Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P328
DOI: 10.1055/s-2007-976456

Umkehr disynaptischer reziproker Hemmung in Bahnung bei Zwillingen mit Stiff-Person-Syndrom

M Hodapp 1, J Rosset 1, F Amtage 1, M Schubert 1, M Faist 1
  • 1Freiburg; Zürich, CH

Fragestellung: Beim stiff-person-Syndrom (SPS) handelt es sich um eine erworbene autoimmunologische Erkrankung mit Dauerinnervation vor allem der axialen Muskulatur, simultaner Aktivität in Agonisten und Antagonisten sowie durch einfache Außenreize induzierte einschiessende Spasmen. Es ist häufig mit anderen autoimmunologischen Erkrankungen und Neoplasien vergesellschaftet. Es lassen sich Antikörper gegen Glutamat-Decarboxylase (GAD) und bei paraneoplastischen Formen gegen Amphiphysin nachweisen. Es wird angenommen, dass sich die GAD-Antikörper gegen GABAerge Interneurone richten. Die reziproke Hemmung wird als einer der pathophysiologisch bedeutsamen Mechanismen bei der Entstehung der Spastik angesehen. Da es beim SPS zu einer Kokontraktion kommt, könnte auch hier dieser Mechanismus eine pathogenetische Rolle spielen.

Methoden: Untersucht wurden 34-jährige Zwillinge mit seit 3 bzw. 1 Jahr bekanntem SPS, das bei einem mit einer Thyreoiditis einhergeht. Zum Untersuchungszeitpunkt waren beide Probanden mit 10mg Diazepam/d behandelt. Gemessen wurde die disynaptische reziproke (glycinerge) Ia-Hemmung sowie die präsynaptische (vermutlich GABAerge) D1-Hemmung durch Konditionierung des Soleus-H-Reflexes über Reizung des N. peroneus.

Ergebnisse: Beide Probanden zeigten unter Ruhebedingungen eine Umkehr der bei Gesunden beobachteten reziproken Ia-Hemmung in eine vermutlich disynaptische Bahnung der Soleus-Motoneuronen während die präsynaptische D1-Hemmung der Ia-Afferenzen zum M. soleus zumindest teilweise erhalten war.

Schlussfolgerungen: Der Nachweis einer reziproken Ia-Bahnung bei SPS könnte für eine Beteiligung glycinerger Interneurone sprechen. Zu diskutieren ist auch eine Demaskierung einer bei Gesunden vorhandenen erregenden Bahn auf dem Boden gestörter supraspinaler Kontrolle bei SPS. Passend hierzu konnte eine erhöhte Erregbarkeit des motorischen Cortex bei SPS mittels Transkranieller Magnetstimulation nachgewiesen werden (Sandbrink et al. 2000; Koerner et al. 2004).

Da die präsynaptische Hemmung zumindest teilweise intakt war, ist für die Entstehung der Tonuserhöhung eine alleinige Störung GABAerger Hemmung unwahrscheinlich, auch wenn dies aufgrund der GAD-Antikörper nahe liegt. Allerdings kann bei den hier untersuchten Patienten ein GABAerger Einfluss von Diazepam auf die Messung präsynaptischer Hemmung nicht ausgeschlossen werden.

Sandbrink et al. (2000) Brain 123: 2231–39.

Koerner et al. (2004) Neurology 62: 1357–62.