Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(9): 245-248
DOI: 10.1055/s-2007-1024084
Originalien

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Geh-und-Zähl-Test: Ein einfacher Test zur Abschätzung des Sturzrisikos

Walking and counting test for assessing the risk of falling in the elderlyM. Gulich, H.-P. Zeitler
  • Abteilung Allgemeinmedizin (Direktor: Prof. Dr. H.-P. Zeitler) der Universität Ulm
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
25. März 2008 (online)

Zusammenfassung:

Hintergrund und Fragestellung: Stürze und sturzbedingte Frakturen sind ein häufiges Phänomen bei älteren Menschen. Interventionen zur Prävention von Stürzen und/oder Frakturen stehen zur Verfügung. Zur gezielten Anwendung von Präventionsmaßnahmen fehlen geeignete diagnostische Tests für den hausärztlichen Bereich. In dieser prospektiven Studie sollte der einfache »Geh-und-Zähl-Test« zur Abschätzung des Sturzrisikos validiert werden.

Patienten und Methodik: 92 Patienten einer allgemeinärztlichen Praxis im Alter von 70 bis 96 Jahren, 64 Frauen und 28 Männer, wurden in die Studie aufgenommen. Alle Patienten absolvierten zu Beginn den »Geh-und-Zähl-Test«: Sie gingen so schnell wie möglich eine Meßstrecke von 4 Metern, unmittelbar anschließend die gleiche Strecke nochmals, jetzt in 3er-Schritten von 100 rückwärts zählend. Gemessen wurde die Gehgeschwindigkeit ohne Zählen als Ausgangswert v0 und unter Distraktion vD und aus diesen beiden Werten die prozentuale Veränderung unter Distraktion Δv% errechnet. Die Nachbeobachtungszeit zur Dokumentation von Stürzen betrug 12 Monate. 80 Patienten konnten über den vollen Zeitraum beobachtet werden. Die Ergebnisse wurden einer ROC- und einer Bayesschen Analyse zur Bestimmung der Testgüte und der diagnostischen Kenngrößen in Hinblick auf das Erkennen von Sturzgefährdung unterzogen.

Ergebnisse: 40 Patienten stürzten in der Nachbeobachtungszeit. Stürze traten in höheren Altersgruppen häufiger auf, bei positiver Sturzanamnese waren Stürze vermehrt zu beobachten. Alle Patienten konnten den Test durchführen, die individuellen Meßergebnisse variieren erheblich. Es besteht ein statistischer Zusammenhang zwischen der ermittelten prozentualen Änderung der Gehgeschwindigkeit und dem Risiko zu stürzen. Wird ein Schwellenwert von 20 % Langsamerwerden der Gehgeschwindigkeit benutzt, erreicht der Test eine Sensitivität (95 %-Vertrauens-intervall) von 0,68 (0,51-0,81), eine Spezifität von 0,85 (0,71-0,93) und einen positiven Vorhersagewert von 0,77 (0,59-0,84).

Folgerung: Der Geh-und-Zähl-Test ist ein einfacher, aussagekräftiger Test, der zuverlässiger als andere Parameter die individuelle Sturzgefährdung über 12 Monate vorhersagt. Damit ist vor allem dem Hausarzt ein Instrument an die Hand gegeben, Präventionsmaßnahmen gezielt zu veranlassen.

Abstract:

Background and objective: Falls and fractures caused by falls are common in the elderly. Interventions to prevent such falls and/or fractures are available. But there are no appropriate tests in general practice for the targeted use of preventative measures. This prospective study was undertaken to validate a simple »walking and counting« test for assessing the risk of falling.

Patients and methods: 92 patients of a general practice, aged between 70 and 96 years (64 women, 28 men) were included in the study. All patients were given the »walking and counting« test in which they would walk as quickly as possible along a stretch of 4 m, repeated immediately in a 3-step sequence while counting backwards from 100. The walking speed without counting was measured initially (v0), as was the speed during distraction by counting (vD). The difference between the two values, Δv%, measured the percentage change under distraction. In 80 patients it was possible to record the number of falls over the entire subsequent period of 12 months. All data were assessed by relative operating characteristics (ROC) and Bayesian analysis.

Results: 40 patients had falls in the follow-up period of 12 months, falls being more frequent the higher the age and if there had been previous falls. While all patients were able to do the test, individual values differed considerably. There was a statistical correlation between the calculated change in walking speed and the risk of falling. Using a threshold value of 20 % slowing of the walking speed, the test sensitivity was 95 % (0.51-0.81: 95 % confidence interval) and the specificity 0.85 (0.71-0.93), with a positive predictive value of 0.77 (0.59-0.84).

Conclusion: The walking and counting test is a simple and informative test, more reliable than other parameters, to predict for an individual patient the danger of falling over a 12-months period. It provides the general practitioner with a tool for demanding appropriately targeted preventative measures.

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