jahrgang (1949/50) mit dem alten Titel, jetzt allerdings als Monatsschrift für Gesundheitsverwaltung und Sozialhygiene und als Organ des Verbandes der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und der Vereinigung für Gesundheitsfürsorge im Kindesalter. Aus der ehemaligen Schriftleitung gehörte E. Schröder auch der neuen an, bis zur Nachfolge von W. Steuer im Jahre 1968.

Die Frage Kontinuität oder Neuanfang eines ÖGD und seiner Zeitschrift wurde, u. a. auch angesichts der konkreten medizinischen Aufgaben in den Notlagen der ersten Nachkriegsjahre, nicht gestellt. Die aus späterer Sicht so bewertete „Phase der Restauration“ endete 1968 mit den Fragen der ersten Nachkriegsgeneration zur NS-Zeit an ihre Väter und die Bildung der ersten SPD-geführten Bundesregierung unter Willy Brandt im Jahr 1969, welches Richard von Weizsäcker später, neben 1949 und 1989 als das „zweite Schicksalsjahr der Bundesrepublik“ bezeichnete.W. Steuer, 1927 in München geboren, seit 1963 Amtsarzt des Gesundheitsamtes Böblingen, übernahm 1968, im Jahr der so genannten Studentenunruhen, die Leitung des Medizinischen Landesuntersuchungsamtes Stuttgarts und die Funktion des Hauptschriftleiters der Zeitschrift „Der öffentliche Gesundheitsdienst“, verlegt bei Thieme, Stuttgart. Seine erste Arbeit „Hygiene der Zeltplätze“ in der Zeitschrift war bereits im Band 1959/60 (S. 365) erschienen.

Im 30. Jahrgang (1968) wurde „Das öffentliche Gesundheitswesen“, Monatsschrift für Präventivmedizin, Rehabilitation, Sozialhygiene und öffentlicher Gesundheitsdienst, als neuer weitreichenderer Titel gewählt. Der neue Name öffnete das bis dahin auf den öffentlichen Gesundheitsdienst zentrierte Blatt, das durch Aufgaben- und Personalabbau im ÖGD in den frühen Jahren der Bundesrepublik in Mitleidenschaft gezogen wurde, für weitere Gruppierungen im Gesundheitswesen. Bereits 1970 wurde die Zeitschrift auch Organ des Bundesverbandes der Vertrauens- und Rentenversicherungsärzte. Die Schriftleitung wurde im gleichen Jahr mit Vertretern der Sozialpädiatrie (K. Hartung), der Sozialmedizin (M. Pflanz) und der Sozialversicherung (K. Kohlhausen) erweitert. Um die Verbindung zu Autoren und Leserschaft noch enger zu gestalten und auch um den Proporz der an der Zeitschrift beteiligten Gesellschaften zu garantieren, wurde 1976 ein Beirat gebildet, der später, Ende der 90er Jahre, die reibungslose Einführung eines Review-Verfahrens zuließ. W. Steuer hatte so als Hauptschriftleiter der Zeitschrift eine inhaltlich zeitgemäße und damit auch wirtschaftlich breitere Basis geschaffen, die auch langfristig eine erfolgreiche Weiterentwicklung ermöglichte.

Seine eigenen Publikationen in der Zeitschrift weisen W. Steuer als einen Wissenschaftler mit großem praktischen Erfahrungsschatz in den Gebieten Hygiene, Krankenhaushygiene und Mikrobiologie aus, seine ganz besondere Zuwendung aber galt stets den Aufgaben und Problemen des ÖGD. In einem Editorial (Öff. Gesundh.-Wes. 44 (1982) 371) sah er den ÖGD angesichts abnehmender Zuständigkeiten an einem Scheideweg und stellte die Frage, ob es zu einem Ausverkauf käme. Ermutigung für die Zukunft sah er in den Erfolgen der Vergangenheit und in einem Blick über die Staatsgrenzen. Zwei Jahre später beschreibt er die „Aufgabenwandlung des öffentlichen Gesundheitsdienstes“ (Öff. Gesundh.-Wes. 46 (1984) 68-70). Als Zukunftsschwerpunkte nennt er primäre Prävention, Umweltschutz, öffentliche Hygiene und Sozialhygiene. Allerdings sieht er den ÖGD, die dritte Säule des Gesundheitswesens, noch immer von der Erosion massiv bedroht. Seine Schlussfolgerung: „Lassen Sie uns an die Arbeit gehen, um diese dritte Säule vor dem Einsturz zu retten.“

