Handchir Mikrochir Plast Chir 2006; 38(6): 432-433
DOI: 10.1055/s-2006-955950
Erwiderung

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erwiderung zu den Kommentaren von H. Assmus, R. Hoffmann und C. Bultmann zur Arbeit von V. L. Moser et al.: Ist eine unterschiedliche Behandlung bei verschiedenen Schweregraden des Sulcus nervi ulnaris-Syndroms sinnvoll?

Handchir Mikrochir Plast Chir 2006; 38: 426 - 427, 428 - 429, 430 - 431Reply to the Commentaries of H. Assmus, R. Hoffmann and C. Bultmann on the Article of V. L. Moser et al.: Is a Differentiated Treatment Depending on the Degree of Severity Justified in Cubital Tunnel Syndrome?Handchir Mikrochir Plast Chir 2006; 38: 426 - 427, 428 - 429, 430 - 431O. C. Aszmann1
  • 1Abteilung für Wiederherstellende und Plastische Chirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Allgemeines Krankenhaus, Medizinische Universität Wien
Further Information

Publication History

Eingang des Manuskriptes: 7.10.2006

Angenommen: 9.10.2006

Publication Date:
11 January 2007 (online)

Das Schlimmste nach einem wissenschaftlichen Vortrag ist Diskussionslosigkeit! Umso mehr haben mich die zahlreichen, wenn auch vorwiegend kritischen Rückmeldungen zu diesem offensichtlich kontroversen Thema gefreut. Bevor ich jedoch auf die Diskussionspunkte im Detail eingehe, möchte ich vielleicht vorerst meinen Standpunkt etwas erläutern. Wer die Literatur zu diesem Thema verfolgt, sieht wie unterschiedlich dieses Krankheitsbild in verschiedenen Zentren angegangen wird. Ich selbst wurde erstmals durch einen Vortrag von Richard Gelberman am Curtis Hand Center in Maryland (1995) damit konfrontiert, der damals mit Enthusiasmus die mediale Epikondylektomie propagiert hat. Später habe ich einige Zeit mit Lee Dellon verbracht, der stets eine submuskuläre Vorverlagerung durchführt, ebenso mit guter Begründung. Zuletzt (1997) habe ich am Kleinert Hand Center in Louisville die endoskopisch assistierte in situ Neurolyse von Tsu Min Tsai [[5]] gelernt, der diese Methode ebenso mit Vehemenz vorbrachte und seine Resultate 1999 im American Journal of Handsurgery publizierte. Nach alldem war ich mir fast sicher, dass es so ist wie Lee Dellon [[2]] in seinem Reviewartikel 1989 beschrieb: Jeder macht das, was er von seinem Lehrer gelernt hat. Und ich nehme an, dass in der Handchirurgie die meisten in ihrer Ausbildung nur eine Methode oder Schule gelernt haben. Und schließlich macht man nur das gut, was man häufig macht. Als ich nach Wien kam, habe ich mir gedacht, dass vielleicht die apodiktische Art der Behandlung „so und nicht anders!“ etwas modifiziert werden kann und möglicherweise eine dem Krankheitsverlauf angepasste Behandlung zu erzielen sei. Deshalb auch die Frage: Ist eine unterschiedliche Behandlung bei unterschiedlichen Schweregraden sinnvoll? Die Kritik vom Kollegen Hoffmann trifft völlig zu, dass so wie die Studie konzipiert ist, diese Frage nicht beantwortet werden kann (da nicht prospektiv randomisiert). Ich habe diese Studie begonnen mit der vorsichtigen Frage, ob es wirklich Sinn macht, jeden Nerv vorverlagern zu müssen (so wie ich es von einigen bedeutenden Nervenchirurgen mit Nachdruck gelernt habe). Nie hätte ich es gewagt, eine progrediente Ulnarisneuropathie anders zu behandeln, was eine prospektiv randomisierte Studie gefordert hätte. Eine solche Studie wurde, wie vom Kollegen Assmus korrekterweise angesprochen, von Gervasio und Mitarb. [[3]] kürzlich durchgeführt und in Neurosurgery 2005 publiziert, übrigens mit gleichem Erfolg (leider war das Manuskript zu diesem Zeitpunkt schon im Review und ich konnte nicht mehr Bezug nehmen). Jedenfalls habe ich zwei weitere Arbeiten zitiert, die genau diesen Punkt aufgreifen und ebenso keinen Unterschied bei unterschiedlicher Behandlung feststellten. Diese Arbeiten wurden übrigens schon vor mehr als 20 Jahren publiziert. Warum also machen wir nicht schon längst alle, so wie es Kollege Hoffmann propagiert, nur in situ Neurolysen? Kurze Operation, geringer Flurschaden, wenig Komplikationen, schnelle Rehabilitation. Nun, weil ich glaube, dass die Pathologie des Nervus ulnaris am Ellenbogen sehr unterschiedliche Ursachen haben kann. Ich stimme dem Kollegen Assmus durchaus zu, dass „andere wesentliche Kriterien wie Gelenkveränderungen, Arthrose, Tastbefund, Subluxation …“ in die Behandlung Einfluss nehmen müssen. Dazu gehört auch die genaue Anamnese. Einem Lkw-Fahrer mit subluxierenden Nerven am linken Arm wird die Neurolyse nichts nützen. Er wird wieder am Armbrett seines Lkws aufliegen. Wenn auch Kollege Hoffmann mir widerspricht, auch die Traktion ist ein wesentliches Element der Ulnarisneuropathie. Wenn ich fünf Minuten am Telefon bin (mit abgewinkeltem Ellenbogen) habe