Psychiatr Prax 2008; 35(1): 44
DOI: 10.1055/s-2007-1022672
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Konrad Alt (1861-1922)

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Publication Date:
24 January 2008 (online)

 

Die Versorgung psychiatrischer Patienten wurde bereits von den Psychiatern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bzw. des frühen 20. Jahrhunderts sehr kontrovers diskutiert. Die seinerzeit von einigen Diskutanten als alternatives Versorgungsmodell, von anderen als der stationären Aufnahme gar überlegene Therapieform propagierte "Psychiatrische Familienpflege" hatte in dieser Debatte eine besondere Sprengkraft, da sie medizinische Laien ("Gastfamilien") einband. In der Wahrnehmung der Psychiater unterlief dies die Professionalisierung des noch jungen Faches Psychiatrie, was retrospektiv das noch heute erstaunlich anmutende Maß an Emotionen in der Debatte der "Asylierung" zum Teil erklärt. Neben der Initiative Ferdinand Wahrendorffs in Ilten/Hannover ab 1880 wurde im Deutschen Reich eine Reihe weiterer Einrichtungen zur Familienpflege gegründet. Der Beitrag von Konrad Alt stand in Zusammenhang mit der 1894 gegründeten "Landes Heil- und Pflege-Anstalt Uchtspringe" in der Altmark bei Stendal. Alt war mit den modellhaften Einrichtungen in Belgien bestens vertraut. Seine zunehmend dezentral strukturierten eigenen Einrichtungen in Gardelegen und Jerichow waren bahnbrechend und gehörten zu den wesentlichsten Vorbildern im Deutschen Reich. Dies, die große Zahl an Publikationen sowie seine internationale Vortragstätigkeit zum Thema machten Uchtspringe wiederum zum Zielort von Psychiatern aus dem Ausland. Die Familienpflege, weitaus kostengünstiger als die stationäre Behandlung, wurde in der NS-Gesundheitspolitik aus ideologischen Gründen ausgesetzt, und verschwand aus dem Versorgungsspektrum beider deutscher Nachkriegsstaaten. Nach Initiativen in Württemberg und im Rheinland in den 1980ern wurde die Familienpflege zum zweiten Mal Gegenstand der Versorgungsdiskussion und erlebt in unseren Tagen eine erstaunliche Renaissance.

Dr. Thomas Müller

Email: th.mueller@zfp-weissenau.de

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