W. Steuer erhielt 1987 vom Bundesverband der Ärzte des ÖGD eine Laudatio zum 60. Geburtstag (Öff. Gesundh.-Wes. 49 (1987) 221) und die Johann Peter Frank Medaille, jeweils auch in Anerkennung seiner Leistungen für die Zeitschrift (Öff. Gesundh.-Wes. 49 (1987) 371). Auf zahlreiche andere beratende Funktionen in Gremien und auf die den Lebenslauf begleitenden Ehrungen sei hier nur pauschal verwiesen.

Im Editorial „50 Jahre Zeitschrift für öffentliches Gesundheitswesen“ (Öff. Gesundh.-Wes. 50 (1988) 1) beschreiben W. Steuer und F. Beske die Rolle der Zeitschrift für den ÖGD: „Dieses gemeinsame Organ des öffentlichen Gesundheitsdienstes versteht sich als Klammer und verbindende Kommunikation, die sich in all den vergangen Jahrzehnten bewährt hat“. Eine Kontinuität in der Klammer seit 1935? Dieser Rückblick entsprach wohl einer Haltung der allgemeinen Verdrängung der Erinnerung an eine schlimme Zeit und dem Wunsch nach einer Normalität, wie sie bei anderen Fachzeitschriften durchaus zu Recht angenommen wurde. Doch es dauerte nochmals 20 Jahre, bis eine klare inhaltliche Abgrenzung zwischen den ersten zehn Jahrgängen (1935 -1945) und der Entwicklung seit 1945 in einem Sonderheft der Zeitschrift vorgelegt wurde („Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus“ Gesundheitswesen, Februar 2007, Seite S1-S128, 69. Jahrgang).

Nach 20 Jahren (1988) hat W. Steuer die Verantwortung als Hauptschriftleiter aus eigenem Entschluss weitergegeben, allerdings ohne sich in den folgenden fast zwei Jahrzehnten aus der Mitarbeit in der Schriftleitung zurückzuziehen. Für die Entwicklung der Zeitschrift seit 1989 war diese Mitarbeit von unschätzbarer Bedeutung. Mit Autorität, Erfahrung und Umsicht hat W. Steuer zum Zusammenwachsen der bisherigen Organschaften mit hinzukommenden Gesellschaften und der Öffnung zu einem noch breiteren Themenspektrum einen wichtigen moderierend-weitblickenden Beitrag geleistet.

Eine wissenschaftliche Zeitschrift für öffentliche Gesundheit zu gestalten, ist eine interessante, kreative, aber auch komplizierte Herausforderung. Für W. Steuer sind als Schlüssel des Erfolges bei der Lösung dieser Aufgabe sein stetes Bestreben zu nennen, in seinem Handeln Theorie und Praxis in Übereinstimmung zu bringen, verbunden mit den Tugenden Fleiß und Zuverlässigkeit sowie eine hohe Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und eine ihm daraus zuwachsende Autorität. Die konstante Grundstimmung dabei entspricht seiner bayerischen Natur, d. h. konservativ und entwicklungsoffen, Veränderung nicht um jeden Preis, aber Zustimmung, wenn besseres erkennbar wird.

Im Rückblick auf die Übernahme der Funktion des Hauptschriftleiters, die Weitergabe dieser Aufgabe 20 Jahre später und die Mitarbeit in der Schriftleitung bis heute weist W. Steuer als einen Meister in der Gestaltung von Übergängen aus. Als Ergebnis erwachsen erfolgreiche Kooperationen und Kontinuität, exemplarisch werden genannt: 39 Jahre Zusammenarbeit mit dem Verlag, 23 Jahre mit Herrn Prof. Beske als Betreuer des Umschauteils der Zeitschrift, d. h. ca. 276 Ausgaben ohne Sonderhefte und 31 Jahre mit mir in der Schriftleitung. An erster Stelle aber ist Frau Steuer zu nennen, die von Anfang an die Aufgabe aktiv mitgetragen hat. Die Geschichte unserer Zeitschrift bleibt untrennbar mit dem Namen Walter Steuer verbunden.[*]

Abb. 1 Abriss zur Geschichte der Zeitschrift „Das Gesundheitswesen“.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr.med. G. Gostomzyk

Gesundheitsamt

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