Der Klinikarzt 2007; 36(2): 79
DOI: 10.1055/s-2007-973646
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Synkope - eine Vergangenheitsbewältigung

Wolfgang von Scheidt
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Publication Date:
12 March 2007 (online)

Es geht traditionell ein Gespenst um in den Diagnosezeilen von Arztbriefen, der „Zustand nach unklarem Kollaps”. Den Verfassern dieser Briefe soll dieses Schwerpunktheft „Synkope” gewidmet sein. Es gilt, eine dreifache Vergangenheitsbewältigung zu leisten. Bewältigt werden muss ein nicht mehr vorhandenes Problem, dem man nicht selten eine ungezielte und wenig treffsichere Diagnostik zukommen lässt, um danach entweder keine oder eine ebenso unscharfe Therapie zu empfehlen. Die große Häufigkeit von Synkopen, ihre potenzielle Bedrohlichkeit als forme fruste eines plötzlichen Herztodes bei bestehender kardialer Grunderkrankung, das hohe Verletzungspotenzial auch eigentlich harmloser, vasovagaler Synkopen bei fehlenden Prodromi verlangen nach einem optimalen Management eines Synkopenpatienten.

Im Gegensatz zu Pneumonie, Hochdruck, Herzinsuffizienz oder Diabetes beispielsweise kann eine Synkope in den allermeisten Fällen nur als etwas Flüchtiges, Vergangenes diagnostiziert werden. Doch wie erkenne ich etwas nicht mehr Vorhandenes? Man muss wissen, wonach man suchen soll. Der Schlüssel zum Erfolg ist die anamnestische Aufarbeitung inklusive der Zeugenbefragung mittels eines standardisierten Fragen- und Aufgabenkatalogs - und mittels klarer Definitionen. Kollaps, Kreislaufschwäche und dergleichen unscharfe Bezeichnungen stiften eher Verwirrung statt Klarheit. Eine Synkope ist ein spontan reversibler Bewusstseinsverlust (mit Tonusverlust oder Krämpfen) infolge einer zerebralen Minderperfusion. Eine Synkope ohne reversible Bewusstlosigkeit gibt es nicht, aber selbstverständlich reversible Bewusstlosigkeiten, die keine Synkopen sind: Die Differenzialdiagnosen reichen von Epilepsie bis Hypoglykämie. Und es gibt Tonusverluste ohne Bewusstseinsverlust, zum Beispiel „drop attacks”. Sie sind keine Synkopen. Wer gerne die Bezeichnung Kollaps wählt, hat meist nicht einmal geklärt, ob eine passagere Bewusstlosigkeit vorlag - geschweige denn, die Begleitumstände erfragt.

Ein Goldstandard der Synkopendiagnostik existiert derzeit nicht. Doch in den letzten Jahren geben Leitlinien strukturierte Diagnosepfade vor. Berücksichtigt man diese im Alltag, sinkt der Anteil ungeklärter Synkopen drastisch. Für fast jeden Synkopenpatienten kann man nach guter anamnestischer Aufarbeitung, körperlicher Untersuchung und EKG rasch eine Verdachtshypothese generieren, die den diagnostischen Pfad klar vorgibt. Für solche vorausgewählten Patienten sind Kipptischuntersuchung (neurokardiogene Synkope), elektrophysiologische Untersuchung (rhythmogene Synkope) und Loop-Rekorder (aktuell unklärbare, aber hochwahrscheinlich rhythmogene Synkope) die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen.

Der nächste Schritt ist die richtige Therapie. Der Klappenersatz bei Aortenstenose, die ICD-Implantation bei hoch frequenter Kammertachykardie oder die Schrittmacherimplantation bei intermittierendem AV-Block III° mit Adams-Stokes-Anfall sind Beispiele erfolgreicher Therapieformen und erfreuliche Fortschritte der Behandlungsmöglichkeiten. Und wie geht man bei neurokardiogener Synkope vor? Spätestens nach der Lektüre dieses Heftes sollte jeder wissen, was genau darunter zu verstehen ist, was Stehtraining bedeutet oder wie hilfreich der Jendrassik-Handgriff ist - und somit überzeugt sein, dass bei dieser häufigsten Form der vasovagalen Synkopen das untätige Begleiten des Spontanverlaufs unangemessen ist.

Statt der Diagnose „unklarer Kollaps” sollten heute also geklärte Synkopen die Arztbriefe zieren. Dies kommt vor allem dem Patienten, aber auch der gedanklichen Klarheit des Diagnostizierenden und Behandelnden zugute. Die unklärbare (wohlgemerkt nicht ungeklärte) Synkope wird aber leider weiter existieren, da nicht alles im Nachhinein zu entschlüsseln sein kann. Diesen Fall können wir jedoch zur Randexistenz werden lassen, wenn wir die Kunst im Umgang mit begrenzter Information verfeinern.

Prof. Dr. Wolfgang von Scheidt

Gasteditor

Augsburg