Gesundheitswesen 2007; 69 - V28
DOI: 10.1055/s-2007-982811

Entwicklung von Dissozialität und Delinquenz im Kindes- und Jugendalter

P Bauer 1
  • 1Klinik für forensische Psychiatrie, Haina

Nach den emotionalen Störungen sind Störungen des Sozialverhaltens die zweithäufigste Diagnose in der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik und Praxis. Bei allen Störungen des Sozialverhaltens handelt es sich um Verhaltensweisen, mit denen altersgemäße Normen, Regeln und/oder Rechte anderer beeinträchtigt werden. Entsprechend werden sie auch als Dissozialität oder antisoziales Verhalten bezeichnet. Der Begriff der Delinquenz ist ursprünglich juristischer bzw. kriminologischer Herkunft und bezieht sich auf Handlungen, die von Kontrollinstanzen verfolgt werden. Auch wenn Dissozialität nicht automatisch bedeutet, dass Straftaten begangen werden, so stellt diese der bedeutendste Risikofaktor für Kriminalität dar.

Untersuchungen aus vielen Ländern belegen, dass die Delinquenz in Art und Häufigkeit mit dem Alter variiert. Die Kriminalitätsbelastung erreicht im Jugendalter bei den 16- bis 20-jährigen einen Höhepunkt und fällt danach kontinuierlich und deutlich ab. Die Mehrzahl der delinquenten Jugendlichen wird im Erwachsenenalter nicht mehr oder mit deutlich geringerer Häufigkeit und Tatschwere straffällig.

Die überdauernd Delinquenten weisen eine hohe Kontinuität bezüglich antisozialen Verhaltens auf, wie Unverträglichkeit, Ungehorsam und Aggressivität in der Kindheit und den ersten Schuljahren bei stabiler Aggressivität, in den mittleren Schuljahren kommen kleinere Diebstähle hinzu, in der Jugend Fahrzeugdiebstähle, Drogenhandel, Einbrüche, später Raubüberfälle, Vergewaltigung und andere Gewaltdelikte sowie Betrug und illegale Geschäfte. Der Wechsel der Formen beruht auf einem Wandel der Handlungsmöglichkeiten und Gelegenheiten.

Als Indikatoren für die Fortdauer antisozialer Verhaltensweisen können ein früher Beginn in der Kindheit, hohe Frequenz und Vielfalt der störenden Verhaltensweisen in vielfältigen Situationen gelten. An Risikofaktoren können prä – und perinatale Probleme, familiäre Auffälligkeiten, psychische Begleiterkrankungen, Intelligenzminderungen, schulische Probleme sowie Einschränkungen in den kognitiven und sozialen Fertigkeiten genannt werden.

Bei den Risikofaktoren handelt es sich nicht um voneinander unabhängige Größen, sondern diese interagieren miteinander. Gerade die Kombination von verschiedenen Risikofaktoren führt zu einer Vervielfachung des Risikos.