Der Klinikarzt 2007; 36(11): 609
DOI: 10.1055/s-2007-1005196
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Es hat sich was verändert!

Burckart Stegemann
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Publication Date:
28 November 2007 (online)

Erstaunlich, wie schnell sich ein Wandel im Selbstverständnis der Ärzteschaft und dem der Patienten zu vollziehen scheint. Sollte es möglich sein, dass Vertrauen und Zuwendung durch Vertrags- bzw. Dienstleistungsdenken verdrängt werden?

Es ist zwar kein Ruck durch die sich ständig verbessernde, aber auch verteuernde Medizin gegangen, aber bei knapper werdenden Ressourcen haben sich doch immer mehr marktwirtschaftliche Begriffe und Verhaltensweisen, besonders auch im Krankenhaus, eingeschlichen. Massiv gefördert hat diesen Vorgang der politisch induzierte Einsatz omnipotenter Geschäftsführer in Kliniken, die als Vorgesetzte aller Mitarbeiter fungieren können und vielfach sogar in medizinisch bedeutsame Belange eingreifen. So sind auch ehemals karitative oder christliche Häuser rasch zu Betrieben geworden, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren, deren wichtigstes Ziel positive Bilanzen sind und bei denen humaner Dienst am Menschen und karitatives Denken in Wirklichkeit nur noch idealistisches Beiwerk sind - zum Beispiel im Logo.

Der ärztliche Berufsanfänger, der auch heute zunächst noch antritt, um anderen Menschen zu helfen, hört inzwischen mehr von der ärztlichen Dienstleistung, der Qualitätssicherung und der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt als von der notwendigen ärztlichen Hilfe. Er muss sehr schnell lernen, als dienstleistender Arzt aus einer Kostenstelle heraus gegenüber einem Dienstleistungsempfänger, dem früheren Patienten, zu agieren. Tut er das nicht, lässt er zum Beispiel der Humanitas zu viel freien Spielraum, wird er sehr rasch als Fremdkörper wahrgenommen und gerät unter Druck.

Damit werden Krankenhäuser leicht zu unpersönlichen Fließbandbetrieben und zu seelenlosen Reparaturwerkstätten degradiert. Aus dem bisherigen Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und seinen Patienten entwickelt sich so immer stärker ein vertraglich geregeltes Verhältnis mit allen Konsequenzen. Irgendwann empfinden das junge Ärzte als normal und als - was es für die Initiatoren in Politik und den die Medizin verwaltenden Organen schon jetzt ist - notwendig zum Erhalt des Gesundheitswesens.

Doch die Erfahrung lehrt auch, dass wenn Sie oder Ihre Angehörigen als quasi Promis einmal krank werden, Sie in größtem Anspruchsdenken als erstes nach höchstpersönlicher Betreuung durch den Chef- bzw. Oberarzt rufen lassen und natürlich die bestmögliche und nicht nur eine ausreichende Behandlung erwarten, auch wenn ihre eigene Versicherung oft gar nicht so recht darauf ausgerichtet ist. Und das zeigt dann doch exemplarisch, worauf es für einen kranken Menschen wirklich ankommt. Patient wird er nämlich dann nicht nur durch seine Krankheit, sondern ganz speziell auch durch eine damit zwangsläufig einhergehende Veränderung der Persönlichkeit, die dringend einer Vertrauen gebenden Person bedarf, die nur ein behandelnder Arzt und nicht ein Dienstleistender einer Kostenstelle sein kann. Nichts kann in unserer Gesellschaft die persönliche, humane Zuwendung des Behandlers, und da ist der Pflegedienst absolut mit einbegriffen, ersetzen. Plötzlich gilt das Vertrauen in die Person des Arztes wieder mehr als alles Geld der Welt, egal ob vorher ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht.

Was ist aber, wenn durch zu langes Bestehen der hier geschilderten Zustände der heranwachsende Arzt dieses Vertrauensverhältnis gar nicht mehr herstellen kann, weil er nur noch gelernt hat, als Dienstleistungsarzt Sachleistungen im Rahmen eines geschlossenen Vertrages abzuwickeln? Bei allem Verständnis für sparsames und verantwortliches Wirtschaften: Geld und Humanitas müssen sich wieder deutlich aufeinander zu bewegen, müssen lernen, sich gegenseitig Vertrauen zu schenken und irgendwie auch wieder auf etwa gleich hohe Rösser gesetzt werden.

Prof. Dr. Burckart Stegemann

Hagen

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