Suchttherapie 2006; 7 - S10
DOI: 10.1055/s-2006-959122

Zentrale Ergebnisse der COBRA-Studie (Cost-benefit and risk appraisal of substitution treatment. An epidemiological study in routine care)

HU Wittchen 1
  • 1Sprecher BMBF Suchtforschungsverbunds ASAT, Technische Universität Dresden, Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Dresden

Die Ersatzstofftherapie mit Methadon und Buprenorphin ist bei den zumeist chronisch multimorbid Opiatabhängigen wirksam und ohne Alternative! Die Befunde des drei-jährigen Verlaufsprojekts zeigen, dass Opiatabhängige ausnahmslos chronisch, schwerst körperlich und psychisch krank sind. Trotz zum Teil regional widrigster versorgungsrechtlicher Rahmenbedingungen wird jedoch in der Routineversorgung durch spezialisierte Substitutionszentren und insbesondere beim suchtmedizinisch qualifizierten Hausarzt bei dieser Patientengruppe eine unerwartet gute Wirksamkeit bei vergleichsweise geringen Fallkosten erreicht.

2.694 Patienten aus über 223 bundesrepräsentativ ausgewählten Substitutionseinrichtungen wurden in der Studie über 1 Jahr untersucht und klinisch umfassend verfolgt. Die ersten Ergebnispublikationen zeigen, dass in der Routineversorgung viele der zentralen Schlüsselziele der Ersatzstoff-Therapie mit Methadon und Buprenorphin bei der Mehrzahl der untersuchten Patienten erreicht werden: (1) die Mortalität ist mit 1% niedrig, (2) 11% aller Patienten werden abstinent oder schaffen im Studienverlauf den Wechsel in eine weiterführende drogenfreie Abstinenztherapie, (3) Über 60% aller Patienten werden erfolgreich über 1 Jahr in der Therapie gehalten und reduzieren erfolgreich Ihren Substanzkonsum. Diese Haltequoten sind besser als in randomisierten klinischen Vergleichsstudien, (4) der durch vielfache Komorbiditäten an chronischen körperlichen Erkrankungen gekennzeichnete extrem kritische Gesundheitszustand der Patienten wird deutlich gebessert. (5) Besonders bemerkenswert ist, dass Hausärzte, die nur wenige Patienten und oft keine speziellen personellen Zusatzressourcen haben, zumindest ähnlich gute Ergebnisse erzielen, wie die großen Substitutionszentren. (6) Die medizinischen und sonstigen Gesamtkosten einer Ersatzstoffbehandlung ist angesichts der hohen Krankheitslast der Patienten mit im Mittel 8.100,- € /Jahr vergleichsweise niedrig. Die Kosten werden in erster Linie durch die Behandlung der körperlichen Krankheitslast bedingt, während die direkten substitutionsbedingten Kosten pro Fall nur 3.800,- € ausmachen. (7) Auch die durchschnittlichen Fallkosten in den kleinen hausärztlichen Einrichtungen sind mit im Mittel 7.148,- € günstig.

Probleme und drängenden Besserungsbedarf zeigt die COBRA Studie darüber hinaus in mehren Bereichen auf: (1) Hepatitis-C als häufigste komorbide Komplikation wird ebenso wie andere Infektionserkrankungen und ernsthafte andere körperliche Erkrankungen häufig nicht adäquat behandelt. Eine unzureichende Abstimmung der verschiedenen Versorgungssektoren ebenso wie budgetäre Aspekte dürften hierfür mitverantwortlich zu sein. (2) Die äußerst häufigen psychischen Begleiterkrankungen (z.B. Depression, Angsterkrankungen, Schlafstörungen) werden nur bei wenigen Patienten erfolgreich beeinflusst. Damit korrespondiert ein immer geringer werdender Anteil von Psychiatern und Nervenärzten in der Substitutionstherapie. (3) Demotiviert durch rechtliche und bürokratische „Gängelung“ haben nahezu 10% der COBRA Ärzte ihre Substitutionspraxis im Studienverlauf mit zum Teil „traurigen“ Konsequenzen für den Patienten aufgegeben.

Mit den versorgungsnahen Ergebnissen von COBRA stehen uns nun die lang benötigten Befunde zur Verfügung, um an einer Verbesserung der Therapie- und Versorgungssituation dieser schwerkranken Krankheitsgruppe zu arbeiten. Angesichts der außerordentlich widrigen Arbeitssituation von Substitutionsärzten, die nicht nur durch eine unakzeptable bürokratische und gesetzliche Überregulierung sondern auch durch abwegige und herabwürdigende Presseaktionen („Kriminelle Mediziner..!“, z.B. Spiegel 41/2006) gekennzeichnet sind, können die COBRA Befunde als ein deutliches Signal zum Umdenken und Handeln angesehen werden. Die Daten sprechen für einen unmittelbaren und forcierten Ausbau der Behandlungskapazitäten, um das zunehmende Ausmaß der Fehl- und Mangelversorgung dieser Patientengruppe abzubauen. Die Optimierung der Methadon- und Buprenorphin-Therapie sollte dabei insbesondere aus Kostengründen unbedingten Vorrang vor der Einführung einer vom Effekt her marginalen aber kostenintensiven Einführung von Heroin als dritte Substitutionsoption haben. Zugleich bedarf es möglicherweise einer massiven rechtlichen Deregulation der Ausführungsbestimmungen für eine Substitutionstherapie, um die in der Medizin wohl einmaligen stigmatisierenden Barrieren abzubauen, die die überwiegende Mehrzahl aller Ärzte davon abhalten, eine Substitution in ihrer Praxis anzubieten.

COBRA ist ein Projekt (F8) des BMBF Suchtforschungsverbundes ASAT (Allocating Substance Abuse Treatments to Patient Heterogeneity). Ansprechpartner: ASAT-Koordinationsstelle E-mail: asatkoordination@mpipsykl.mpg.de; www.asat-verbund.de. Der ASAT-Forschungsverbund wird im Zusammenhang des Programms „Forschungsverbünde für Suchtforschung“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell gefördert (01 EB 0440–0441, 01 EB 0142). http://www.asat-verbund.de/

Die COBRA Studie wird begleitet von einem Steering Committee und einem Advisory Board: Mitglieder sind: Prof. Soyka, Prof. Gastpar, Prof. Bühringer, Dr. Backmund, Dr. Gölz, Dr. Kraus, Dr. Schäfer und Prof. Tretter, N. Scherbaum. http://www.cobra-projekt.de/

Die Erhebungsarbeit und die gesundheitsökonomischen Programmkomponenten wurden durch einen unrestricted educational grant der Firma essex pharma GmbH, München unterstützt. Wir möchten allen Ärzten und Mitarbeitern der teilnehmenden Einrichtungen für ihre kontinuierliche Unterstützung und Zusammenarbeit danken.