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DOI: 10.1055/s-2007-965488
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Schädel-Hirn-Trauma und unerwarteter Tod im Säuglingsalter - Verbesserte Prognose durch optimiertes Diagnose- und Behandlungsmanagement?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
13. November 2007 (online)
Die neurologische Erholung nach einer Hirnverletzung - sei es durch Trauma oder Ischämie verursacht - wird wesentlich durch das Ausmaß des primären Hirnschadens (irreversibel zerstörte Zellen) und der sich entwickelnden sekundären Hirnschädigung bestimmt. Während der Primärschaden therapeutisch nicht zu beeinflussen ist, liegt das Hauptaugenmerk diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen auf der Vermeidung einer hinzukommenden Sekundärschädigung. Ursächlich werden vor allem ischämisch bedingte zerebrale Schädigungsmechanismen als Ausgangspunkt diskutiert.
Hierdurch kommt der präklinischen, notfallmedizinischen Diagnostik sowie der Akutdiagnostik eine entscheidende Rolle zu, da sie eine Voraussetzung für die Einleitung frühzeitiger, gezielter Therapiemaßnahmen ist. Durch exakte Kenntnisse der vermeintlichen pathophysiologischen Abläufe und durch eine rechtzeitige Diagnosestellung und Einleitung erster geeigneter Therapiemaßnahmen kann der Not- bzw. erstversorgende Arzt einen wesentlichen Beitrag leisten, um nach der Akutbehandlung die Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche Rehabilitation und Reintegration in den sozialen Alltag zu verbessern. Der Anteil der Erstdiagnostik und ‐therapie am letztendlichen Behandlungserfolg wird dabei, auch wenn größere prospektive Untersuchungen hierzu fehlen, meist unterschätzt. Umso notwendiger sind der Wissenstransfer und die Vermittlung wichtiger Diagnostik- und Therapiealgorithmen, insbesondere bei sozialmedizinisch und damit auch gesundheitsökonomisch relevanten Erkrankungen.
Traumatische Schädel-Hirn-Verletzungen stellen die häufigste Todesursache in der Altersgruppe unter 45 Jahren dar und treten nach aktuellen Untersuchungen in Deutschland mit einer Inzidenz von etwa 300/100 000 Einwohnern pro Jahr auf (Wenzlaff 2006). Ebenso sind Kindesmisshandlung und Vernachlässigung keine seltenen Delikte. Die Inzidenz beträgt im ersten Lebensjahr etwa 5/1000 pro Jahr. Aus der Inzidenz des Schütteltraumas („Whiplash Shaken Infant Syndrome“) errechnet sich eine Zahl von 300 Kindern, die jährlich zu Schaden kommen. Dabei ist die Mortalität mit bis zu 20 % hoch und in der Regel leiden alle betroffenen Kinder aufgrund der eintretenden strukturellen Hirnschädigung an dauerhaft schweren neurologischen - meist vergesellschaftet mit kognitiven - Defiziten. Auch dem plötzlichen Kindstod kommt eine wichtige Bedeutung als Ursache der Säuglingssterblichkeit mit ca. 0,5 Todesfällen auf 1000 Lebendgeburten pro Jahr zu.
Der Wissenstransfer - Ziel der aktuellen, praxisnahen Beiträge in der Notfallmedizin up2date - und die stringente Umsetzung relevanter Diagnose- und Therapiealgorithmen - sowohl beim Schädel-Hirn-Trauma, als auch bei der Kindesmisshandlung im notfall- und akutmedizinischen Bereich - kann dazu beitragen, die Versorgungsqualität weiter zu erhöhen. Es ist wünschenswert, die Rate erfolgreicher, individueller sozialer Reintegrationen in den (Berufs-)Alltag mit fehlendem und leichtem Handicap zu erhöhen. Dadurch besteht letztendlich die Chance, das bereits erreichte Versorgungsniveau durch eine lückenlose Versorgungskette in seiner Qualität weiter zu optimieren.
Da die bisherigen Daten und Erkenntnisse nur unzureichend im Sinne der Grundsätze evidenzbasierter Medizin durch prospektive klinische Studien abgesichert sind, muss es ein Anliegen sein, durch die Konzipierung und Durchführung von Studien - im Sinne klinischer Forschung - wissenschaftlich die bestmöglichen Diagnostikschritte und Behandlung zu belegen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der im Gesundheitssystem nicht mehr weg zu diskutierenden Kosten-Nutzen-Frage von Relevanz, um die Behandlungsstandards - auch im notfallmedizinischen Bereich - weiter fortzuentwickeln. Im Vordergrund muss aber bei der Bewertung einzelner Managementschritte immer die Betrachtung der Gesamtkosten der Behandlung einer Erkrankung bedeutsam bleiben.
Prof. Dr. med. Jürgen Meixensberger, Leipzig