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DOI: 10.1055/s-2007-1032336
Langzeitbehandlung von Alkoholabhängigen mit Opiatagonisten. Wann kommt der Ruck in der Ärzteschaft?
Einleitung: Nach wie vor herrscht bei der großen Zahl Alkoholabhängiger, die eine Vielzahl von Entzugsversuchen und Therapien ohne anhaltenden Erfolg durchlaufen haben, weitgehende therapeutische Ratlosigkeit.
Es fehlt eine wirksame Dauermedikation, während ihr Krankheitsbild den Verlauf einer insuffizient behandelten chronischen Krankheit aufweist (s. das andere Abstract/Poster). Versuche mit einer Art Basis- oder Dauermedikation sind vor allem da indiziert, wo Patienten trotz besten Bemühens weder mit noch ohne Alkohol zurecht kommen und wo Patienten besonders aus gesundheitlichen, aber auch aus sozialen Gründen dringend einen anhaltend krankhaften Alkoholkonsum überwinden müssen, aber nicht dazu in der Lage sind.
Mehreres weist darauf hin, dass Opiatagonisten hierfür zumindest infrage kommen. Es gibt keinen Zweifel an einem wichtigen Zusammenhang zwischen Alkohol und Opiatrezeptoren durch folgende Hinweise:
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Grundlagenarbeiten vor allem von J. C. Fröhlich (1993) und C. Gianoulakis (1993/94)
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Den häufigen Switch von Abhängigen zwischen Alkohol und Opiaten
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Die partielle Wirksamkeit des Opiatantagonisten Naltrexon
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Publikationen schon 1929 von Kafemann sowie der DGDS-Gründer und Substitutionspioniere Grimm (1992) und Elias (1996) über erfolgreiche Behandlungen von Alkoholabhängigen mit Codein/Dihydrocodein.
Im Stadium fehlender weiterer Erforschtheit ist es besonders wichtig, Hinweisen und dokumentierten Eindrücken nachzugehen. Demnach kann Folgendes für wahrscheinlich gehalten werden:
Die Alkoholcraving reduzierende Wirkung von Opiaten ist dosisabhängig. Bei Opiatsubstituierten lassen sich Alkoholprobleme teilweise durch Dosiserhöhungen reduzieren und überwinden.
Die Alkoholcraving reduzierende Wirkung scheint zwischen unterschiedlichen Opioiden zu divergieren.
Noch durch keine Studie erwiesen, aber nach deutlichem „klinischen Eindruck“ ist die Alkoholcraving reduzierende Wirkung besonders stark bei Diamorphin (Heroin), stark bei Codein/Dihydrocodein, weniger stark bei Methadon und bisher noch unzureichend einzuordnen bei Buprenorphin.
Eigenes Vorgehen: Vorsichtig und systematisch, mit ständiger Dokumentation, regional bis international vernetzt, haben wir seit 1997 ebenfalls Behandlungen mit Dihydrocodein bei insgesamt 73 alkoholabhängigen Patienten erprobt. Die Anfangsdosis lag meist bei 120 bis 160mg/die (auf 4 x täglich aufgeteilt). Nur wenige Patienten wurden mit einer höheren Dosis als 300mg/die behandelt.
Ergebnisse: Während statistische Analysen noch in Arbeit sind, die auch zeigen werden, dass der Ansatz für die Mehrheit der Patienten noch nicht passend war, verfügen wir inzwischen schon über eine Reihe von Einzelfalldokumentationen, aus denen sich folgende Erkenntnisse ableiten lassen:
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Zumindest für einige Alkoholabhängige kann die Behandlung mit Dihydrocodein zu phänomenalen, teils heilungsähnlichen Verbesserungen führen.
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Bei systematischem Vorgehen tritt in keinem Fall das befürchtete Phänomen einer Verschlechterung durch das Hinzufügen einer weiteren Abhängigkeit ein.
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Die Steuerbarkeit des Dihydrocodeinkonsums ist, im Gegensatz zum Alkohol, und auch im Gegensatz zu Benzodiazepinen, hervorragend.
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Selbst wenn die Patienten sich ablehnend äußern, entsteht praktisch nie der Eindruck einer klinischen Verschlechterung durch die Verordnung von Dihydrocodein, in vielen, auch scheiternden Fällen aber der Eindruck einer deutlichen Besserung.
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Einzelne Patienten empfinden die Wirkung von Dihydrocodein als unangenehm, berichten, dass sie mehr Nebenwirkungen (Obstipation, Juckreiz) als Wirkungen und manchmal überhaupt keine positiven Wirkungen spüren.
Bei der Mehrzahl der Patienten, denen wir mit Dihydrocodein noch nicht langfristig helfen konnten, ist für uns der Eindruck entstanden, dass wir sie zu vorsichtig behandelt haben: Dass wir ihnen mit einer sehr eingehenden Information über das Pionierhafte der Behandlung Angst gemacht haben und/oder die Dosis zu vorsichtig blieb.
Wir konnten etwa einem Viertel der Patienten nachhaltig anhaltend helfen, immerhin überwiegend schwerst abhängigen Patienten mit völliger Hoffnungslosigkeit auf seiten der Patienten wie Therapeuten. Die Erfolgsrate lässt sich durch systematische Erforschung/Etablierung und eine positivere Resonanz der umgebenden Fachwelt sicher entscheidend optimieren.
Zusammenfassung: Unsere Ergebnisse zeigen zweifellos, dass eine schwerste Alkoholabhängigkeit mit Dihydrocodein hervorragend behandelt werden kann. Eine systematische Erforschung ist dringend angezeigt. Es handelt sich um ein Thema mit hoher Dringlichkeit und sicher weltweiter Bedeutung. Die Behandlung ist noch nicht reif für eine Übertragung in die allgemeine Praxis. Dihydrocodein ist bei unstrukturierter Opiatsubstitution mit einer Reihe von Todesfällen verbunden gewesen und deshalb in dieser Indikation nur noch ausnahmsweise zugelassen. Überwachungsbehörden und skeptische Kollegen verfolgen die Entwicklung in der Alkoholtherapie sehr kritisch. Um so mehr bedarf dieser neue Ansatz einer strukturierten, wissenschaftlich gestützten Entwicklung.