ich Kribbelparästhesien im Kleinfinger. Wenn zusätzlich eine innere Fibrosierung und Verwachsungen des Mesoneuriums einen Elastizitäts- und Gleitverlust bewirken, kann dies Ursache für einen chronischen Traktionsschaden mit progressiver Ulnarisneuropathie sein. In Bezug auf die Subluxation bin ich nach wie vor der festen Überzeugung, dass eine in situ Neurolyse keine adäquate Behandlung darstellt, da das Grundproblem der ständigen mechanischen Irritation über dem medialen Epikondylus persistiert. Dies ist übrigens im vorgeschlagenen Behandlungsalgorithmus klar festgehalten. Sicherlich ist der vorgeschlagene Algorithmus nicht umfassend. Die komplexe Pathologie des Nervus ulnaris am Ellenbogen macht dies wahrscheinlich unmöglich. Jedenfalls ist es ein Versuch, dieses Patientengut etwas differenzierter zu betrachten und nicht monoman jedem Patienten dasselbe Konzept anzubieten. Die in situ Neurolyse ist sicherlich für ein bestimmtes Segment dieses Krankengutes eine adäquate Therapie. Aber auch die Vorverlagerung hat, trotz der höheren Invasivität, sicherlich nach wie vor ihren Stellenwert. Die unterschiedlichen Indikationen galt es herauszuarbeiten. Ich verstehe die Enttäuschung der Leser, da diese Antwort leider nicht schlüssig ausgearbeitet werden konnte. Die geforderte prospektive Studie ist im Laufen, wird aber sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis ausreichende Datenmengen gesammelt sind. Aber ich bin sicher, wir werden in der nahen Zukunft einige Studien zu diesem Thema in der internationalen Literatur zu sehen bekommen. Noch ein Wort zur Diagnostik. Erik Moberg hat vor Jahren die Frage gestellt: Was kann ein Nerv? In Bezug auf die Handfunktion hat er die Frage mit den von ihm geprägten Begriffen, wie Stereognosis beziehungsweise Zweipunktdiskrimination und Pick-up-Tests, versucht zu quantifizieren. Anders gesagt, er hat klinische Parameter der Handfunktion definiert. Was ist der Goldstandard in der Diagnostik der Ulnarisneuropathie? Sicherlich nicht die Elektrodiagnostik. Ich meine, es sind die Zeichen der subjektiven und objektiven Nervenfunktionsstörung. Das heißt, der Verlust der Handfunktion, weswegen der Patient ja auch unsere Hilfe aufsucht (unabhängig einer positiven oder negativen Elektrodiagnostik). Ich verstehe auch die große Aufregung nicht, da alle von uns schon oft genug den einen oder anderen Patienten, trotz negativer Elektrodiagnostik, einer Behandlung zugeführt haben. Weil eben die Klinik letztentscheidet. Diesbezüglich ist eine exzellente Arbeit von Greenwald und Mitarb. [[4]] 1999 in PRS erschienen. Und eben diese Klinik kann man quantifizieren, in Form einer einfachen Kraftmessung und einer Zweipunkt-Druckschwellenmessung. Kollegin Bultmann hat das „diagnostische Loch“ entdeckt für jene, die ganz am Beginn der Erkrankung stehen und zwar intermittierende Symptome, jedoch normale Kraft und normale Zweipunktdiskrimination aufweisen. Leider habe ich aufgrund der schon beträchtlichen Länge der Arbeit und kontroversiellen Thematik auf die Details der Druckschwellenmessung verzichten müssen, die dieses Loch verschließt. Dies ist jedoch im Journal of Reconstructive Microsurgery (Aszmann und Dellon 1998 [[1]]) genau nachzulesen. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass eine detaillierte Anamnese, einfache provokative Tests, Prüfung der Zweipunktdiskrimination und Kraftmessung genug Grundlage geben, um zu einer zufriedenstellenden Diagnose und entsprechenden Therapie zu gelangen sowie unseren Patienten ein optimales Behandlungsergebnis zu gewährleisten.

Literatur

  • 1 Aszmann O C, Dellon A L. Relationship between cutaneous pressure threshold testing and two-point descrimination.  J Reconstr Microsurg. 1998;  14 417-421
  • 2 Dellon A L. Review of treatment results for ulnar nerve entrapment at the elbow.  J Hand Surg [Am]. 1989;  14 688-700
  • 3 Gervasio O. et al . Simple decompression versus anterior submuscular transposition of the ulnar nerve in severe cubital tunnel syndrome: A prospective randomized study.  Neurosurgery. 2005;  56 108-117
  • 4 Greenwald D, Moffit M, Kooper B. Effective surgical treatment of cubital tunnel syndrome based on provocative clinical testing without electrodiagnostics.  Plast Reconstr Surg. 1999;  104 215-218
  • 5 Tsai T M. et al . Cubital tunnel release with endoscopic assistance: Results of a new technique.  J Hand Surg [Am]. 1999;  24 21-29

Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Oskar C. Aszmann

Abteilung für Wiederherstellende und Plastische Chirurgie
Medizinische Universität Wien

Währinger Gürtel 18 - 20

1090 Wien

Österreich

Email: oskar.aszmann@meduniwien.ac.at

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